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Kinderschutz-Zentrum Bei mutmaßlichem Missbrauch bietet Kinderschutz-Zentrum Hilfe vor Ort

Das Kinderschutz-Zentrum hat an der Schlachte neue Räume und das Kollegium aufgestockt. Jetzt startet die aufsuchende Beratung für Kinder und Jugendliche. Bei Bedarf kommen Mitarbeiter auch nach Bremen-Nord.
03.07.2021, 06:00 Uhr
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Von Imke Molkewehrum

Gewalt gegen Kinder und Kindesmissbrauch sind Themen, die zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit stehen, denn die Zahlen sind alarmierend. Der Deutsche Kinderschutzbund Landesverband Bremen (DKSB) hat nun reagiert und sein Kollegium aufgestockt. Möglich war dies, weil die Beratungsstelle an die Schlachte umgezogen ist. Bis vor einem Jahr residierte der gemeinnützige Verein an der Humboldtstraße, fand aber ein geräumigeres Domizil in der Stadtmitte. "Wir haben gemerkt, dass es eine Unterversorgung gibt und die Dunkelziffer relativ groß ist. Durch die zusätzlichen Räume haben wir nun Platz für neue Berater", freut sich die DKSB-Geschäftsführerin Kathrin Moosdorf und betont: "Alle Angebote sind kostenlos."  

Ein Novum ist auch die bremenweite, aufsuchende Beratung, die das Kinderschutz-Zentrum seit Mitte Juni anbietet. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. "Das ist besonders wichtig für Kinder und Familien, die den Weg bis zu uns nicht schaffen", betont die 40-jährige Politikwissenschaftlerin. "Auch aus Bremen-Nord haben wir regelmäßig Anfragen, aber wohl wegen der Entfernung kommen relativ wenige Menschen persönlich vorbei. Daher ist die aufsuchende Beratung sehr sinnvoll. Und zum Glück hat die Bürgerschaft diesen Ansatz unterstützt."  

Die aufsuchende Beratung biete sich in vielfältigen Situationen an. "Sollte sich beispielsweise die Mutter eines Kleinkindes aus Huchting oder Bremen-Nord aufgrund häuslicher Gewalt an den Kinderschutzbund wenden oder ein Jugendlicher kommt mit seiner Lehrerin auf uns zu, ist ein Treffen vor Ort - jenseits der Geschäftsräume - bei Bedarf eine gute Alternative", so die Expertin. "Wer gerne anonym bleiben möchte, kann aber auch nur mit uns telefonieren. Das ist immer eine gute Idee." Kontakte entstehen oft über Lehrer, Erzieher oder Sozialpädagogen, die mit den Kindern arbeiten. Der Kinderschutzbund nutzt aber auch soziale Medien wie Instagram oder Informationsveranstaltungen, um auf seine Hilfsangebote aufmerksam zu machen. "Über verschiedene Stränge versuchen wir die Betroffenen zu erreichen", sagt Moosdorf. 

"Differenziert betrachtet sind Familien mit weniger Geld, beengtem Wohnraum und wenig Freizeitmöglichkeiten gestresster und wegen dieser Rahmenbedingungen anfälliger für Überforderung und Gewalt", räumt die Expertin ein. Auch sind die Lebensverhältnisse in den Bremer Stadtteilen sehr unterschiedlich. "Für Kinder macht es einen Unterschied, ob sie beispielsweise in Huchting oder in Schwachhausen aufwachsen“. Gewalt ist jedoch ein Thema das überall auftaucht. „Wir haben es mit sexueller, körperlicher und auch emotionaler Gewalt und Vernachlässigung zu tun. Auch das Miterleben von häuslicher Beziehungsgewalt ist für die Kinder sehr belastend. Alle Altersgruppen sind betroffen." Erschreckend sei, dass Betroffene sexueller Gewalt aktuell vier bis fünf Mal um Hilfe bitten, bis ihnen jemand glaubt. "Das müssen wir unbedingt ändern. Die Kinder melden sich manchmal selbst bei Lehrern und sagen, dass es ihnen nicht gut geht. Man muss ihnen dann unbedingt gut zuhören und das Gesagte ernst nehmen", betont Moosdorf. "Mögliche Indizien sind Angstzustände, Schlafstörungen, Rückzug oder Aggressionen. Jeder Fall ist anders." 

