Vegesack. Wer zuweilen den Spruch "Bei denen möchte ich gerne mal Mäuschen spielen" auf den Lippen hat, der ist derzeit bei Cordula Stratmann richtig. Die erfolgreiche Komödiantin hat nämlich genau dieses Mäuschen als Lesestoff erschaffen. Britta heißt das kleine Felltier mit Beziehungsproblemen, das eine erstaunliche Beobachtungsgabe menschlicher Verhaltensmuster besitzt.Sehr zum Vergnügen der vielen Zuhörer im Kulturbahnhof. Doch bei genauerem Hinsehen steckt hinter Britta noch viel mehr.
Gleich vorweg: Was als leicht absurde Geschichte mit Schmunzelcharakter daher kommt, hat sehr viel mehr Tiefe, als es auf den ersten Blick scheint. "Danke für meine Aufmerksamkeit" heißt das Buch von Cordula Stratmann, in dem die Protagonistin, die Hausmaus Britta, sich gleich zu Beginn auf der Straße wiederfindet. Nach zwei Jahren fiel ihrem Lebensgefährten Tim, einer chinesischen Reisfeldmaus, ein, dass er ein neues aufregendes Leben möchte – und dies in seiner Heimat China. Tim reist ab und Britta sucht ein neues Heim.
Sie findet dieses Zuhause bei der elfjährigen Polly. Der Eindruck zu Beginn der Lesung, dass es sich hier um eine kindlich fantasievolle und durchweg humoristische Geschichte handelt, ist in großen Teilen dem schauspielerischen Talent Cordula Stratmanns geschuldet. Mit starkem Ausdruck und Stimmgewalt schafft sie es – selbst einfach auf der Bühne sitzend –, den Zuhörern immer wieder ein Lachen zu entlocken. Dabei sind die Beobachtungen der kleinen Maus in großen Teilen alles andere als witzig.
Die elfjährige Polly beispielsweise hat sich ganz in ihre Gedankenwelt zurückgezogen, nimmt das morgendliche Schreien ihrer Mutter als Wecker, sieht das ständige Gebrüll als Krankheit, "eine Art Nervenbehinderung", und wundert sich – im Gegensatz zur europäischen Hausmaus Britta – auch gar nicht mehr über das völlige Desinteresse des Vaters.
Das Erbe als einstige Familientherapeutin ist Cordula Stratmanns Buch durchaus anzumerken. Hausmaus Britta reist von einem Extrem ins nächste, wohnt von montags bis freitags bei Kollegen von Polly – sieben Kinder, die sich jeden Dienstag in der Garage ihrer Lehrerin heimlich in einer Gruppe treffen.
Da ist dann beispielsweise der ADHS-geplagte Felix, der von seinen Tabletten ständig brechen muss. Dieses wiederum nutzt die, mit einer übervorsorglichen Mutter ausgestattete Mara, um an ihrem Vater nicht nur Felix’ Tabletten, sondern auch ihren Wunsch, später Medizinerin zu werden, auszuprobieren. Bettnässer, Angstzustände, Vernachlässigung, überforderte Eltern – all dies beobachtet Britta. Das bringt sie zu der Frage an den Mensch: "Ich habe keine Ahnung, warum man Kinder kriegt, wenn man sie nicht wirklich, wirklich will."
Diesen schwierigen Situationen setzt Cordula Stratmann nicht nur die Maus Britta, sondern auch deren Leben gegenüber. Absurde Gegebenheiten, wie beispielsweise die Gespräche von Maus zu Mensch, das Fotoshooting von Britta, die für Pollys Vater, Herrn Weller, und einen "Mauskalender" als Model fungiert oder das Liebesleben der europäischen Hausmaus lockern die Erlebnisse auf.
Da ist beispielsweise die Eifersucht von Britta, die bei der Abreise ihres chinesischen Reisfeldmauspartners beobachtet, wie er sich auf dem großen Schiff schon der nächsten Maus nähert. Da ist ebenso das Erleben einer neuen Liebe, die Britta – trotz großer Ängste erneuter kultureller Unterschiede – in die Arme des Nachbarkaters Pico treibt – laut Britta eine Offenbarung im Wellerschen Bambus: "Kohlrabenschwarzes Fell, smaragdgrüne Augen, archaische Energie. Pico küsst, als wäre er der Erfinder alles Göttlichen – alles andere gestaltet sich allerdings schwierig."
Cordula Stratmann erzählt diese Geschichten mit der Leichtigkeit eines Profis, lässt sich auch durch die Zwangspause durch den Kreislaufzusammenbruch eines Besuchers nicht aus der Ruhe bringen und beschert damit den Zuhörern ein berührend komisches Erlebnis.