Der Thiele-Speicher und der Fecht-Club Bremen-Nord – das passt einfach zusammen. Wenn in dem historischen Gebäude aus dem Denkmal Ensemble Alte Hafenstraße in Vegesack die Fechtsportler mit Florett, Degen und Säbel auf die Planche gehen, dann fühlt man sich für einige Augenblicke zeitlich zurückversetzt. Allerdings ruft das Fechten keineswegs nur Bilder von Musketieren und Seeräubern hervor.
Das Fechten ist schließlich auch modern, es ist ein Stück Gegenwart. In knapp 470 Vereinen in Deutschland wird Fechten angeboten, 24.000 Sportlerinnen und Sportler sind laut Bestandserhebung des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) in den unterschiedlichsten Altersklassen aktiv. Und nicht zu vergessen: Fechten gehört zu den Sportarten der ersten Stunde und ist seit den I. Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen fester Bestandteil im Programm.
Zum Zeitpunkt besagter Olympischer Spiele war der Thiele-Speicher bereits seit knapp 100 Jahren erbaut und diente als Packhaus und Lagerhaus. Seit 1983 ist er das Zuhause des Fecht-Club Bremen-Nord, der 1958 gegründet und zunächst im Jugendheim Alt-Aumund und in der Turnhalle der Burgdammer Schule ansässig war. Und da, wo er sich jetzt seit 38 Jahren befindet, da will der Fecht-Club Bremen-Nord auch bleiben. „Unser Ziel ist es, genau so bestehen zu bleiben – als Spartenverein. Eine Zusammenlegung wurde uns von der Politik schon oft nahe gelegt“, sagte Ute Hannemann, die 2005 den Vorsitz übernommen hat und der die Verwurzelung mit Vegesack am Herzen liegt.
Der Herz des Vereinsdomizils ist der erste Stock. Es ist der Ort des Miteinanders mit Clubraum, Umkleiden, Duschen, Werkstatt und Lagerraum. 200 Quadratmeter Nutzfläche bietet dieses Stockwerk, gleichgroß sind das Erdgeschoss und die zweite Etage. Dort sind jeweils vier Bahnen (Planches), auf denen das Training und die Wettkämpfe ausgetragen werden, fest verlegt. „Das passt gut“, ist Ute Hannemann heilfroh, diese Räumlichkeiten, die von Immobilien Bremen gemietet sind, nutzen zu können. Mitnutzer Im Thiele-Speicher ist im Keller und im Dachgeschoss der Kutter- und Museumshaven Vegesack e.V. „Wie ein Ehepaar“, beschreibt Ute Hannemann die Beziehung der beiden Vereine.
Rund 90 Mitglieder, zwei Drittel davon laut Ute Hannemann männlich, gehören derzeit dem Fecht-Club Bremen-Nord an. Und einige von ihnen seien tatsächlich beim Fechtsport gelandet, weil sie inspiriert worden sind. Und zwar von Laserschwertern, die bei Jungen äußerst beliebt sind, und von Piratenfilmen. „Aber sie merken dann schnell, das Sportfechten etwas anderes ist“, weiß Hannemann und verweist auf die intensive Beinarbeit, die beim Fechten nötig ist. Zehn Kinder stellen sich dieses Herausforderung immer donnerstags. „Die Guten wollen immer noch ein Gefecht machen, wenn eigentlich schon Schluss ist“, erklärt Trainer Tobias Stage, wer mit größeren Ambitionen dabei ist. Insgesamt gelte: Wer nach einem Jahr noch dabei ist, der bleibt meist länger.
Was dabei herauskommen kann, wenn man länger bleibt, kann so aussehen. Bevor er von Corona gestoppt wurde, war Eric Braza einer, der auf überregionalen Turnieren von sich Reden machten. Der ganz große Wurf gelang im Jahr 2004 Jan Bardenhagen, der bei der deutschen Meisterschaft der B-Jugend Unvergessenes leistete und mit dem Florett Bronze nach Vegesack holte.
Später wechselte er ins Leistungszentrum nach Tauberbischofsheim. National beachtete Erfolge feierte der FC Bremen-Nord auch schon in Mannschaftswettbewerben. Im Deutschlandpokal erreichten die Damen mit dem Degen 2006 das Finale, die Herren waren 2013 mit dem Florett und Degen sowie 2019 mit dem Degen im erlauchten Kreis der acht Finalisten. 2019 wurden die Degen-Herren (Tobias Stage, Wladimir Welsch und Julian Gäbel) darüber hinaus Zehnter bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften.
