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Das Interview „Wir sind mehr römisch, aber wenig katholische“

Ute Zeilmann, die neue Pastoralreferentin im Dekanat Bremen-Nord, fordert mehr Gleichberechtigung für Frauen in der katholischen Kirche.
01.09.2021, 12:59 Uhr
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Von Winfried Schwarz

Ab 1. September ist Ute Zeilmann Pastoralreferentin im Dekanat Bremen-Nord.

Frau Zeilmann, den Umzug haben Sie hinter sich, eine Wohnung gefunden und bezogen. Konnten Sie sich schon ein Bild vom Dekanat Bremen-Nord machen?

Der Umzug hat sehr gut funktioniert. Ich bin gerne hier und genieße das maritime Flair, das die Weser für mich ausstrahlt, zum Beispiel im Vegesacker Stadtpark. Zwischenzeitlich war ich in allen Stadtteilen, die zu Bremen-Nord gehören, in Osterholz-Scharmbeck und Schwanewede. Lilienthal und Blumental hatte ich im Juni besucht. Hier ist alles dabei, Stadt und Land; Bremen und Niedersachsen. Ich bin gespannt.

Sie waren sehr lange in Ihrer Familie eingespannt in die Pflege Ihres Vaters und haben, gebunden an Ihren Herkunftsort, auf Karriere verzichtet. Wie sehr hat das Ihre Lebensvorstellungen eingeengt?

Karriere zu machen in der katholischen Kirche als eine direkt kommunizierende, klar und konstruktiv-kritisch urteilende Person und auch noch theologisch gut gebildete und politisch interessierte Frau ist sehr schwer. Das ist meine Erfahrung. In meinem Alter erwartet man eher, dass ich in der Familie eingespannt bin und nicht, dass ich was zu sagen und zu gestalten habe. Ich habe zu oft erlebt, dass ich zu anstrengend und fordernd bin. Ich habe mich 2006 freiwillig entschieden, mich um meinen Vater zu kümmern. Es waren harte Jahre, Studium, Berufsausbildung mit der Pflege zu vereinbaren. Dennoch habe ich die Möglichkeit ergriffen, mich durch die Promotion weiter zu qualifizieren. Und für die Seelsorge habe ich in der Zeit wohl mehr gelernt als in allen Seminaren dieser Welt.

Sie kommen aus dem von Bremen aus gesehen überwiegend katholischen Süden Deutschlands in eine echt norddeutsche Diaspora. Warum?

Der katholische Süden ist längst nicht so katholisch, wie es scheint. Vieles, was da noch funktioniert, hat rein traditionelle Gründe, die nicht immer die aufrichtigsten und christlichsten sind. Es beginnt auch dort sehr stark zu erodieren. Man verschanzt sich hinter dem Kirchenrecht, Finanz- und Verwaltungsrecht, hält sich fest an den Treuen, die noch freiwillig in die Eucharistiefeiern kommen und sieht nicht die Verantwortung für die anderen Kirchenglieder, die nicht mehr kommen.

Bei Ihrer Verabschiedung in Wertheim haben Sie gesagt: „Ich muss mal für ein paar Jahre in die Nähe meiner persönlichen Seelsorgerin – und das ist die Nordsee.“ Wie ist das zu verstehen?

Ich habe mich, als ich im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal an der Nordsee war, in diese Weite, in diese Gegend verguckt. Mit jedem Urlaub ist die Sehnsucht gewachsen, eines Tages hier zu leben. Der Wind reinigt den Kopf, die Seele und das Herz. Diese Zuverlässigkeit, aber auch Unberechenbarkeit der Naturgewalten geben mir Energie und Weite im Denken, Fühlen und hoffentlich auch Handeln.

Sie beginnen Ihren Dienst im Dekanat in einer Zeit, in der die katholische Kirche durch die Missbrauchsskandale viel Vertrauen verloren hat und die Mitglieder ihr in Scharen weglaufen. Wie sehr belastet Sie das?

Mich belastet es schon, da ich die strukturelle Schuld sehe. Ich bin Teil eines Systems, das Menschen zu Opfern gemacht hat und macht, das Menschen diskriminiert und nicht ernst nimmt und das unfähig oder unwillig ist, wirklich grundlegend etwas zu verändern. Mich belastet aber mehr, was hinter dem Missbrauch steht: Klerikalismus und Machtkonzentration, ein absolutistisches Amtsverständnis, dass wir eine stark hierarchische und wenig geschwisterliche Kirche sind. Dass wir in der katholischen Kirche mehr römisch sind, aber wenig katholisch. Katholisch bedeutet allumfassend und Vielfalt aushaltend und nicht immer zu sagen und darüber zu streiten, was ist richtig und besser. Bei Missbrauch haben viele weggeschaut. Das ist nichts, was nur einen Bischof, einem Personalchef anzulasten ist oder nur ein Problem der Hauptamtlichen. Es haben Eltern weggesehen, Ministranten und Ministrantinnen, Freunde, Mitarbeitende, Gemeinden. Wir können nur lernen, alle achtsamer zu sein.  Wir müssen fragen, was ist katholische Kirche? Ist das nur ein überhöhtes Amtsverständnis, in dem Papst, Bischöfe und Priester heiliger und würdiger sind als andere?

Sehen Sie in Ihrem Amt Möglichkeiten, Vertrauen wieder herzustellen?

Ja, indem wir nicht den Schein einer heiligen, reinen, makellosen Kirche in dieser Welt aufrechterhalten durch unser Tun, sondern mutig sind, auch konstruktiv-kritisch zu sein, uns zu besinnen, wozu Kirche da ist.

Wir müssen auch über die Stellung der Frauen in der katholischen Kirche sprechen. Einiges hat sich inzwischen verbessert, doch gibt es da noch Potenzial?

Definitiv gibt es Potential. Verbessert hat sich etwas - ganz klar: Wir haben mehr Frauen in Leitungsaufgaben auf Bistumsebene, in Verwaltung, Justiziariat, Öffentlichkeitsarbeit. Pastoralreferentinnen wie auch Gemeindereferentinnen hingegen sind noch nicht so ganz gleichberechtigt. Hier würde ich mir deutlich mehr Kollegialität und gemeinsame, geteilte Leitungsverantwortung wünschen. Auch im liturgischen Leitungsbereich sind Frauen unterrepräsentiert. Ich bin froh, dass Bischöfe offen darüber diskutieren und wissen, dass sie die Frauen und ihr Potenzial zunehmend verlieren. Zuallererst muss grundsätzlich das katholische Lehramt aufhören, Frauen als Sonderwesen zu betrachten und nur naturrechtlich-biologisch zu definieren. Der nächste, längst überfällige Schritt: Frauen in allen kirchlichen Ebenen in pastorale Leitungsverantwortung bringen und etablieren. Und dann ist es theologisch durchaus möglich, die Weiheämter Frauen zu öffnen.

Das Interview führte Winfried Schwarz

Zur Person

Ute Zeilmann (36), geboren in Bayreuth, aufgewachsen im Ahorntal, Studium katholische Theologie im Diplomstudiengang in Bamberg und München, Ausbildung zur Pastoralreferentin im Erzbistum Bamberg, Promotionsstudium in Kooperation mit der Universität Würzburg; Dissertation mit dem Titel: „Theologie und Exegese der Gottesknechtslieder“. 2017 Wechsel ins Erzbistum Freiburg und bis zuletzt Leitung eines ökumenischen  Kirchenzentrums in Wertheim. 

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