Vegesack. Viele Menschen träumen davon, in wärmere Gefilde auszuwandern. Besonders im norddeutschen Winter, der mit seiner charakteristischen Tristesse die Stimmung dämpft, wünschen sich auch zahlreiche Nordbremer Strand, Sonne und Meer herbei. Einer, der nicht nur davon träumt, ist Rainer Ruge. Er hat sich vor Weihnachten mit dem eigenen Schiff in Richtung Karibik aufgemacht. Sein Ziel ist Bonaire. Sechs Jahre lang hat der ehemalige Lkw-Fahrer auf dieses Ziel hingearbeitet. Er kaufte ein Schiff, die „Klara“, entkernte es und baute es in Eigenregie vollständig neu aus. Am 14. Dezember schließlich war es soweit: Der Auswanderer und sein Bootsmann Lüder Bischoff sind auf große Fahrt gegangen.
Der Abschied im Museumshafen Vegesack fand im kleinen Kreis von Familie und Freunden statt. Gegen 11 Uhr stimmte die Tide und die „Klara“ konnte ablegen. Eigentlich war die Abfahrt schon für den vorherigen Tag geplant, doch passten die Gezeiten nicht zu den Betriebszeiten der Schleuse in Oldenburg. Auch künftig werden die Schleusen den Fortschritt der Reise mitbestimmen, denn bevor die Auswanderer ins Meer gelangen, geht es über mehrere Flüsse und Kanäle. Solange bewegt sich das elf Meter lange und drei Meter breite Schiff vom Typ Reinke 11M per Motor fort. Der Mast soll erst im französischen Port-Saint-Louis-du-Rhône gerichtet werden. Von dort aus segeln die Männer dann über das Mittelmeer Richtung Mallorca.
Beste Stimmung an Bord
Rund eine Stunde rechnen die Reisenden pro Schleusenvorgang. Wie schnell es tatsächlich geht, hängt davon ab, wie viele Schiffe geschleust werden müssen und ob Binnenschiffe hindurch möchten. Die werden vorrangig behandelt. Da Ruge und Bischoff ausschließlich bei Tageslicht fahren, sind pro Tag nur fünf bis sechs Stunden Fahrt möglich. „Die Kanäle sind zum größten Teil unbeleuchtet. Das gilt auch für die stählernen Dalben, die es immer wieder gibt. Dadurch ist es einfach zu gefährlich, im Dunkeln zu fahren“, erklärt Lüder Bischoff.
Unter diesen Voraussetzungen hat es die "Klara" neun Tage nach ihrer Abreise bereits bis nach Datteln in Nordrhein-Westfalen geschafft. „Vom Wesel-Datteln-Kanal geht es weiter in den Rhein“, berichtet Lüder Bischoff von unterwegs. "Wir kommen gut voran und die Stimmung ist bestens“, teilt der 58-Jährige mit. „Wir freuen uns jeden Tag darüber, dass wir diese Reise machen können.“
Sieben Tage mussten die beiden Reisegefährten ohne Dusche auskommen. Doch das sei kein größeres Problem gewesen. „Ich habe damit gerechnet, dass nicht alles geöffnet sein wird, da wir außerhalb der Saison unterwegs sind. Corona hat die Situation noch verschärft, da die wenigen Möglichkeiten, andere sanitäre Anlagen zu nutzen, dadurch weggefallen sind“, erzählt Lüder Bischoff. Mit der sprichwörtlichen Katzenwäsche seien sie aber gut über die Runden gekommen.
Lüder Bischoff und Rainer Ruge kennen sich aus dem Winterquartier, wo sie mit ihren Schiffen in direkter Nachbarschaft lagen. Der 62-jährige Ruge arbeitete bereits an der Umsetzung seines Auswanderungs-Plans, während Bischoff, der wie sein Bootsnachbar vorzeitig in Rente gegangen ist, in seiner Freizeit segelte und sich nebenbei für die Überführung von Schiffen anbot. „Ich segle seit meinem dritten Lebensjahr“, erzählt Bischoff, der bei der Sparkasse Bremen tätig war. Auch Ruge ist seefest und erfahren; er arbeitete als Maschinenbautechniker bei der Handelsmarine.
Irgendwann kehrte Bischoff von einem längeren Segeltörn zurück und erfuhr, dass Rainer Ruge nun endlich einen konkreten Zeitpunkt für den Start seiner Reise in Aussicht hatte. Bischoff überlegte kurz und bot dann an, den Auswanderer auf der Reise in die Karibik zu begleiten. Bis März soll die Fahrt dauern. Danach wird der gebürtige Achimer Lüder Bischoff die Heimreise nach Bremen antreten. Dass er so lange unterwegs ist und auch an den Feiertagen nicht zu Hause war, trage seine Frau mit Fassung. „Wir sind seit 35 Jahren verheiratet und sie ist es gewohnt, dass ich manchmal monatelang mit dem Schiff unterwegs bin."
Rainer Ruge reist ungebunden, will aber später seine zwölfjährige Tochter nachholen. Bonaire ist durch die enge Verbindung zu den Niederlanden sehr europäisch geprägt, weiß er. „Dort gibt es auch eine deutsche Schule.“ Dass es ihn ausgerechnet in diese Ecke der Welt verschlägt, liegt in einer Tauchausbildung begründet, die er Jahre zuvor in Venezuela absolvierte. Eine Zeit lang lebte er auch dort. Dieser Aufenthalt habe ihn zu seinem Vorhaben inspiriert, so Ruge. Er nahm sich vor, als Rentner eines Tages auszuwandern.
Er entschied sich für die Altersteilzeit, kaufte das Schiff und begann seinen Plan umzusetzen. Inzwischen ist die „Klara“ ein hochseetüchtiges Wohnschiff, ausgestattet mit fünf Kojen und so ausgebaut, dass er und seine Tochter dort dauerhaft leben können. Alles fertig ist jedoch noch nicht. Bis die Segel gesetzt werden können, muss noch an einigen Stellen nachjustiert und ergänzt werden. „Wir bauen während der Fahrt weiter“, so Lüder Bischoff. So müsse noch an der Innenverkleidung einiges gemacht, zum Beispiel lose Gegenstände gesichert werden.
Geruht haben die Arbeiten am Nachmittag und Abend des 24. Dezember. Die Männer legten eine Pause ein. Nicht nur, weil die Schleusen an Heiligabend gegen Mittag Betriebsschluss haben, sondern auch, weil die beiden Reisenden den Weihnachtsabend gemütlich begehen wollten. „Wir haben einen Kerzenständer und Kerzen besorgt und ich habe einen Ratskeller-Glühwein mitgenommen“, berichtet Lüder Bischoff, der sich als Smutje betätigte und ein dem Anlass entsprechendes Essen zubereitete. Auch ein kleines Geschenk hatte er im Gepäck. Weihnachten als fest verankerte Tradition werde auch auf so einer Reise nicht vergessen, so Bischoff.