“Uns ist in 20 Jahren noch nie etwas passiert.” Vehement betont Marianne Berger diese für sie so wichtige Tatsache. Ihr Mann, Lasse Berger, sowie die weiteren sechs Nachtwanderer stimmen Marianne Berger zu. Insofern könnte für diese acht Ehrenamtlichen, die sich nachts deeskalierend als Ansprechpartner präsentieren, an diesem Abend während des Treffs in der Vegesacker Christuskirche eigentlich alles gut sein. Eigentlich. Denn von den anfangs 40 ehrenamtlichen Nachtwanderern sind nur noch acht vorhanden. “Zu wenig, um regelmäßig unsere nächtlichen Wanderungen vorzunehmen”, so Lasse Berger. Und der Nachwuchs? Lässt auf sich warten, oder meldet sich an und kommt dann nicht.
Dabei wünschen sich die Nordbremer Nachwanderer Gernold Schmidt, Marie Druck, Karin Sfar, Heinz Koppenmöhle, Felix Bindernagel, Kerstin Peters-Bindernagel sowie das Ehepaar Lasse und Marianne Berger Ehrenamtliche, die so engagiert sind, wie sie selbst. “Sie sollten für die Sache brennen”, bringt es Karin Sfar auf den Punkt. “So wie wir vor 20 Jahren, als wir die Nachtwanderer ins Leben gerufen haben. So wie wir heute noch, sonst hätten wir schon längst aufgegeben.” Lasse Berger betont, dass es nicht die Jugendlichen seien, denen die Nachtwanderer gern als Ansprechpartner dienen, die die Ehrenamtlichen zum Mitmachen bewegen möchten. “Die Eltern der Jugendlichen sind es, die wir brauchen”, so Karin Sfar. Ebenso die Gruppe der sogenannten “Babyboomer” hat Lasse Berger auf Sicht. “Wo sind denn die vielen Menschen, die angeblich jetzt alle in Rente gehen?”
Von Bremen-Nord in die Republik
Das Nachtwanderer-Modell hat Lasse Berger nach einem Besuch in Schweden mitgebracht. Unter dem Motto “Damit Jugendliche gut durch die Nacht kommen” fanden sich schnell Gleichgesinnte. Das funktionierte so gut, dass dieses Motto von den Medien aufgegriffen wurde und von Bremen-Nord ausgehend bundesweit für weitere Nachtwanderergruppen sorgte. 40 Gruppen gab es zu Hochzeiten in der Bundesrepublik. “Wir hatten viel Kontakt untereinander”, erinnert sich Kerstin Peters-Bindernagel. Doch im Lauf der Zeit sei vieles eingeschlafen. “Bundesweit sind es jetzt noch 20 Nachtwanderergruppen.”
Warum so wenig Menschen mitmachen, verstehen die Nachtwanderer nicht. “Egal, wo immer wir auch auftauchen, ob wir uns bei Jobbörse oder Schulklassen vorstellen oder nachts im Bus unterwegs sind, überall erleben wir Zustimmung”, haben Kerstin Peters-Bindernagel sowie ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter oft erlebt. Ab und an lasse sich mal ein Kommunalpolitiker blicken. Dabei wünschen sich die Nachtwanderer mehr Unterstützung. “Wir sind für drei Ortsamtsbezirke im Bremer Norden zuständig. Da könnte sich doch das eine oder andere Beiratsmitglied den Nachtwandern anschließen. Das muss ja nicht zwingend der Fraktionsvorsitzende sein”, so Lasse Berger.
Ansprechpartner, aber keine Sozialarbeiter
Auch bei den Einzelhändlern sehen die Nachtwanderer Potenzial. “Schließlich sorgen wir nachts für Ruhe, insbesondere bei denen, die im jugendlichen Leichtsinn etwas Demolieren.” Auch Hilfe für ältere Mitbürger komme vor. “Wir sind nicht nur in Deeskalation geschult”, so Felix Bindernagel. Auch ein Erste-Hilfe-Training haben die Nachtwanderer absolviert. “Die Kenntnisse mussten wir während der Wanderungen noch nicht anwenden”, berichtet die achtköpfige Gruppe unisono. “Es gab mal sehr betrunkene Menschen an der Bushaltestelle, da rufen wir den Rettungswagen.”
Um das soziale Klima in “unseren Stadt- und Ortsteilen zu verbessern, engagieren wir uns ehrenamtlich”, deutet Lasse Berger auf den Unterschied zu den seit einigen Monaten in der Hansestadt arbeitenden “Awareness-Teams” hin. “Unser Engagement gibt es unentgeltlich.”
“Vielleicht”, so Marie Druck, “wissen die Menschen gar nicht, was wir wie tun. Vielleicht haben sie Angst?” Dabei sind die Nachtwanderer keine Sicherheitstruppe. “Im Gegenteil. Oft reicht unsere ruhige, besonnene, deeskalierende Ausstrahlung, um Jugendliche jeglicher Couleur neugierig zu machen.” So entstünden Gespräche, avancierten die Nachtwanderer zu Problemlösern. “Das sollte niemand verwechseln. Wir sind keine nächtlichen Sozialarbeiter. Wir bieten Gespräche an, sicher. Aber wir haben auch immer Karten dabei, auf denen es Ansprechpartner und Hilfsangebote gibt.” Außerdem sind die Nachtwanderer, für die Bremens Bürgermeister auch die Schirmherrschaft übernommen hat, immer in einer Gruppe unterwegs. Als Ansprechpartner zwei Männer, zwei Frauen, “oder auch mal wegen der zu kleinen Gruppe, zwei Männer und eine Frau”.