Wie möchten Sie angesprochen werden: mit Ihrem bürgerlichen Namen oder Ihrem Künstlernamen?
Miss Allie: Immer gerne mit dem Künstlernamen statt mit dem bürgerlichen Namen.
Hat das einen bestimmten Grund?
Ja, ich finde, wenn man sich einen Künstlernamen überlegt, dann sollte der auch genutzt werden – darüber hinaus bleibt Privates privat.
Sie studierten Kulturwissenschaften an der Uni Lüneburg und haben Ihre Master-Arbeit zum Thema Singer-Songwriter im 21. Jahrhundert veröffentlicht. Erzählt dies aus eigenen Erfahrungen oder hat erst die Master-Arbeit die Lust auf die Bühne geweckt?
Ich war selber als Singer-Songwriterin unterwegs, mit 14, 15, 16 Jahren – habe mich ausprobiert auf norddeutschen Bühnen. Dann wollte ich auch wissenschaftlich die ursprünglichen Werte, speziell in dieser Szene, aufarbeiten. Wollte wissen, ob es hauptsächlich politische, kritische Texte gibt und eine Rückbesinnung stattfindet oder ob es eine ganz neue Form der Singer-Songwriter-Szene gibt.
Und wie war das Ergebnis?
Ich habe mehrere 100 Videos analysiert, und tatsächlich gibt es nur einen erschreckend minimalen Anteil an kritischen Texten. In Sachen Rückbesinnung bleibt sich die Singer-Songerwriter-Szene treu: Es geht um das Lied und nicht um die große Bühnenshow. Leider gibt es in den Liedern immer weniger politische Aussagen.
Sie hatten schon früh Klavierunterricht, brachten sich später selbst das Gitarrenspielen bei. Wurde Ihnen das Talent in die Wiege gelegt – oder ist es hart erarbeitet?
Talent kann man sich nicht wirklich erarbeiten, das hat man oder eben nicht. Von daher würde ich sagen, in die Wiege gelegt. Allerdings: Die Fertigkeiten am Klavier und an der Gitarre muss man wirklich üben. Mir hat das allerdings immer großen Spaß gemacht, war nicht wirklich eine Pflicht, und ich bin sehr fleißig (lacht).
2016 veröffentlichten Sie Ihr Debütalbum – mit englischen Songs. 2018 folgte ein Live-Album mit deutschen Liedern. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Also ich habe drei Jahre in Australien verbracht, da war ich auch mit einem Australier zusammen, habe englische Songs geschrieben. Mein Bruder lag mir zwar ständig in den Ohren, dass ich mal deutsche Lieder schreiben sollte, aber irgendwie wollte ich das nicht. Zum einen, weil ich mich hinter der englischen Sprache gut verstecken konnte. Zum anderen hatte ich Sorge, dass ich auf deutsch meine Gefühle nicht richtig ausdrücken kann, oder wenn, dann eben so gut, dass ich mich zu weit öffne. Bis es mit dem Australier nicht mehr so gut lief. Ich wollte meine Gefühle ausdrücken, durch ein Lied. Allerdings durch eines, das er nicht versteht. Es wurde ein deutsches Lied und ich entdeckte, dass mir diese Sprache in meinen Liedern sehr gut liegt.
Wer Sie das erste Mal auf der Bühne erlebt, ist definitiv überrascht. Als ich Sie das erste Mal sah, gab ich der Ankündigung Recht „eine kleine Sängerin – mit Herz". Ich wartete also auf die höhen Töne samt blumiger Sprache. Es folgte der Wow-Effekt, ich erlebte das Lied „obenrum Dieter, untenrum Dieterin“. Und ich erlebte, dass auch ich nicht frei von Vorurteilen bin. Ist diese "kleine Sängerin"-Ankündigung ein Spiel mit dem Image?
