Neuenkirchen. Zum Abschluss des Abends gab es Wurst vom Grill und kalte Getränke. Was die Teilnehmer des neunten Abenderlebnisses, einer Veranstaltungsreihe der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Neuenkirchen, zuvor konsumiert hatten, war schwerere Kost. In Kooperation mit den Heimatfreunden Neuenkirchen hatten die Organisatoren der „Abenderlebnisse“ nämlich in die Baracke Wilhelmine eingeladen.
Die Heimatfreunde Neuenkirchen nutzen die Baracke seit 2004 und haben das Gebäude Stück für Stück zu einem Dokumentations- und Lernort ausgebaut. Eine Dauerausstellung zeigt eindrucksvoll lebendige Lokalgeschichte. In verschiedenen Räumen können die Besucher die Rüstungslandschaft zwischen Schwanewede und Farge kennenlernen, die Historie der Lager in Schwanewede studieren und das Leben der Zwangsarbeiter während der NS-Zeit und die Nachkriegsnutzung des Geländes verfolgen. Eine beeindruckende Ausstellung, die auch die Abenderlebnis-Besucher in ihren Bann zog. Die grausamen Vorgänge vor nicht allzu langer Zeit so dicht vor der eigenen Haustür machte so manchen Besucher sprachlos. Andächtiges Lauschen und beklemmendes Schweigen waren die Folge.
Zu denen, die diese Ausstellung mit aufgebaut haben und auch regelmäßig Besucher durch die Räume der Baracke Wilhelmine führt, gehört Harald Grote. Er hatte extra für dieses Abenderlebnis auf eine Fahrt nach Hamburg verzichtet. Allerdings war Grote hin und her gerissen. Der Förderverein „Demokratisch handeln“ hatte zur Preisverleihung geladen. Unter den Preisträgern sind zwei Mädchen und ein Junge, die ihre Ausbildung zu Junior-Guides in der Bracke Wilhelmine absolviert haben und nun selbstständig Besucher durch die Ausstellung führen werden. Finja Schäfermeier und Madelaine Schweinfurth aus Bremen sowie Talon Giepz aus Schwanewede wurden für ihr Engagement ausgezeichnet. Zu recht, wie Harald Grote findet. Er freut sich aber nicht nur über die Ehrung, sondern vor allem über die Tatsache, dass junge Menschen sich intensiv mit der deutschen Geschichte beschäftigen und sie wach halten wollen. Angesichts des aktuellen Rechtsrucks in der Bundesrepublik sei das besonders wichtig.
Harald Grote freute sich auch darüber, dass sich Neuenkirchener Bürger in den Sattel geschwungen hatten, um von der Pfarrscheune Richtung ehemaliges Militärgelände zu radeln. Trotz der Fußball-Weltmeisterschaft, die zeitgleich im Fernsehen gezeigt wurde. Eine der Teilnehmerinnen war Neuenkirchens Ortsbürgermeisterin Angelika Cordes.
Massen zu mobilisieren ist schwer
Die Ortsbürgermeisterin hat, seit diese Veranstaltungsreihe von der örtlichen Kirchengemeinde im Herbst des vergangenen Jahres aus der Taufe gehoben wurde, schon einige Abenderlebnisse miterlebt. „Diese Veranstaltungsreihe bietet viele interessante Themen, so wie heute zum Beispiel die Tour zur Baracke Wilhelmine. Ich freue mich, dass die Kirche so aktiv ist und die Menschen mobilisieren möchte.“
Dass es schwer ist, Massen zu mobilisieren, weiß auch Hartmut Bohlmann. Bohlmann ist Boss der Heimatfreunde Neuenkirchen und Sprecher der Ortsvereine. Er begrüßt die neue Offenheit der örtlichen Kirchengemeinde, nicht zuletzt ausgelöst durch das Engagement der jungen Pastorin Anne Mirjam Walter.
„Wir sind offen für alle Kooperationen“, sagt Bohlmann, der selbst schon viele Dinge im Ort angeschoben hat. Unter anderem führt er gemeinsam mit anderen Vereinsmitgliedern durch die Straßen Neuenkirchens und erklärt so die Geschichte der einst eigenständigen Ortschaft. Hartmut Bohlmann weiß aber auch, dass die Menschen nicht sofort auf alles Neue mit Interesse reagieren. „Man muss Geduld haben,“ mahnt er die Organisatoren der Abenderlebnisse. Er selbst könne sich gut weitere gemeinsame Veranstaltungen vorstellen. Die Heimatfreunde bieten beispielsweise einen Frühschoppen für die Bürger an. Den, so sinniert Hartmut Bohlmann, könne man auch mit einem Gottesdienst verbinden.
Als Sprecher der Ortsvereine hat Bohlmann auch die durchweg positive Reaktion der Vereine auf die neue Veranstaltungsreihe der Kirchengemeinde registriert. Auf Einladung der Kirchengemeinde hatten die örtlichen Vereine gemeinsam ein „Abenderlebnis“ bestritten, sich dem Publikum vorgestellt. Diese Einladung kam offensichtlich gut an. „Jedes Klientel erreichst Du über einen anderen Verein“, erzählt Bohlmann. Einer gemeinsamen Veranstaltung von örtlichem Sportverein und Kirche räumt er gute Chancen ein. „So erreichst du die Kinder, und darüber auch die Eltern“, glaubt der Chef der Heimatfreunde.
Pastorin Anne Mirjam Walter zieht nach den ersten neun Veranstaltungsabenden ein positives Resümee. „Am Anfang habe ich gedacht, wir brauchen 50, 60, 100 Leute, die unsere Veranstaltungen besuchen, eine mega-breite Außenwirkung“, gibt sie offen zu. Doch ihre Erwartungshaltung hat sich im Laufe der letzten Monate verändert. „Es müssen gar nicht so viele Teilnehmer sein. Auch wenn 20 oder 30 Neuenkirchener zusammen kommen, kann es ein schönes „Abenderlebnis sein.
Wenn diese dann Gemeinschaft pflegen und eine schöne Zeit miteinander verbringen, genüge ihr das. „Und ich glaube, dass können wir mit jedem ,Abenderlebnis' schaffen.“ Außerdem freue sie, bei diesen Veranstaltungen im Rahmen einer zum Thema passenden Andacht von Gott erzählen zu können. Das sei dann wie ein Gottesdienst, der auch Menschen erreiche, die nicht am Sonntag in der Kirche säßen.