Mit mehr Schlagkraft gegen Schwerstkriminelle will der Senat vorgehen und hat im November eine personelle Verstärkung von Polizei und Justiz bewilligt. Zugleich muss die Polizei Bremen-Nord nach Polizeiangaben mit zwei Fehlstellen umgehen. Hunderte von Anzeigen im Kriminalkommissariat Nord können nicht bearbeitet werden. Exakt 389 Ermittlungsvorgänge liegen hier auf Halde. In Gesamt-Bremen gibt es mehr als 15.000 unerledigte Fälle. CDU und Polizeigewerkschaft gehen davon aus, dass sich in dem Aktenberg auch Anzeigen von Taten von kriminellen Clanmitgliedern verbergen.
"In der Halde befinden sich zum Beispiel Vorgänge wie Körperverletzung, einfacher Diebstahl, Beleidigung, Hausfriedensbruch und Erschleichen von Leistungen. Unter den Täterinnen und Tätern dürften auch Angehörige ethnischer Clans sein." Der Mann, der das sagt, heißt Lüder Fasche und ist Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft in Bremen. Zurückgestellt würden die Vorgänge, weil es niemanden gibt, der sie bearbeiten kann. Fasche sieht das Problem der unerledigten Ermittlungsfälle deshalb als Produkt jahrzehntelanger verfehlter Personalpolitik für die Polizei Bremen. „Und die Halde wird angesichts der Altersabgänge, ausbleibender Nachbesetzungen bei der Kripo und der Schwerpunktsetzung auf Großverfahren und Schwerstkriminalität weiterwachsen."
Mit Blick auf eben diese „Haldenproblematik“ hat die CDU-Bürgerschaftsfraktion die Verwaltung kürzlich um einen Bericht gebeten und nach Clankriminalität gefragt. Demnach geht die Innenbehörde davon aus, dass es nicht nur bei den aktuell 15.118 unbearbeiteten Anzeigen (Stand August 2021) in Bremen bleiben wird. Die Rede ist in dem Papier von einem weiteren, "erheblichen Anstieg" unbearbeiteter Vorgänge.
Dass Anzeigen etwa zu Diebstählen oder Betrugsfällen nicht zeitnah bearbeitet werden könnten, hat auch etwas mit den anstehenden Ermittlungen im sogenannten Encrochat-Verfahren gegen mutmaßliche Drogen- und Waffenhändler zu tun. Nachdem französische Ermittlungsbehörden in das Encrochat-Netzwerk eingedrungen waren, hatte das Bremer Landeskriminalamt im Juli 2020 die Aufbauorganisation (BAO) "Thor" eingerichtet und Personal dorthin verschoben. Diese Verschiebung wird nach Einschätzung der Innenbehörde auch künftig zu einer verzögerten Bearbeitung anderer Fälle führen. Dies gelte im Besonderen für einfach gelagerte Strafverfahren, welche dem Bereich der Eigentumskriminalität sowie der Wirtschafts- und Betrugskriminalität zuzuordnen seien.
Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Marco Lübke sorgt sich, dass mit dem Bearbeitungsstau nicht nur Kleinstvergehen liegen bleiben. „Ich glaube, dass sich bei den unbearbeiteten Anzeigen auch ein großer Teil Clankriminalität verbirgt. Das sind Fälle aus dem Bereich Drogenkriminalität.“ Seine Nordbremer Fraktionskollegin Silvia Neumeyer ergänzt: „Gerade in Bezug auf Bremen-Nord und das Kriminalitätsgeschehen an den Brennpunkten ist es ein fatales Signal des Rechtsstaats, wenn 15.000 Anzeigen nicht bearbeitet werden.“
Erst im vergangenen Jahr war es am Vegesacker Bahnhofsvorplatz zu einer Auseinandersetzung mit Clanmitgliedern gekommen. So gab es laut Oberstaatsanwalt Frank Passade im Juli 2020 in Grohn ein Aufeinandertreffen von Angehörigen einer arabisch-türkischen Großfamilie und einer nicht zur Familie gehörenden Frau, in deren Verlauf ein einschreitender Polizeibeamter von einem Angehörigen der beteiligten Großfamilie ins Gesicht geschlagen worden war.
Inwiefern Clankriminalität in Bremen-Nord eine besondere Rolle spielt, kann die Polizei offenbar nicht einschätzen. „Eine exakte regionale Eingrenzung von Clankriminalität nach Stadtteilen ist aufgrund von unzureichend belastbaren Meldedaten der beteiligten Personen und Täterschaften der Beschuldigten in verschiedenen Stadtteilen nur begrenzt möglich“, erläutert Polizeisprecherin Franka Haedke auf Anfrage. Gleichzeitig stellt sie fest: „Im innerbremischen Vergleich sticht Bremen-Nord nicht heraus.“
Die Bekämpfung der Clankriminalität habe für die Sicherheitsbehörden eine hohe Priorität. Franka Haedke versichert: „Vorgänge mit Clanbezügen werden nicht zu den Bearbeitungsrückständen gegeben. Nicht zu den unbearbeiteten Akten gelegt werden übrigens auch Verbrechenstatbestände wie Raub oder Wohnungseinbruchsdiebstahl, betont Lüder Fasche von der Polizeigewerkschaft. Zurzeit gäbe es bei diesen Fällen eine zweite Halde, nämlich die der kriminaltechnischen Untersuchungen von Tatortspuren. Fasche: „Hier vergehen auch mehrere Monate. Die Untersuchungen gehen zum Teil in die Fremdvergabe außerhalb Bremens weil die eigene Fachdienststelle überlastet ist."