Gewalt gegen Kinder und Kindesmissbrauch sind Themen, die zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit stehen, denn die Zahlen sind alarmierend. Der Deutsche Kinderschutzbund Landesverband Bremen (DKSB) hat nun reagiert und sein Kollegium aufgestockt. Möglich war dies, weil die Beratungsstelle an die Schlachte umgezogen ist. Bis vor einem Jahr residierte der gemeinnützige Verein an der Humboldtstraße, fand aber ein geräumigeres Domizil in der Stadtmitte. "Wir haben gemerkt, dass es eine Unterversorgung gibt und die Dunkelziffer relativ groß ist. Durch die zusätzlichen Räume haben wir nun Platz für neue Berater", freut sich die DKSB-Geschäftsführerin Kathrin Moosdorf und betont: "Alle Angebote sind kostenlos."
Ein Novum ist auch die bremenweite, aufsuchende Beratung, die das Kinderschutz-Zentrum seit Mitte Juni anbietet. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. "Das ist besonders wichtig für Kinder und Familien, die den Weg bis zu uns nicht schaffen", betont die 40-jährige Politikwissenschaftlerin. "Auch aus Bremen-Nord haben wir regelmäßig Anfragen, aber wohl wegen der Entfernung kommen relativ wenige Menschen persönlich vorbei. Daher ist die aufsuchende Beratung sehr sinnvoll. Und zum Glück hat die Bürgerschaft diesen Ansatz unterstützt."
Die aufsuchende Beratung biete sich in vielfältigen Situationen an. "Sollte sich beispielsweise die Mutter eines Kleinkindes aus Huchting oder Bremen-Nord aufgrund häuslicher Gewalt an den Kinderschutzbund wenden oder ein Jugendlicher kommt mit seiner Lehrerin auf uns zu, ist ein Treffen vor Ort - jenseits der Geschäftsräume - bei Bedarf eine gute Alternative", so die Expertin. "Wer gerne anonym bleiben möchte, kann aber auch nur mit uns telefonieren. Das ist immer eine gute Idee." Kontakte entstehen oft über Lehrer, Erzieher oder Sozialpädagogen, die mit den Kindern arbeiten. Der Kinderschutzbund nutzt aber auch soziale Medien wie Instagram oder Informationsveranstaltungen, um auf seine Hilfsangebote aufmerksam zu machen. "Über verschiedene Stränge versuchen wir die Betroffenen zu erreichen", sagt Moosdorf.
"Differenziert betrachtet sind Familien mit weniger Geld, beengtem Wohnraum und wenig Freizeitmöglichkeiten gestresster und wegen dieser Rahmenbedingungen anfälliger für Überforderung und Gewalt", räumt die Expertin ein. Auch sind die Lebensverhältnisse in den Bremer Stadtteilen sehr unterschiedlich. "Für Kinder macht es einen Unterschied, ob sie beispielsweise in Huchting oder in Schwachhausen aufwachsen“. Gewalt ist jedoch ein Thema das überall auftaucht. „Wir haben es mit sexueller, körperlicher und auch emotionaler Gewalt und Vernachlässigung zu tun. Auch das Miterleben von häuslicher Beziehungsgewalt ist für die Kinder sehr belastend. Alle Altersgruppen sind betroffen." Erschreckend sei, dass Betroffene sexueller Gewalt aktuell vier bis fünf Mal um Hilfe bitten, bis ihnen jemand glaubt. "Das müssen wir unbedingt ändern. Die Kinder melden sich manchmal selbst bei Lehrern und sagen, dass es ihnen nicht gut geht. Man muss ihnen dann unbedingt gut zuhören und das Gesagte ernst nehmen", betont Moosdorf. "Mögliche Indizien sind Angstzustände, Schlafstörungen, Rückzug oder Aggressionen. Jeder Fall ist anders."
Aber auch das familiäre Umfeld müsse achtsam sein. Sollte beispielsweise die Schwiegermutter den Vater ihres Enkelkindes verdächtigen, dem eigenen Kind Gewalt anzutun, könne sie sich melden. "Gemeinsam wird dann ausgelotet, wie man vorgeht, um dem Kind zu helfen. Manchmal reicht es schon, wenn die Oma sich mehr um das Kind kümmert, aber wenn nötig, kommt auch das Jugendamt ins Spiel", sagt Moosdorf. "Natürlich können uns auch Nachbarn anrufen, um Hilfe zu organisieren", betont die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Bremen und ergänzt: "Wir erfassen die Wohnorte und Daten der Leute nicht, die Anonymität wird gewahrt.
Das sei auch machbar, wenn sich Nichtmuttersprachler beim Kinderschutzbund melden. "Wir decken Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch ab. Gut wäre es, wenn wir unser Sprachen-Tableau erweitern könnten, räumt Moosdorf ein. Fachkräfte mit Migrationshintergrund und guten Deutschkenntnissen seien im pädagogischen Bereich aber schwer zu finden. "Daher können Ratsuchende selbst eine Vertrauensperson mitbringen oder bei uns anrufen lassen." Bei Bedarf nutzen wir aber auch Dolmetscher mit Schweigepflicht, denn Missbrauch ist ein sehr sensibles Thema."
Bei der aufsuchenden Beratung ist die totale Anonymität naturgemäß nicht möglich. Aber Diskretion ist oberstes Gebot. Perspektivisch will das Team vom Kinderschutz-Zentrum wegen der Entfernung zur Innenstadt nach zusätzlichen Räumlichkeiten in Bremen-Nord Ausschau halten, damit die Wege für Ratsuchende nicht so weit sind. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Aktuell machen sich die Berater bei Bedarf per Rad, Zug oder Auto auf den Weg gen Norden. Moosdorf: "Die Ratsuchenden sollten sich deshalb einfach bei uns melden, wir finden dann einen Weg."