Von null auf 35. Das schaffen Mila und Palo innerhalb weniger Sekunden. Wenn die beiden im Geschirr vor einem Hundeschlitten oder einem Dogscooter stehen, sind sie in ihrem Element. Wer den Teutonenhund und den Europäischen Schlittenhund gemütlich auf dem Sofa kuscheln sieht, kann sich kaum vorstellen, wie viel Energie in den Tieren steckt. Ihre Besitzerin Sarah Schneider weiß jedoch, dass die Vierbeiner in der Wohnung nur deshalb so entspannt sind, weil sie täglich vier bis fünf Stunden Auslauf haben.
Derzeit ist die 21-Jährige mit ihren Hunden, zu denen als Dritte im Bunde noch die einjährige Alaskan-Husky-Hündin Liz gehört, sogar noch länger unterwegs. Denn momentan ist Wettkampfsaison. Die dauert von September bis März und in dieser Zeit trainiert die zierliche junge Frau mit ihren Hunden intensiv. Zwei Tage Training, einen Tag Pause – so sieht derzeit das Pensum von Sarah Schneider und ihren Tieren aus. Zwischen drei und sieben Kilometer sind die Strecken lang, die sie mit ihnen fährt. Und das jeweils zweimal pro Trainingseinheit.
Seit 2017 ist Sarah Schneider Musherin im Schlittenhundesportclub Thüringen. Musher ist die offizielle Bezeichnung für Schlittenhundeführer. Für diesen Sport hat sich die ausgebildete Hundeverhaltenstherapeutin, die gebürtig aus Thüringen stammt, schon seit ihrer Kindheit interessiert. „Ich bin damals mit meinem Opa häufig zu Hundeschlittenrennen gegangen und fand das ganz toll“, erzählt sie. Und diesem Hobby bleibt sie auch treu, seit sie im Mai vergangenen Jahres nach Bremen-Nord gezogen ist.
In den Norden Deutschlands ist Sarah Schneider für einen Job gekommen. Die 21-Jährige erzählt, dass sie für eine Naturschutzorganisation in der Wolfsforschung arbeitet. Anders als in ihrer Heimat ist sie in Bremen und Umgebung ausschließlich mit einem Dogscooter unterwegs. Das sind Tretroller, die im Zughundesport eingesetzt werden. Die Hunde werden mit einer Zugleine vor den Dogscooter gespannt. „Mein Schlitten steht zu Hause bei meinen Eltern. Hier fehlt leider der Schnee“, sagt die Musherin.
Zum Einsatz kommt der Schlitten aber schon in Kürze wieder, denn am kommenden Wochenende tritt die junge Frau zusammen mit der dreijährigen Mila und dem sechsjährigen Palo beim internationalen Schlittenhunderennen in Unterjoch im Allgäu in den bayerischen Alpen an. Ausgetragen werden dort am 19. und 20. Januar der Deutschlandcup der Schlittenhunde und die Qualifikation zur Weltmeisterschaft.
Von dort geht es weiter in den Wintersportort Todtmoos im Südschwarzwald, wo vom 26. bis 27. Januar das alljährliche internationale Schlittenhunderennen stattfindet. Auch dort gehen Sarah Schneider und ihre Hunde an den Start. „Ich habe mir extra Urlaub genommen und fahre mit einem Kumpel, der auch mitmacht, zu den Rennen“, erzählt Sarah Schneider. Zum Abschluss reisen sie mit ihren Tieren noch nach Bessans in Frankreich, wo vom 29. Januar bis 2. Februar die Weltmeisterschaft der International Federation of Sleddog Sports (IFSS) veranstaltet wird.
Leithund setzt Kommandos um
Der Umstieg vom Training auf Wiesen und Waldwegen auf Rennen im Schnee ist nicht einfach – weder für die Musherin noch für die Hunde. „Deshalb fahren wir extra etwas eher, damit sich die Tiere wieder an das Laufen im Schnee gewöhnen können.“ Und auch Sarah Schneider muss sich erst wieder auf den Schlitten einstellen. „Das ist schon etwas völlig anderes, weil man beim Dogscooter einen Lenker und Scheibenbremsen hat. Auf dem Schlitten arbeitet man dagegen mit Gewichtsverlagerung und bremst mit den Füßen.“ Dirigiert wird das Gespann indes in beiden Fällen alleine durch gerufene Kommandos, die vom Leithund umgesetzt werden müssen.