Einem internationalen Erfolg stand – zumindest vorerst – die Pandemie im Wege. Tim Bardenhagen war als einziger deutscher Kampfrichter für Olympia in Tokio im Florett nominiert. „Olympia ist das Höchste, das man erreichen kann, sei es als Sportler oder als Kampfrichter. Das wäre dann der größte Erfolg unserer Vereinsgeschichte gewesen. Nun weiß man noch nicht, wie es mit den Olympischen Spielen in Tokio in diesem Jahr weiter geht und ob Tim Bardenhagen weiterhin nominiert wird“, bangt Ute Hannemann mit ihrem Clubkameraden mit.
Den Erfolg von Jan Bardenhagen verbindet Ute Hannemann unmittelbar mit dem Namen Lech Zimny, der von 1982 bis Anfang 2019 als Trainer für den Fecht-Club Bremen-Nord tätig war. „Lech hatte ein spezielles Trainingsprogramm aufgelegt, das nur Jan bis zum Ende durchgezogen hat. Es ist auch Lechs Erfolg“, würdigt Hannemann einen der vielen Verdienste von Zimny, der derzeit gesundheitsbedingt pausiert, aber in absehbarer Zeit als Honorartrainer zurückkehren soll. Und dann natürlich nicht nur diejenigen fördern soll, die leistungsorientiert unterwegs sind. „Wir wollen eine breite Basis ausbilden, die vielleicht einmal an den Landesmeisterschaften teilnimmt“, erklärt Ute Hannemann. Für den Kampf um die Landestitel sind zwei Vereine und zwei Abteilungen startberechtigt. Das sind neben dem Fecht-Club Bremen-Nord der Hanseatische Fecht-Club Bremen sowie die Fechtsparten von Bremen 1860 und TuS Komet Arsten.
Das Teilnehmerfeld vergrößert sich allerdings dadurch, dass die Veranstaltung in allen Altersklassen für Gäste offen ist. „Auf der Planche herrscht Rivalität, am Rande Freundschaft. So ein kleiner Verband ist wie eine große Familie“, meint Ute Hannemann, die als Nautikerin viele Jahre zur See gefahren ist und sich jetzt als Schadenssachbearbeiterin um Kasko-Schäden auf See kümmert.
Die Familie des Fecht-Clubs Bremen-Nord ist zwar nicht mehr so üppig wie einst, als 120 bis 130 zu ihr zählten, aber die jetzigen 90 sind eine stabile Größe. Auch in Pandemie. Ute Hannemann: „Die Mitglieder halten uns die Treue.“ Ein Blick in die Statistik zeigt, dass rund 50 Prozent zur Gruppe der bis zu 18-Jährigen gehören, danach gibt es – wie in fast allen Vereinen – eine Lücke. Das derzeit so erfolgreiche Degen-Team mit Herren zwischen 22 und 30 ist da die Ausnahme.
„Bei den Erwachsenen gibt es einige, die sich mit dem Fechten einen Jugendtraum“, erfüllt haben, berichtet Ute Hannemann von Späteinsteigern. Dass der Fechtsport bis ins hohe Alter ausgeübt werden kann, belegen beim Fecht-Club Bremen-Nord zwei Ü80er. „Sie sind zwar nicht mehr so schnell, aber technisch sehr gut sind. Es ist also nicht gesagt, dass man die beiden einfach so schlägt, nur weil sie älter sind“, sagt Ute Hannemann.
Während der Verein in Vegesack verwurzelt ist und es auch bleiben will, kommen die Mitglieder aus allen Himmelsrichtungen zusammen, um ihrem Lieblingssport nachzugehen. „Wir haben Mitglieder aus Lemwerder, Delmenhorst, Bremerhaven, Lilienthal, Schwanewede und Osterholz-Scharmbeck“, zählt die Vorsitzende auf. Sie alle und natürlich auch die Ortsansässigen dürften es genießen, ihren außergewöhnlichen Sport in einem außergewöhnlichen Gebäude ausüben zu können.
Die Ausrüstung
muss hohe Sicherheitsstandards erfüllen, um Verletzungen auszuschließen. Auf der Homepage des Deutschen Fechter-Bundes wird erklärt, dass Jacke, Unterziehweste und Hose jeweils einer Kraft von 800 Newton pro Quadratzentimeter standhalten müssen. Der Maskenlatz muss 1600 Newton und das Maskengitter 3000 Newton pro Quadratzentimeter standhalten. 9,81 Newton entsprechen einem Gewicht von einem Kilogramm. Neben den fünf genannten Teilen vervollständigen lange Strümpfe, Handschuhe und natürlich die Waffe (Florett, Degen oder Säbel) die Ausrüstung. Die Kosten für eine Komplettausrüstung beziffern Tobias Stage und Ute Hannemann vom Fecht-Club Bremen-Nord auf ungefähr 650 Euro. Kosten, die bei Kindern und Jugendlichen aber nicht unmittelbar entstehen. „Den Kindern wird in den ersten Jahren die Ausrüstung gestellt. Sie kommen in normaler Sportkleidung zum Training“, erklärt Hannemann.