Aber auch das familiäre Umfeld müsse achtsam sein. Sollte beispielsweise die Schwiegermutter den Vater ihres Enkelkindes verdächtigen, dem eigenen Kind Gewalt anzutun, könne sie sich melden. "Gemeinsam wird dann ausgelotet, wie man vorgeht, um dem Kind zu helfen. Manchmal reicht es  schon, wenn die Oma sich mehr um das Kind kümmert, aber wenn nötig, kommt auch das Jugendamt ins Spiel", sagt Moosdorf. "Natürlich können uns auch Nachbarn anrufen, um Hilfe zu organisieren", betont die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Bremen und ergänzt: "Wir erfassen die Wohnorte und Daten der Leute nicht, die Anonymität wird gewahrt. 

Das sei auch machbar, wenn sich Nichtmuttersprachler beim Kinderschutzbund melden. "Wir decken Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch ab. Gut wäre es, wenn wir unser Sprachen-Tableau erweitern könnten, räumt Moosdorf ein. Fachkräfte mit Migrationshintergrund und guten Deutschkenntnissen seien im pädagogischen Bereich aber schwer zu finden. "Daher können Ratsuchende selbst eine Vertrauensperson mitbringen oder bei uns anrufen lassen." Bei Bedarf nutzen wir aber auch Dolmetscher mit Schweigepflicht, denn Missbrauch ist ein sehr sensibles Thema." 

Bei der aufsuchenden Beratung ist die totale Anonymität naturgemäß nicht möglich. Aber Diskretion ist oberstes Gebot. Perspektivisch will das Team vom Kinderschutz-Zentrum wegen der Entfernung zur Innenstadt nach zusätzlichen Räumlichkeiten in Bremen-Nord Ausschau halten, damit die Wege für Ratsuchende nicht so weit sind. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Aktuell machen sich die Berater bei Bedarf per Rad, Zug oder Auto auf den Weg gen Norden. Moosdorf: "Die Ratsuchenden sollten sich deshalb einfach bei uns melden, wir finden dann einen Weg."

Zur Sache

Fälle nehmen zu

Laut polizeilicher Kriminalstatistik gab es 2019 bundesweit rund 4000 Fälle von Kindesmisshandlung. Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr nicht gestiegen. Anders sieht es bei sexueller Gewalt an Kindern aus. Hier verzeichnet die Statistik knapp 16.000 Fälle und damit im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um mehr als 1300 Fälle. Noch gravierender ist der Anstieg der polizeilich erfassten Delikte im Bereich der Kinderpornografie. Hier wurde ein Anstieg um etwa 65 Prozent auf mehr als 12.200 Fälle registriert. Diese Zahlen hat die Bundesregierung Mitte 2020 veröffentlicht.

Fachleute schätzen jedoch, dass nur ein bis zwei Prozent aller Fälle von Kindesmissbrauch angezeigt werden. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet mit einer Million Kindern in Deutschland, die sexuelle Gewalt erleben oder erlebt haben. Im März hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen. Durch eine deutliche Verschärfung des Strafrechts, effektivere Strafverfolgungsmöglichkeiten sowie Stärkungen der Prävention und der Qualifikation in der Justiz sollen Kinder zukünftig besser vor Missbrauchstaten geschützt werden.

In Bremen fiel am 18. Juni beim Kinderschutz-Zentrum Bremen der Startschuss für die aufsuchenden Beratung für Kinder und Jugendliche. Die Stadt hat dafür 370.000 Euro bereitgestellt. Das Angebot soll Minderjährigen helfen, die von häuslicher Gewalt und/oder sexuellem Missbrauch betroffen sind. Die Kinderschutzzentren stehen in Deutschland in der Trägerschaft unterschiedlicher Organisationen. In Bremen ist der Träger der Deutsche Kinderschutzbund.

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