„Go“ ruft die Musherin, wenn die Hunde loslaufen sollen, „Gee“ bedeutet „rechts“, bei „Haw“ laufen die Hunde links. Die Kommandos für Schlittenhunde wurden aus dem amerikanischen Rennsport und den Kommandos der Eskimos abgeleitet oder übernommen. „,Easy' ist ein besonders wichtiges Kommando. Es bedeutet, dass die Hunde langsam laufen sollen“, erläutert Sarah Schneider.
Ihre Leithündin ist die dreijährige Mila. Als sie zehn Monate alt war, hat die junge Frau mit Milas Ausbildung begonnen. "Man weiß am Anfang nicht, wie gut die Hunde mal werden. Mila hat sich richtig toll entwickelt. Sie denkt mit und sucht sich selbst die beste Strecke. Sie umläuft Schlaglöcher, Wurzeln und Pfützen und überholt bei Rennen von alleine auf der Seite, die am günstigsten ist", schwärmt Sarah Schneider vom Talent ihrer Hündin. Den sechsjährigen Palo hat sie von einem Musher übernommen, der seine Hunde aus Krankheitsgründen abgeben musste. "Palo ist früher auch als Leithund gelaufen, erzählt sie. "Mit uns beiden funktioniert das aber nicht so richtig. Er braucht immer sehr lange, bis er Kommandos umsetzt. Deshalb läuft er in unserem Gespann nicht vorne." Das störe Palo aber nicht. "Es gibt kein Problem mit der Unterordnung. Für ihn ist das Wichtigste, dass er laufen kann – und kuscheln", sagt sie lachend und streichelt dem weißen Rüden mit den stahlblauen Augen zärtlich über den Kopf.
Neben dem Training und regelmäßigen Streicheleinheiten bekommen die Hunde ein spezielles Futter, das auf die Bedürfnisse von Sporthunden abgestimmt ist. „Es enthält mehr Protein und Fett“, erläutert die Musherin, die vom Inhaber des Hundefutterladens „Bremer Barf“ an der Löhstraße unterstützt wird. „Er sponsort uns zum Teil Futter und hat auch bei der Finanzierung eines neuen Schlittens geholfen“, sagt sie.
Dass sie selbst so zierlich ist, sei bei den Rennen eher ein Vorteil, sagt Sarah Schneider. „Die Hunde müssen weniger Gewicht ziehen.“ Die Tiere erreichen beeindruckende Geschwindigkeiten. „4,7 Kilometer in neun Minuten. Das war die Zeit des Siegerteams bei der deutschen Meisterschaft Off-Snow in Mühlberg“, erzählt die Musherin. Ihr Gespann hat die Distanz in 13 Minuten und 21 Sekunden zurückgelegt. „Wir haben Zeit verloren, weil ich mich während des Rennens zweimal mit dem Scooter überschlagen habe.“ Ganz ungefährlich, sagt die Musherin, sind die Rennen durch die Geschwindigkeit und den Jagdinstinkt der Hunde nicht. „Wenn plötzlich ein Reh auf die Strecke läuft, dann laufen die Hunde schon mal hinterher.“ Deshalb sei es Pflicht, bei den Rennen einen Helm zu tragen und eine Ersatzleine mitzuführen.
Mit Liz, der Jüngsten im Rudel, macht Sarah Schneider ausschließlich Canicross-Rennen. Bei diesen Geländeläufen ist der Sportler als Läufer mit seinem Hund durch eine flexible Leine verbunden. „Liz ist ein Husky und kleiner als ein Hound (Jagdhund), deshalb schafft sie nicht so eine hohe Geschwindigkeit“, erläutert die Hundeexpertin. „Huskys sind gezüchtet worden, um möglichst lange Distanzen zurückzulegen. Liz könnte ohne Probleme 20 Kilometer laufen. Aber eben nicht so schnell, wie Jagdhunde.“
Egal, ob mit oder ohne Gefährt: Die Hunde fühlen sich im Schnee am wohlsten, ist der Eindruck von Sarah Schneider. Und der 21-Jährigen selbst macht der Sport im Schnee ebenfalls am meisten Spaß. In ihrer neuen Heimat in Norddeutschland trainiert sie hauptsächlich in Lesumstotel und auf dem Bundeswehrgelände in Schwanewede – dem Wetter geschuldet derzeit vor allem auf matschigen Wegen. Im Sommer geht sie mit ihren Tieren indes am liebsten schwimmen. Einen großen Traum hat die 21-Jährige im Zusammenhang mit ihrem Hobby noch: „Ich würde gerne mal nach Kanada, Schweden oder Finnland reisen und dort Hundeschlittenrennen fahren.“