„Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ lautet der Titel der 2018 publizierten „MHG-Studie“. Benannt wurde sie nach den beteiligten Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen. Bundesweit sind in den Personalakten von 1946 bis 2014 insgesamt 1670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt worden. Es gab 3677 Opfer. Wie viele Missbrauchsfälle hat das Bistum Hildesheim registriert?
Volker Bauerfeld: Mit der MHG-Studie wurde festgestellt, dass mindestens 156 Personen im Bistum Hildesheim Opfer von sexualisierter Gewalt durch Geistliche geworden sind.
Mit wie vielen Anträgen auf "Anerkennung des Leids" rechnen Sie aktuell?
Von 2011 bis Ende 2020 sind 62 Anträge auf Anerkennung des Leids registriert worden. Seit Jahresbeginn sind 15 neue Anträge hinzugekommen.
Inwieweit bietet das Bistum Hildesheim im Dekanat Bremen-Nord Informationsveranstaltungen für Betroffene an?
Es gibt am 13. Juli 2021 eine Informationsveranstaltung für Betroffene, die in Hildesheim stattfinden wird. Es ist geplant, auch in weiteren Regionen des Bistums Informationsveranstaltungen anzubieten, falls ein entsprechender Bedarf besteht.
Wie funktioniert das "Verfahren zur Anerkennung des Leids"?
Seit dem 1. Januar 2021 gilt im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz das erweiterte Verfahren auf Leistungen in Anerkennung des Leids, das Betroffenen sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde. Personen, die als minderjährige oder erwachsene Schutzbefohlene sexuellen Missbrauch erlebt haben, wenden sich an unabhängige Ansprechpersonen. Die führen dann ein Gespräch und können Betroffene beim Ausfüllen des Antragsformulars unterstützen. Der Antrag wird dann an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen weitergeleitet, und die unabhängige Kommission legt eine Leistungshöhe fest.
Können Opfer auch darauf verzichten, in Hildesheim vorstellig zu werden?
Ja, Betroffene können sich auch dezentral an eine der entsprechenden Ansprechpersonen für Verdachtsfälle von sexualisierter Gewalt wenden.
Wie viele Anlaufstellen gibt es im Dekanat Bremen-Nord?
Es gibt im Umkreis derzeit zwei Ansprechpersonen für Verdachtsfälle von sexualisierter Gewalt: Dr. Helmut Munkel ist Arzt für Anästhesie und Intensivmedizin in Bremerhaven. Und Anna-Maria Muschik ist Diplom-Pädagogin, Supervisorin und Mediatorin in Langwedel.
Missbrauchsopfer der katholischen Kirche sollen bis zu 50.000 Euro Entschädigung bekommen. Ein Team aus Juristen und Medizinern entscheidet über die Höhe der Entschädigung, die sich am gesetzlich festgeschriebenen Schmerzensgeld orientiert. Aus welchem Topf wird die Entschädigung finanziert?
Zahlungen an Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bistum Hildesheim werden aus einer dafür gebildeten Rückstellung im Haushalt des Bistums Hildesheim geleistet. Sie beläuft sich auf 7,3 Millionen Euro.
Vier Prozent der Kleriker sind laut Studie in Missbrauchsfälle verwickelt. Wie will die katholische Kirche künftig vorbeugen?
Im Bistum Hildesheim gibt es aufgrund einer breit angelegten Präventionsarbeit vielfältige Ressourcen für den Schutz vor sexualisierter Gewalt. Dazu gehören ausgebildete Präventionsfachkräfte. Sie helfen, Schutzkonzepte in kirchlichen Einrichtungen einzuführen. In den vergangenen Jahren schulte die Kirche von Hildesheim ihre Priester, Lehrer, Gemeindereferentinnen und Pfarrsekretärinnen – ebenso wie mehrere Tausend Gläubige, die sich ehrenamtlich in Pfarrgemeinden, weiteren kirchlichen Einrichtungen und Verbänden engagieren. Die Caritas organisierte Schulungen für ihre Mitarbeitenden in Kitas, in der Altenpflege und in weiteren Arbeitsfeldern. Wer neu im kirchlichen Dienst ist oder sich erst seit Kurzem ehrenamtlich engagiert, ist aufgerufen, sich schulen zu lassen.
Viele Menschen treten gegenwärtig aus der Kirche aus. In welchem Maß sind die Kirchensteuereinnahmen im Bistum Hildesheim im Jahr 2020 gesunken?
Die Kirchensteuereinnahmen beliefen sich in 2020 auf 174,2 Millionen Euro gegenüber 180,8 Millionen Euro im Vorjahr.