Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Mädchentreff Lilas Pause „Beratungsbedarf ist enorm gestiegen“

Die derzeitige Situation beobachtet die Leiterin des Nordbremer Mädchentreffs „Lilas Pause“ mit Sorge: „Die Zwölf- bis 24-jährigen Mädchen und jungen Frauen haben einen großen Beratungsbedarf.“
25.02.2021, 12:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Iris Messerschmidt

Seit 23 Jahren arbeitet Christiane Gruber nun an unterschiedlichen Stellen in der Jugendhilfe. Im Lauf der Jahre hat sie sehr gut gelernt, Privates von Beruflichem zu trennen, nicht jedes Problem mit nach Hause zu nehmen. „Ich konnte das schon immer gut trennen“, gesteht sie. Doch die derzeitige Situation beobachtet auch die Leiterin des Nordbremer Mädchentreffs „Lilas Pause“ mit Sorge: „Zwölf- bis 24-jährige Mädchen und jungen Frauen haben einen großen Beratungsbedarf.“ Dazu geselle sich Rückzug, Antriebsschwäche, Depressionen, was wiederum zu vermehrter Beratungsanfrage führe. „Eine ungesunde Mischung, ein besorgniserregender Kreislauf“, so Gruber.

Der Mädchentreff „Lilas Pause“ verfolgt seit mehr als zwei Jahrzehnten vor allem ein Ziel: die Gleichstellung von Mädchen und jungen Frauen im gesellschaftlichen, beruflichen und kulturellen Leben zu unterstützen. Hervorgegangen ist die Einrichtung für Mädchen und junge Frauen zwischen zehn und 21 Jahren aus einer Initiative mehrerer Jugendeinrichtungen in Bremen-Nord. Die veranstalteten damals regelmäßig „Mädchenaktionstage“ zum Internationalen Frauentag. So entstand ein Mädchenparlament, das sich unter anderem den Aufbau des Mädchentreffs zum Ziel setzte.

Wie der Treff zu seinem Namen gekommen ist, dazu gibt es eine Geschichte. „Die Firma Kraft-Jacobs Suchard unterstützte das Projekt damals mit einer Spende“, erzählte 2017 zum 20-Jährigen Silke Ulrich, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei dem Träger des Mädchentreffs, der Awo Bremen. „Bezugnehmend auf ein Produkt der Firma wurde übergangsweise der Arbeitstitel Lila Pause gewählt. Später entstand dann der Name 'Lilas Pause' für den Mädchentreff, weil die Farbe Lila mit der Frauenbewegung verknüpft wird und Lila gleichzeitig ein Frauenname ist.“

Der Treff in der Alten Hafenstraße bietet seit seiner Gründung niedrigschwellige Beratungsangebote zu Konflikten, zum Übergang von der Schule in den Beruf, über Ess-Störungen und zu Sexualität. Die Hauptnutzerinnen sind Zehn- bis 14-jährige Mädchen. Bei besonderen Problemlagen erfolgt eine Vermittlung der Mädchen an zuständige Beratungsstellen. Auch Einzelgespräche werden, wenn gewünscht, angeboten. „Das ist momentan vermehrt der Fall“, berichtet Christiane Gruber, die seit 2014 den Mädchentreff mit leitet.

Anfangs habe es feste Gruppenangebote gegeben, inzwischen sei dies auf mehr offene, themenbezogene Angebote umgestellt worden, da sich die Besucherinnenstruktur verändert habe, berichtet Christiane Gruber von üblichen Abläufen, die mit der Corona-Pandemie einen Einbruch erlebten. „Mädchen aus Familien mit Migrationshintergrund sind häufig in festen familiären Strukturen verankert, sodass die Resonanz bei offenen Angeboten größer ist“, hat Christiane Gruber im Lauf der Jahre beobachtet. Offene Treffen seien aber für alle unverbindlich, die Mädchen und jungen Frauen könnten kommen, müssten es aber nicht. Diese Unverbindlichkeit sei es am Ende häufig, die Vertrauen schaffe.

„Wenn sich eine Gelegenheit bietet, dann bittet die eine oder andere auch schon mal um ein Gespräch unter vier Augen“, erzählt Christiane Gruber. Sie weiß aber ebenso, „wenn ich mal nach dem Befinden frage, kann es aber auch durchaus eine ablehnende Haltung geben“. Laute Worte, Tür knallen – Christiane Gruber hat schon viel erlebt. „Es ist die Pubertät, sind halt Teenager und nicht jede kann sich sofort öffnen“, versucht sie diese Erlebnisse einzuordnen und sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen. „Es kommen ja auch im Nachhinein Entschuldigungen“, weiß sie, gesteht aber auch: „Die Toleranz hat Grenzen. Homophobie, Mobbing, Diskriminierung, Ausländerfeindlichkeit und Ähnliches haben in unserem Treff keinen Platz.“

