Bremen-Nord. Es ist der erste warme Abend im März, und das Wochenende mit viel freier Zeit für Jugendliche bricht an. Doch entgegen den Erwartungen ist am Vegesacker Bahnhofsplatz kaum etwas los. An dem sonst belebten Treffpunkt beginnen die Nordbremer Nachtwanderer ihre Tour, um Ansprechpartner für Jugendliche zu sein.
„Vielleicht ist es heute Abend so ruhig, weil Werder spielt“, überlegt Karin Sfar, die seit rund 20 Jahren bei den Nachtwanderern in Bremen-Nord dabei ist, um Jugendlichen ein offenes Ohr zu bieten und zu vermitteln, ohne sich aufzudrängen.
An ihren roten Jacken mit der Aufschrift „Nachtwanderer“ sind sie schon aus der Ferne zu erkennen. Jeder hat eine Rettungsdecke, ein Erste-Hilfe-Set, Handy und Taschenlampe dabei. „Und wir verteilen auch Kärtchen mit wichtigen Nummern für unterwegs, beispielsweise von der Sucht- und Drogenhilfe, dem Mädchen-Notruf und dem Kinder- und Jugendlichentelefon“, erzählt Sfar. Gegründet vom Nordbremer Lasse Berger sind die Nachtwanderer regelmäßig zwischen Farge und Burglesum unterwegs, um für Jugendliche da zu sein, wenn sie gebraucht werden.
An diesem Abend sind auch noch Marie Druck aus Bremen-Nord sowie Gregor Bitter und Peter Golz, beide Nachtwanderer in Gröpelingen und Walle, mit dabei. „Wir gehen zu dritt oder zu viert los, und immer in gemischter Gruppe aus Männern und Frauen“ sagt Sfar. „Abends an Wochenenden nehmen Jugendliche gern unsere Hilfe in Anspruch. Und wenn sie uns schon kennen, werden wir von ihnen meistens nett angesprochen“, sagt sie. Das Bild, das viele Erwachsene von Jugendlichen haben, sei oft von geringer Akzeptanz geprägt – die Nachtwanderer sehen das anders und bringen ihnen Wertschätzung entgegen, erläutert Karin Sfar.
Die Nordbremer Nachtwanderer brechen in diesem Jahr zum ersten Mal auf, nach langer Corona-Pause. Am Vegesacker Bahnhofsplatz lässt ein Autoposer seinen Motor laut aufheulen und fährt in rasendem Tempo vorbei, eine Gruppe junger Leute steht am Balkan Grill „Sofra“, eine weitere vor dem Kiosk nahe der Bushaltestellen, doch alles bleibt ruhig, zu Auffälligkeiten kommt es nicht. Bei einigen Jugendlichen auf dem Bahnhofsplatz sind sie schon bekannt und werden von ihnen freundlich begrüßt. "Doch durch die lange Corona-Zeit hat sich vieles geändert“, sagt Sfar. Auch die Besetzung der Nachtwanderer ist nicht die Gleiche geblieben. „Von zeitweise 50 Leuten sind wir leider inzwischen auf etwa 20 geschrumpft“, berichtet Karin Sfar. „Wir suchen deshalb dringend neue Mitstreiter.“
Ausbildung in Erster Hilfe
An jedem dritten Montag im Monat trifft sich die Nordbremer Gruppe, um die nächste Route zu organisieren und um Erfahrungen auszutauschen. Wer neu ist, bekommt eine kleine Ausbildung in Erster Hilfe und gegebenenfalls Instruktionen, wie man angenehm und unaufdringlich gegenüber Jugendlichen auftritt.
An diesem Abend streift die Gruppe die Grohner Düne und geht bis zur Straße Am Wasser nahe der Kita, mit weitem Blick auf die Lesum. „Diese ruhige Ecke soll eigentlich ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche sein“, sagt Karin Sfar. Doch heute ist kein einziger da. Und auch auf den Treppen am Vegesacker Museumshafen hat sich nur eine kleine Gruppe von Jugendlichen versammelt, an der Fußgängerbrücke über den Hafen und ringsum tut sich heute gar nichts. „Auch der Stadtgarten Vegesack ist ein beliebter Treffpunkt für junge Leute, doch heute setzen wir unsere Tour in Blumenthal fort: Wir schauen nach, was sich an der Bahrsplate tut“, sagt Marie Druck.
„Heute Abend ist nichts los. Doch auch insgesamt ist es in Bremen-Nord im Vergleich zu früheren Jahren ruhiger geworden“, berichtet Karin Sfar. „In vergangenen Jahren gab es an der Diskothek Arena in Ihlpohl meistens viel zu tun, dort brauchten viele Jugendliche Unterstützung. Wir haben einige zum Beispiel durch die dunklen Ecken bis zur Bushaltestelle begleitet, weil manche sich nachts unsicher fühlten.“ Früher seien die Nachtwanderer auch gegen halb fünf Uhr morgens, wenn die Disco schloss, hingefahren, doch das war vielen der ehrenamtlich Tätigen auf die Dauer zu anstrengend.
Es fehle in Bremen-Nord insgesamt an attraktiven Angeboten für Jugendliche, insbesondere an den Abenden. „In Bremen-Nord gibt es nur die eine Disco im Ihlpohl, kein Kino, und die Freizeitheime machen bereits um 20 Uhr zu“, sagt Sfar. Die Nachtwanderer setzen sich jedoch auch in Busse des ÖPNV, in denen es besonders unter alkoholisierten Jugendlichen leicht zu Aggressionen kommt. „Bei Rangeleien versuchen wir zu schlichten, und in seltenen Fällen mussten wir auch schon mal die Polizei rufen“, erzählt sie.
Inzwischen gibt es mehr als 40 Nachtwanderer-Initiativen in Deutschland – Bremen-Nord war der Ausgangspunkt für die Idee, die ursprünglich aus Schweden stammt. Denn es habe sich bewährt, eher mit Zivilcourage unterwegs zu sein und mit Jugendlichen zu reden, als mit dem Finger auf sie zu zeigen, betont Karin Sfar.