Mit einem Mixer lässt sich aus verschiedenen Fruchtsorten Saft herstellen. Lecker! Und was lässt sich aus diesen Zutaten – bezogen auf einen Fußball-Bremen-Ligisten – mixen: Fast-Absteiger der Vorsaison, miserable Vorbereitung, neuer Trainer, 15 Neuzugänge und insgesamt elf Spieler, die unter 20 sind? Ein Tabellenführer. Sechs Spiele, sechs Siege – das schmeckt der SG Aumund-Vegesack. Die SAV erlebt gerade das, was einem Wandel von einem stotternden Kleinwagen zum rasenden Ferrari gleicht. Die SAV hat sich, wie von Trainer Markus Werle vor Saisonbeginn versprochen, zu einem Team entwickelt, das richtig auf die Tube drückt. Tempolimit für die SAV? Nein, danke.
Nach zwölf Punkten aus vier Partien wurde gerne von einer Momentaufnahme gesprochen. Dann folgte ein 4:1 im Spitzenspiel gegen den FC Oberneuland und nun am Sonntag ein 3:0-Erfolg beim ESC Geestemünde. Immer noch eine Momentaufnahme?
Vegesacks Fußball-Boss Bernd Siems, der in 33-jähriger Tätigkeit in dieser Funktion mit Ab- und Aufstiegen, dem Lotto-Pokal-Sieg und dem DFB-Pokal-Spiel gegen Hoffenheim viel erlebt hat, sagt ja. "Ich denke so langsam, ich bin im falschen Film. Ich habe nicht im Traum damit gerechnet. Es ist eine Momentaufnahme, wir genießen das. Aber wir halten die Füße still – ganz hanseatisch", beschreibt der Unternehmer seine Wahrnehmung der neuen Situation nach der Zittersaison zuvor.
Die Annehmlichkeiten eines Tabellenführers weiß Siems durchaus zu schätzen: "Es geht alles leichter von der Hand im Alltag. Ich werde nicht mehr darauf angesprochen, wie es denn sein kann, dass wir gegen so eine Mannschaft verloren haben." Und natürlich würde er sich freuen, wenn diese Momentaufnahme noch ein paar Momente länger anhält. In diesem Zusammenhang erinnert er sich daran, wie die SAV zu Arambasic-Zeiten als Tabellenführer auf dem Bremer Freimarkt im Festzelt ankam und als solcher über das Mikrofon begrüßt wurde. Im Laufe der feucht-fröhlichen Stunden rutschte die SAV durch aktuelle Ergebnisse auf Rang drei ab.
Als Tabellenführer zum Freimarkt?
Als Tabellenführer auf den Freimarkt 2022, das würde Siems durchaus gefallen. Und im Pokal zu überwintern auch. Und wo könnte die SAV am 10./11. Dezember stehen, wenn es in die Winterpause geht? "Vielleicht auf Platz vier", sagt Siems, den nicht nur die Gesamtleistung bisher überrascht, sondern auch die Auftritte einzelner. Siems nennt exemplarisch die Youngster Joris Atayi und Nikolas Doye. Und auch die Schnelligkeit und die Torjägerqualitäten von Mücahin Özkul, der vom Bremer SV zur SAV kam, begeistern ihn. Siems erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Gespräch mit Ralf Voigt, dem Sportlichen Leiter des Regionalliga-Aufsteigers Bremer SV, der Özkul, wenn er denn verletzungsfrei sei, die Torjägerkrone in der Bremen-Liga zutraue. Fünf Treffer hat Özkul trotz erneuter Kniebeschwerden bereits auf dem Konto.
"Der Trainer hat es verstanden, auf dem Platz die richtige Mischung zu finden", ist Siems natürlich heilfroh, dass der Einstand von Markus Werle vollauf gelungen ist und er nicht mit Altlasten seines Vorgängers Björn Krämer zu kämpfen hat, der laut Siems in der vergangenen Saison von vielen Spielern im Stich gelassen worden sei.
Spieler, zu denen Flügelflitzer Lennart Kettner und Mittelfeldmotor Abdullah Basdas definitiv nicht gehörten. Und dass die SAV ohne ihren überragenden Spielmacher Basdas einen solchen Saisonstart hingelegt hat, macht diesen wundersamen Wandel vom Fast-Absteiger zum Tabellenführer noch unglaublicher. Wegen einer Knieoperation ist Basdas derzeit zum Zuschauen verdammt. Eine Situation, die ihm schwerfällt, aber einen Vorteil hat: "Aufgrund der Erfolge, ist es leichter zuzuschauen zu müssen. Und ich kann mir mit dem Auskurieren Zeit lassen." Bei einem guten Heilungsprozess könnte das Comeback Mitte November gegen den Blumenthaler SV erfolgen. Dafür, dass Basdas ohne Eile genesen kann, macht Lennart Kettner die gute Teamchemie ("Alle haben Feuer, geben Gas, haben Bock") und die gute Arbeit von Trainer Markus Werle verantwortlich. Darüber hinaus habe man Qualität dazu bekommen und die Alten würden sich nach der Saison 21/22, die nur knapp mit dem Klassenerhalt endete, an der Ehre gepackt fühlen.
