Vegesack. Die gut 30 Autoren von „Gastgeber Sprache“ sind im Alter zwischen Mitte 40 und Mitte 80. Sie eint die Freude am Schreiben. Deshalb haben sie sich in der Literatur-Gemeinschaft zusammengetan, um ihrer Leidenschaft ein Forum zu geben. Bereits zum fünften Mal ziehen die Mitglieder an einem Strang und präsentieren in diesem Jahr ein sechswöchiges Festival mit 31 Lesungen an mehr als 20 Orten in Bremen-Nord und umzu.
Der Startschuss ist eine Lesung von 16 Autoren am Freitag, 28. Februar, um 19 Uhr in der Stadtbibliothek Vegesack. An diesem ersten Abend werden die Schriftsteller kurze eigene Texte zum Thema „Menschenskinder“ vortragen, die sie eigens für diese Veranstaltung geschrieben und in einem Heft publiziert haben. Eine identische Lesung bildet am Dienstag, 14. April, um 17 Uhr auch den Schlussakkord der Veranstaltungsreihe; dann jedoch in der Krimibibliothek der Zentralbibliothek am Wall.
Eine bewegende Kurzgeschichte hat Knut Addicks für „Menschenskinder“ aufgeschrieben. In kurzen Sätzen schildert er aus der Perspektive eines dreijährigen Jungen, wie dieser mitten im Krieg ungewollt einen Zimmerbrand entfacht. Seine persönliche Erinnerung an dieses prägende Ereignis klingt aus jeder seiner Zeilen und berührt unmittelbar. Ergreifend ist auch Gerhard Koopmanns Kurzgeschichte „Die neue Mutter“. Hier schildert er aus der Ich-Perspektive seine Hoffnung auf mütterliche Zuneigung, die durch einen einzigen Satz zerstört wird.
Die Veranstaltungsreihe „Gastgeber Sprache“ wurde im Jahr 2016 von einem Kreis freier Autoren ins Leben gerufen. Sie wollten die bisherige Veranstaltungsreihe „Punkt 11“, die bis dahin ausschließlich in der Stadtbibliothek Vegesack stattfand, um Lesungen an anderer Orten erweitern. Die eignen Texte sollten fortan nicht nur in klassischen Form, sondern auch in unkonventionellen Performances an unterschiedlichen Orten präsentiert werden. Zwischen Auftakt und Schlussakkord erleben die Gäste daher nun allerorten Kurzprosa, Lyrik, Thriller oder Krimis; im Seniorenheim, im Bewohnertreff der Grohner Düne, im Kindergarten, beim Turn- und Heimatverein, im Doku Blumenthal und im Café Nunatak.
Hervorzuheben sind auch die Wohnzimmer-Lesungen. Fernande Kuhlmann-Kirchmeyer hat ihre Privaträume vor Jahren für die erste Lyrik-Lesung dieser Art zur Verfügung gestellt. „13 Leute sind gekommen, darunter waren viele Herren“, erinnert sich die 82-Jährige. Ein Text wirke im privaten Ambiente ganz anders als auf einer öffentlichen Bühne, hat sie beobachtet. „Die Wörter kommen einem viel näher.“ Für diese Lesungen müssen sich die vorab Gäste anmelden. Auch Heide Bollmann stellt in diesem Jahr ihr Wohnzimmer für eine Lesung zur Verfügung. Sie liest aus ihrem Pilgerbericht über eine Tour durch Frankreich. „Ich schreibe über das, was ich erlebe“, sagt die 73-Jährige und strahlt. Letztes Mal waren knapp 30 Leute da, der Platz findet sich. Ich mache Kaffee, Tee und backe Kuchen.“
„Von Jahr zu Jahr besser“
Unter dem Titel „Zwischen Zeiten und Zeilen verweilen“ lädt Eva Hütter zu einer Lesung ins heimische Wohnzimmer ein. Die 66-Jährige präsentiert Gedichte, Reime und Lyrik. „Lyrik ist besonders schwierig, weil man erst einen Zugang finden muss“, sagt sie. Deshalb beziehe sie sich dabei auf Dinge aus dem alltäglichen Leben.
Gecoacht werden die Schriftsteller von der Schauspielerin und Regisseurin Franziska Mencz. Sie hilft ihnen, sich selbst gut zu inszenieren, die Stimme dem Inhalt anzupassen und Spannungsbögen aufzubauen. Schirmherr der Veranstaltungsreihe ist Henning Scherf, der auch selbst in der Stadtbibliothek Vegesack liest. Gemeinsam mit Jochen Windheuser widmet sich der Ex-Bürgermeister unter dem Titel „... wie um ihren Träumen treu zu bleiben“ dem Thema Nicaragua. Dort waren sich die beiden Bremer vor Jahren begegnet. „Ich habe angeregt, mal nicht über das Alter zu reden“, sagt der 73-jährige Windheuser mit einem Augenzwinkern.
Seine eigenen Texte über Nicaragua habe er zwar nie veröffentlicht, „nun aber wieder ausgegraben“. Im Doku Blumenthal liest Windheuser zudem aus seinem historischen Roman „Ingólfur – ein Leben in Island“. Er spielt im 13. Jahrhundert und handelt von den damaligen Clankriegen, „bei denen die Isländer ihre Republik verspielt haben“.
Martin Renz, Leiter der Stadtbibliothek Vegesack, ist begeistert, von der Zusammengehörigkeit der mehr als 30 Autoren. „Das ist kein bunter Haufen, sondern ein Netzwerk, das von Jahr zu Jahr besser wird. Ebenso wie die Inszenierungen.“ Als neuen Kooperationspartner begrüßt „Gastgeber Sprache“ in diesem Jahr das Bremer Literaturkontor. Für das Format „Minilit spezial“ entsendet die 1983 geschaffene Anlaufstelle der Bremer Literaturszene vier Jungautoren ins Nunatak nach Blumental. Die Protagonisten präsentieren in ihren 15-minütigen Kurzlesungen jeweils einen Text.
Das gesamte Programm von „Gastgeber Sprache 2020“ ist einsehbar unter: www.stabi-hb.de/gastgeber-sprache-2020.