Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Zufallsfund mit Folgen

Immer wieder zog es den Historiker Ulrich Schröder neben seiner Arbeit als Lehrer in die Archive, um zu forschen. Dabei stieß er zufällig auf den Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ein bis dahin unbekanntes Thema.
25.05.2023, 06:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Ulrike Schumacher

Manchmal hält die Geschichte Themen bereit, die selbst gestandene Historiker noch überraschen. So erging es zumindest Ulrich Schröder, der im Zuge anderer Archiv-Recherchen auf ein Thema stieß, das bis dahin weitgehend unbekannt war: das Wirken des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Ulrich Schröder tauchte zunehmend fasziniert ins Thema ein, trug Information für Information zusammen und hatte so viel Stoff gesammelt, dass es am Ende für ein fast 350 Seiten zählendes Buch reichte. Erschienen ist es jetzt als Band Nummer vier in der Schriftenreihe zur Geschichte des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold im Auftrag der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Titel: "An klaren Frosttagen kann auch ausmarschiert werden". Untertitel: "Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Bremen und Umgebung". Gut 60 Seiten des Buches, das 22 Euro kostet, befassen sich mit dem Ortsverein in Bremen-Nord.

Der Autor, der seit 2016 in Schönebeck lebt, ist vor Jahren als Geschichtslehrer auf dieses Thema aufmerksam geworden. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 arbeitete Ulrich Schröder an den Berufsbildenden Schulen in Osterholz-Scharmbeck. In den Ferien nutzte er die Zeit für geschichtliche Forschungen. So entstand auch sein Buch über die lokale Geschichte der Arbeiterbewegung im Landkreis Osterholz, blickt der 76-Jährige zurück. Erschienen ist es 2007 unter dem Titel "Rotes Band am Hammerand. Geschichte der Arbeiterbewegung im Landkreis Osterholz von den Anfängen bis 1933". Dafür habe er auch im Archiv des Osterholzer Kreisblatts recherchiert – und stieß dabei auf Hinweise zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der im August 1924 als parteiübergreifende Organisation zum Schutz der Weimarer Republik gegründet wurde. "Ich bin fast umgefallen, was es da alles gegeben hat", erzählt der Autor. Aber das war erst der Anfang.

Fund mit Seltenheitswert

Als reinste Fundgrube erwies sich im Bremer Staatsarchiv der Nachlass des SPD-Politikers und ehemaligen Bremer Bürgermeisters Willy Dehnkamp, der ab Februar 1929 erster Vorsitzender im Vegesacker Ortsverband des Reichsbanners war. "Da stieß ich auf eine Fülle an Protokollen und Rechnungen", blickt der Autor zurück. Allesamt mit Seltenheitswert. In den Archiven der ganzen Bundesrepublik, schätzt er, gebe es vielleicht nur zehn solcher Funde über den Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Im Bremer Staatsarchiv "war das umfangreiche Schriftgut, das sich unter Dehnkamps Vorsitz angesammelt hatte, nahezu vollständig erhalten", hatte der Autor erfreut festgestellt. Was er entdeckt hatte, machte Ulrich Schröder neugierig. "Es hat mich gereizt, mir einen Quellenbestand zu erschließen, mit dem sich vorher noch keiner beschäftigt hat", sagt er. "Ich nutzte die seltene Gelegenheit, das Innenleben eines Ortsvereins zu erforschen."

Seine Ergebnisse zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der von Sozialdemokraten und von Mitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei sowie der Deutschen Zentrumspartei gegründet wurde, veröffentlichte Ulrich Schröder schließlich mehrmals im Bremischen Jahrbuch. Anliegen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold war die Festigung der Republik und die Achtung der Verfassung. "Der sozialdemokratisch dominierte Wehrverband entwickelte sich in kurzer Zeit zur größten demokratischen Organisation in der Weimarer Republik." Er verstand sich als Abwehr-Organisation gegen die aufsteigende NSDAP. Der Reichsbanner sollte verhüten, dass es zu Putschen und Bürgerkrieg kommt.

Auftrag für ein Buch

Auf seine Veröffentlichungen zu dem Thema war schließlich auch die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand aufmerksam geworden. Im Jahr 2018 wurde Ulrich Schröder zusammen mit anderen Historikern zu einem Symposium eingeladen, um seine Forschungsergebnisse vorzustellen. Im März 2020 fragte die Stiftung an, ob er sich vorstellen könne, zu dem Thema mit Blick auf Bremen und Umgebung ein Buch zu schreiben. Der Stiftung sei es wichtig gewesen, den Fokus auf die demokratischen Potenziale der Weimarer Republik zu richten und diese zu würdigen. "Ich war überrascht und erfreut", erinnert sich der Autor. Zwar war gerade Corona in die Welt gekommen und Besuche in Archiven deswegen nicht so leicht, aber die meisten Informationen hatte er bereits dank früherer Recherchen – auch zur Rätebewegung in Bremen und umzu – bei sich zu Hause. Ulrich Schröder sagte zu und fühlte sich von der herausgebenden Stiftung bei seiner Arbeit "prima betreut". Wenn es beim Schreiben mal Tiefpunkte gab, blickt er zurück, "reichte ein Telefonat und ich war wieder aufgerichtet".

Bei seinen Forschungen reize es ihn, "auf der Suche zu sein nach Erkenntnissen und sich überraschen zu lassen – im Guten wie im Bösen". Die hierarchischen Strukturen des Reichsbanners hätten ihn befremdet, aber gleichzeitig "hat es mich fasziniert, welchen Mut und welche Energie die Mitglieder des Reichsbanners aufbrachten, um den Aufstieg der NSDAP zu unterbinden". Wie in den Straßen Vegesacks und Umgebung mit Opfermut Nacht für Nacht die Wachen aufzogen. Vor allem ab Beginn der 1930er-Jahre kam es zwischen SA- und Reichsbannerleuten häufiger zu Schlägereien, berichtet das Buch. Aber auch davon, dass es im Vegesacker Ortsverband in den Anfangsjahren auch eher gemächlich zuging, was dem peniblen Willy Dehnkamp durchaus ein Dorn im Auge war. So bezieht sich der Titel des Buches konkret auf Vegesack. Es ist ein Zitat aus einem Brief, in dem der zweite Vorsitzende Hans Mallet um 1924/25 herum dem Ortsverband vorschlägt, was er alles machen könne: zum Beispiel Lieder singen und auch an klaren Frosttagen ausmarschieren.

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