So weit die Einschätzungen vom Präsidenten und aus dem Spielerlager. Und damit zum Architekten des Erfolges: Markus Werle. Der 51-Jährige erklärte kürzlich auf die Feststellung, dass die Amateurszene über die SAV staune, dass auch er das täte. Doch allmählich entwickelt sich die Gewissheit der eigenen Stärke und Stabilität sowie ein Selbstverständnis. Spieler und Trainer vermitteln den Eindruck, dass sie bereit sind, die Favoritenrolle in immer mehr Spielen anzunehmen.
Großer Aufwand, äußerste Disziplin
Das Erfolgsrezept der SAV sieht auf den ersten Blick einfach aus: Nach Ballverlusten wird blitzschnell die Grundordnung eingenommen, die Räume für den Gegner entsprechend eng gemacht. Bei Ballgewinnen geht es entweder über wenige Stationen mit hohem Tempo im sehenswert abgestimmten Umschaltspiel nach vorne oder in Phasen der Spielberuhigung wandert der Ball durch die eigenen Reihen – durchaus auch einmal zurück. Klingt einfach, doch dazu gehört ein großer läuferischer Aufwand und äußerste taktische Disziplin. Und natürlich eine große Spielergruppe, die das beherrscht. Eine Gruppe, die laut Markus Werle derzeit aus 15, 16 Spielern besteht. Einige im insgesamt 28-köpfigen Kader müssen an dieses Niveau noch herangeführt werden. "Wir haben ein extrem starkes Kollektiv", macht Werle den Erfolg weniger an Einzelnen aus.
Trotzdem sticht auch für ihn der eine oder andere bisher heraus. So sei er glücklich, dass sich mit Lokman Abdi und Mario Vukoja ein so starkes Innenverteidiger-Duo herauskristallisiert habe. Die erst vier Gegentreffer sind ganz sicher zu einem großen Bestandteil ihr Verdienst. "Mola Khan hat einen großen Schritt gemacht", lobt er den Mittelfeldmann, der nicht nur aus der Distanz schießen kann, trickreich und ballsicher ist, sondern auch defensiv seine Aufgabe erfüllt. Und auch die Präsenz und Qualität seiner Youngster Joris Atayi und Nikolas Doye, die mit einem guten Auge ausgestattet und flink auf den Beinen wie für das schnelle Umschaltspiel geschaffen sind, sind kaum noch aus diesem Team wegzudenken.
Aufgrund des üppigen Kaders und der derzeit relativ wenigen Verletzten bringt Werle Woche für Woche mit seiner Mannschaft Qualität und Intensität auf den Platz, die den Gegnern derzeit Rätsel aufgeben. Die große Breite sorgt natürlich auch für Härtefälle. So saßen jüngst in Geestemünde Spieler wie Christian Böhmer, Marvin Syla, Fahrudin Ramic, Felix Kaup, Yomo Kiebacher und Williams Noukpetor auf der Bank – mehrere hatten es gar nicht in den auf 18 Personen beschränkten Punktspielkader geschafft. Und dann fehlte mit Marin Vukoja, Mücahit Özkul und Abdullah Basdas noch ein Trio verletzungsbedingt, das ebenfalls den Anspruch haben dürfte, erste Wahl zu sein.
Speziell Abdullah Basdas hat die SAV also noch in der Hinterhand, denn er hat in dieser Serie noch gar keine Minute spielen können. Daran, dass er noch eine wichtige Rolle in dieser momentan so erfolgreichen und funktionierenden Mannschaft (Werle: "Wir spielen derzeit vielleicht besser, als wir es von der Entwicklung her eigentlich können") finden wird, lässt Markus Werle keinerlei Zweifel aufkommen: "Abdu ist einer der besten Spieler der Liga und wird bei uns immer seinen Platz finden. Und unser Spiel aufwerten." Man darf als darauf gespannt sein, was passiert, wenn auch noch Abdullah Basdas ein Teil der anfangs angesprochenen SAV-Mixtur wird.