Was im Lauf der Jahre auf jeden Fall seinen festen Platz im Mädchentreff gefunden hat, sind Angebote wie Tanzen, Kreativwerkstätten oder interkulturelles Kochen. Seit zwei Jahren gibt es auf Betreiben von Christiane Gruber auch ein offenes Atelier. Die Sozialpädagogin wollte ihren Berufsalltag kreativer gestalten, machte noch eine Zusatzausbildung zur Kunsttherapeutin, um den Jugendlichen eine weitere Form der Ansprache zu bieten. 2008 legte sie sogar nochmal ein Zusatzstudium als freischaffende Künstlerin ab. Wo anfangs nur projektbezogenes Arbeiten einmal in der Woche in Kunst möglich war, können sich die Mädchen und jungen Frauen jetzt fünf Tage lang den Themen widmen, die sie künstlerisch ausdrücken wollen. „Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass sie den sogenannten Kunstführerschein ablegen. Danach können sie frei im Atelier arbeiten, alle vorhandenen Materialien nutzen – wie das praktisch auch Künstlerinnen tun.“ Christiane Gruber arbeitet fünf Stunden für das Jugendforum auch im Stadtteil, wird als Vollzeitkraft im Übrigen seit Oktober 2020 von Julia Kahle als Teilzeitkraft unterstützt. „Sie begann in einer sehr schwierigen Zeit“, so Gruber.

Die offene Jugendarbeit, sie ist Christiane Grubers Steckenpferd. Wenn die 43-Jährige auch froh ist, dass sie mit der Fahrt ins Zuhause nach Hemelingen den nötigen Abstand vom Treff-Erleben bekommt und ihr Lebenspartner mit seiner Arbeit als Lehrer sehr wohl ihren Berufsalltag versteht. Mit seinen beiden sechs und neun Jahre alten Kindern, „erleben wir einen ganz guten und normalen, familiären Alltagswahnsinn“. Und Gruber gesteht, „ich bin zwar sehr empathisch und somit ganz bei den Jugendlichen und ihren Problemen. Ich kann mich aber auch gut abgrenzen.“ Eine Fähigkeit, die derzeit häufiger notwendig scheint.

Zwar könne der Mädchentreff über soziale Medien immer noch zu 80 Prozent den Kontakt halten, doch jetzt zeige sich immer öfter „eine depressive Verstimmung“. Selbst junge Frauen, von denen Christiane Gruber lange nichts mehr hörte, melden sich plötzlich bei ihr: „Arbeitsplatzverlust in der Altenpflege, Impftermin verschoben, zu Hause kein Ansprechpartner.“ Christiane Gruber hört zu, klärt auf, gibt nach Möglichkeit Hilfestellungen oder vermittelt weitere Ansprechpartner und ist froh, dass es auch während der Corona-Pandemie noch Zweiergespräche gibt, „theoretisch auch bei einem Lauftraining an der frischen Luft, wenn es digital nicht klappt“.

Was sie sich für die Zukunft wünscht? „Dass wir weiter viele Mädchen erreichen und dafür sorgen, dass sie den Treff als attraktiv empfinden. Und dass die bunte Angebots- und Nutzerinnenvielfalt erhalten bleibt – genauso wie die Regelfinanzierung."

Info

Zur Sache

Konzept für queere Mädchen und junge Frauen

Frauen, Lesben, Trans und eine Form von A-Sexualität, sie alle sollen sich hier wiederfinden, in der neu zu gründenden „Flinta“-Gruppe. An dem Konzept arbeitet gerade das Team des Mädchentreffs „Lilas Pause“ in der Alten Hafenstraße. „Wir haben die Corona-Zeit genutzt, um gemeinsam mit einer eigens geschulten Übungsleiterin ein entsprechendes Konzept auf die Beine zu stellen. Wir sind sozusagen in den Startlöchern“, macht Christiane Gruber im Gespräch deutlich. Allerdings warten die Organisatoren noch darauf, dass es Lockerungen des Lockdowns gibt und sich wieder mehr Menschen treffen können. „Wir würden gern zumindest eine kleine Flinta-Gruppe mit vier bis fünf Jugendlichen ins Leben rufen“, so Christiane Gruber. Ihren Platz sollen in dieser Gruppe auch queere Jugendliche finden, die sich selbst nicht klassisch als Mädchen oder junge Frau fühlen, und deshalb auch keine Selbsthilfegruppe oder sonst einen Ansprechpartner gefunden haben. „Die Hemmschwellen sind oft groß“, weiß Christiane Gruber und berichtet, dass laut Statistik rund zehn Prozent der Jugendlichen queer seien. „Das ist in unserer Gesellschaft aber so gut wie gar nicht sichtbar. Darüber hinaus gibt es kaum Online-Hilfsangebote.“ Die neue „Flinta“-Gruppe will den Jugendlichen helfen, herauszufinden, wer sie sind und wie sie sich persönlich und gegebenenfalls auch beruflich entwickeln können. „Mit Beratung zur Eigenidentifizierung, Flinta will eine Anlaufstelle in Bremen-Nord für diese Jugendlichen sein.“ Infos dazu gibt es beim Mädchentreff Lilas Pause, Alte Hafenstraße 6, Telefon 04 21 / 65 11 44.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)