Der Weg in sein Refugium führt in einem dieser typischen schmalen Reihenhäuser in Oslebshausen über eine steile Stiege in den dritten Stock. In diesen kleinen Raum mit Dachschräge und schönem Lichteinfall, zieht sich Enock Chairway jeden Tag nach der Arbeit zurück. Diese Zeit braucht er, um runterzukommen, um seine Gedanken frei zu lassen und um sich an die Staffelei zu stellen und abzutauchen in seine Welt. Hier findet er alles, was er dazu braucht. Leinwände auf Rahmen, Farben, Pinsel, kleine Spatel und verschiedenste Bleistifte. Doch die Welt des Malens und Zeichnens ist nur die eine Seite der Persönlichkeit des Ghanaers. Denn mindestens zweimal in der Woche geht es nach dieser inneren Einkehr wieder raus in die raue Wirklichkeit des Amateursports. Dann zieht es den 33-Jährigen an die Sperberstraße, zum Fußball-Training beim Landesliga-Aufsteiger SV Grambke-Oslebshausen.
Krasser könnte der Gegensatz wohl kaum sein, könnte man meinen, doch es sind diese zwei Leidenschaften, die Enock Chairway ausmachen. In beiden Bereichen kann er seine filigranen Fähigkeiten einsetzen. Ob mit seinen Porträtzeichnungen, seinen abstrakten Werken oder mit dem Ball am Fuß. „Da sind zwei Seelen in mir, wobei der Fußball immer noch auf Platz eins steht“, sagt er. Sein Sport führte ihn auch auf direktem Weg zum SVGO, als er nach Bremen kam. „Er stand eines abends in der Vorbereitung auf einmal am Trainingsplatz und fragte, ob er mitmachen könnte“, erinnert sich SVGO-Trainer Christopher Riedel.
Er konnte und Riedel erkannte sofort die technischen Fähigkeiten Chairways. „Er hat eine herausragende Ballbehandlung“, so Riedel, der seinen Neuzugang sofort ins Mittelfeld beorderte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Coach seinen Zehner noch als Enock Maguru angekündigt, doch das ist eigentlich sein Spitzname, den er in seiner Zeit in Braunschweig bekommen hat. „Das heißt so in etwa Meister und seitdem heiße ich sogar in meinem Spielerpass Maguru“, sagt der kickende Künstler und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Bis jetzt, hier in Bremen. Hier geht alles seinen ganz offiziellen Gang und jetzt steht dort wieder Chairway.“
Bis er beim SVGO auftauchte, lag bereits eine ganze Odyssee hinter ihm. Denn jahrelang hatte er versucht, Fußball zu seinem Beruf zu machen. Enock Chairway kommt aus einer kleineren Stadt in Ghana, ging dann in die Hauptstadt Accra, spielte für den Verein Hearts of Oak in den verschiedensten Teams und stellte dort über einen Vermittler Kontakte zu einigen europäischen Mannschaften her. „Ich war schon in Russland, Frankreich, Andorra und anderen Ländern. Letztlich hat es aber nicht geklappt und so habe ich dann irgendwann diesen Traum vom Profifußball begraben“, sagte er. In Accra konnte er aber auch seine zweite Passion ausleben und beendete sein Studium der Künste mit einem Diplom. „Einige sagen, ich hätte großes Talent, sowohl im Fußball als auch beim Zeichnen. Doch ich meine, ich habe mir alles hart erarbeitet und in beides viel Training investiert.“
Er sieht noch eine ganz entscheidende Verbindung zwischen seinen Leidenschaften. „Die Kunst bedeutet für mich Freiheit. Die steckt auch in mir und ich kann sie ausleben. Im Fußball gibt es zwar Regeln, aber innerhalb dieser Regeln kann ich auch meine Kreativität ausleben. Das ist für mich sehr wichtig“, sagt Chairway. 2009 kam er schließlich nach Deutschland, über Braunschweig nach Leer, spielte dort für den niedersächsischen Landesligisten VfL Germania Leer, wechselte zu BW Ramsloh und landete schließlich in Oslebshausen.
Künstlerisch hatte er bereits Erfolge, unter anderem mit Ausstellungen in Leer oder auch im Völkerkunde-Museum in Hamburg. Leben kann er sowohl von der Kunst als auch vom Fußball nicht. „Ich interessierte mich immer schon für Autos und so wurde ich in Leer bei Mercedes zum KFZ-Mechatroniker ausgebildet“, sagt er. In Bremen arbeitet er aber im Metallbau, was auch seinem geliebten Sport geschuldet bist. „Diese Arbeitszeiten kann ich einfach besser mit dem Training abstimmen“, so Chairway.
Um fit zu bleiben, schiebt er neben dem Mannschaftstraining auch individuelle Sonderschichten. Kampf ja, aber überhartes Einsteigen waren nie sein Ding und jetzt mit etwas fortgeschrittenem Sportleralter versucht er, alle Situationen spielerisch zu lösen. „Wenn ich mir meine geschundenen Schienbeine anschaue, ist das mittlerweile wohl auch besser für meine Gesundheit“, sagt er. Diese leichte Zurückhaltung entspricht auch seinem Charakter. „Ich bin nicht der Partymensch. Ich ziehe mich lieber zurück.“ Seine Leidenschaft schlummert aber tief in ihm und bricht oftmals spontan durch. So beschreibt er seine Bilder als intensiv und emotional. „Wenn ich eine Inspiration habe, muss ich die auch sofort auf die Leinwand bringen. Da kann es schon sein, dass ich die Nacht durchmache, um meine Vorstellungen auch umsetzen zu können“.
Fußball scheint folglich nicht nur eine Leidenschaft, sondern auch ein weiteres Ventil zu sein, um die Gedanken zu ordnen. Seine Kreativität auf dem Platz kann er an diesem Sonntag auch erstmals vor eigenem Publikum beweisen. Nach dem 1:1 zum Auftakt beim ATS Buntentor, tritt um 13 Uhr der SV Werder Bremen III an der Sperberstraße an. Enock „Maguru“ Chairman kennt den Gegner ohnehin nicht und macht sich noch keine großen Gedanken. Er ist zuversichtlich: „Wir haben eine gute Mannschaft. Ich glaube an unser Team.“