Ja, das auf jeden Fall. Ich bin ja schon immer so klein, und habe – wie sicherlich auch andere kleine Menschen – erlebt, dass wir oft nicht Ernst genommen werden. Das Resultat ist, dass kleine Menschen meistens eine große Klappe haben und laut sind, damit sie überhaupt registriert werden. Ich wurde mein ganzes Leben lang unterschätzt. Es ist aber auch genau dieser Überraschungsmoment, der mir in die Karten spielt. Ich weiß um dieses Schubladendenken, spiele damit, und mache mir das auf der Bühne zunutze.
Auch weitere Lieder sind bezeichnend, "Du kleine Süße", das den Macho und seinen Umgang mit Frauen beschreibt, aber auch "War das nicht gestern", das Lied zur Hochzeit Ihres großen Bruders, zu dem Sie eine enge Bindung haben. Sie bringen Emotionen und Themen treffend auf den Punkt. Wie gelingt Ihnen das?
Also, ich weiß nicht so genau, ich glaube, das ist eben Kreativität, das kann man nicht so genau erklären. Die wenigstens Songs entstehen, weil jemand ein Thema an mich herangetragen hat. Meine Lieder entstehen aus Erlebnissen und sehr tiefen Emotionen heraus, deshalb sind sie sehr, sehr nah an mir dran. Sie sind meine Möglichkeit, meine Gefühle auszudrücken.
Seit 2017 gewinnen Sie einen Preis nach dem anderen, wurden für Ihre Musik mehrfach ausgezeichnet. 2019 erschien das dritte Album „Aus Scheiße wird Gold“. Ihre Karriere nahm sozusagen richtig Anlauf – und dann kamen Corona und Lockdowns. Welche Überlegungen gingen Ihnen da durch den Kopf? Durchhalten und weitermachen? Beruf wechseln? Reichen Mann heiraten?
Einen reichen Mann heiraten, never ever (lacht). Ich muss gestehen, während der Corona-Pandemie hatte ich alle möglichen Gedanken. Ich wollte immer positiv durch die Krise gehen. Fünf Jahre lang habe ich das aufgebaut, habe dafür rund um die Uhr gearbeitet, unbändige Energie rein gesteckt – plötzlich bricht alles zusammen, da war auch ich teilweise wie paralysiert. Uns war zwar immer klar, wir halten als Team zusammen. Aber diese Kraft, durchzuhalten, fiel auch mir schwer. Da gab es zwischendurch den Gedanken, einfach abzuhauen – was ja auch nicht ging. Mittlerweile hoffe ich, wir haben das Schlimmste hinter uns, vielleicht noch mal kleinere Probleme im Herbst. Aber das Team und ich, wir haben uns da durchgebissen und blicken jetzt positiv in die Zukunft.
In der Ankündigung zu Ihrem Auftritt steht die rhetorische Frage: "Liedermacherin, Musikerin, Singer-Songwriterin, Comedian, Entertainerin…Was ist Miss Allie denn nun?" Ich wüsste darauf gern die Antwort.
Auf jeden Fall Musikerin von Kopf bis Fuß. Das Handwerk einer Comedian habe ich nie gelernt. Ich schreibe Lieder, die mal lustig, mal traurig, mal politisch sind. Also bin ich eine Musikerin, die mit ihren Liedern alle möglichen Richtungen einschlägt.
Ihr Auftritt kommenden Freitag war eigentlich schon für den 16. Oktober 2020 geplant. Auf was dürfen sich denn die Zuschauer und –hörer im Bürgerhaus aktuell freuen?
Ich habe neue Songs geschrieben und bin gerade dabei, für 2022 ein neues Album zu produzieren. Die neuen Lieder müssen ihre Jungfräulichkeit verlieren, darauf dürfen sich die Bremer freuen. Ich werde meine Gefühle mitteilen, über die Corona-Zeit, und es wird ein schöner Liedermix der Alben „Mein Herz und die Toilette“ sowie „Aus Scheiße wird Gold“ geben.