Vegesack. Bereits der Eingang erinnert an die Antike: Vier ionische Säulen unter einem flachen Giebel stehen für den klassizistischen Baustil des frühen 19. Jahrhunderts. Und auch das Innere empfängt den Besucher mit Klarheit und Schlichtheit, in lichten Grautönen, bei höchst sparsamer Verwendung von Gold – die Vegesacker Stadtkirche ist der einzige vollständig erhaltene klassizistische Kirchenbau im Lande Bremen.
Damit hebt sich der Stil deutlich von der oft prunkvollen Architektur katholischer Gotteshäuser ab und passt zur evangelischen Konfession. Ihre Angehörigen blieben jedoch in Vegesack bis zum Jahre 1817 in zwei Lager geteilt: Hafen und Hafenhaus gehörten zu Bremen, und dort bestimmten die Reformierten das Bild, das Dorf Vegesack jedoch gehörte zum Königreich Hannover, das von Lutheranern geprägt war. Anlässlich des 300. Jahrestags der Reformation schlossen sich am 31. Oktober 1817 die Vegesacker Einwohner beider protestantischer Konfessionen zusammen, um eine unierte Kirchengemeinde zu gründen. Ausdruck dieser Vereinigung ist die Vegesacker Stadtkirche, die im Jahre 1821 festlich eingeweiht wurde. Symbolisch steht als Wahlspruch über dem Haupteingang: „Ein Gott – Ein Christus – Eine Gemeinde“. Und der Gedanke der Einheit setzt sich mit einem Satz über der Kanzel aus Mahagoniholz fort: „Das Wort Gottes steht über allem.“ „Der damalige Pastor Christoph Hermann Gottfried Hasenkamp wollte, dass beide Konfessionen sich in einer Kirche wiederfinden“, sagt Torsten Kropp, Historiker und Mitglied des Vegesacker Kirchenvorstands, „und diese Auffassung war damals revolutionär.“ An dem Gotteshaus mit einer Länge von 23 Metern, zwölf Metern Breite und einer Hauptsimshöhe von knapp sieben Metern wurden zwar im Laufe der 200 Jahre mehrere Umbauten vorgenommen, doch an der Grundsubstanz hat sich nicht viel geändert. Allerdings wurde im Jahre 1833 der Kirchenraum wesentlich erweitert, denn der Seefahrerort Vegesack hatte sich zum bevorzugten Wohnort bremischer Schiffskapitäne entwickelt.
19 Jahre nach der Einweihung der Vegesacker Stadtkirche kam der heutige Turm hinzu, und im Jahre 1907 wurden zwei Nischen hinter dem Altarbereich geschaffen. Dort hängen heute zwei Gemälde, die Kopien berühmter Vorbilder sind: Eines zeigt die Kreuzigungsszene, gemalt nach Peter Paul Rubens, das andere die Grablegung Christi, nach einem Original von Raffael. „Auch einige bunte Fenster ergänzen heute die schlichten Glasscheiben “, sagt Torsten Kropp, „und wegen des hohen Turms diente die Kirche von 1847 bis 1851 sogar als optischer Telegraf, der ankommende Schiffe meldete.“ In den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts ist die Kirche relativ glimpflich davongekommen: „Sie wurde zwar im Zweiten Weltkrieg von einer Brandbombe getroffen, doch großer Schaden entstand dabei nicht“, sagt Torsten Kropp. Im Jahre 2009 fand der vorläufig letzte Umbau statt, denn das Gemeindebüro zog in den Dachboden der Kirche ein.
Bis heute ist der antike Geist des Klassizismus in der Vegesacker Stadtkirche zu spüren, wie zum Beispiel bei der Altarwand mit vier flach aus der Wand tretenden Pfeilern mit korinthischen Kapitellen. Doch die zahlreichen Veranstaltungen, die inmitten dieser klaren Schlichtheit laufen, sind eher farbenfroh und zeitgemäß: „Wir führen überwiegend moderne Musik auf, auch die anderer Völker mit vielen ungewöhnlichen Instrumenten, während in der Lesumer Kirche vor allem klassische Werke erklingen“, sagt Torsten Kropp.