Mal eben ins Kino. Sich einen schönen Abend machen. Den Alltag vergessen und in die Welt eintauchen, die die Leinwand für den Abend liefert. Mal eben ins Kino – diesen Gedanken können Menschen, die in Bremen-Nord leben eigentlich gleich wieder streichen. Zumindest „mal eben“ ist so eine Sache. Kinos gibt es natürlich in der Innenstadt, in Schwanewede und Osterholz-Scharmbeck. Auch in Ritterhude wird regelmäßig ein Film-Programm geboten. Aber das Haus verlassen, aufs Rad steigen oder zu Fuß um die Ecke gehen und ruckzuck an der Kinokasse stehen – Fehlanzeige in Vegesack, Blumenthal, Burglesum. Heutzutage jedenfalls. Früher war das ganz anders.
Es könnte einem beim Zuhören fast schwindlig werden, wenn Claus Jäger all die Kinos aufzählt, die er aus seiner Kindheit und Jugend kennt. Für sein Kinovergnügen musste der Lesumer gar nicht weit laufen. „An der Kreuzung Stadt London, wo sich jetzt der Parkplatz vor dem Jugendfreizeitheim befindet, gab es die Mühlenbach-Lichtspiele“, erzählt der FDP-Politiker, der von 1991 bis 1995 in Bremen Wirtschaftssenator war. Ende der 1950er-Jahre hatten zudem in der Bremerhavener Heerstraße die Park-Lichtspiele eröffnet. Und damit nicht genug. In Claus Jägers Erinnerung spulen die Namen aller Nordbremer Kinos ab: die Weserton-Lichtspiele in Farge, in Blumenthal das Union- und das Central-Kino sowie das Rö-Li in Rönnebeck, das Gloria in Lüssum und das Stadt-Theater an der Gerhard-Rohlfs-Straße in Vegesack. Dort war die Kino-Dichte groß. Um das Scala zu besuchen, ging man in die Breite Straße. Nicht weit entfernt davon – an der Alten Hafenstraße – lockte das Roxy mit Western und Heimatfilmen, und in Grohn, wo heute in der Brotbude Backwaren über den Tresen gehen, gab es das Capitol. Nicht zu vergessen das Silva-Kino an der Lesumer Heerstraße 76 in St. Magnus. Dort – und später in Aumund – konnte man von 1949 bis 1959 ebenso den Wandertonfilm besuchen.
Auch die Grambker mussten für ihren Kinospaß nur mal eben aus dem Haus. „Grambke erhält ein Kino“ meldete Die NORDDEUTSCHE am 21. August 1952 die Eröffnung des Lichtspieltheaters „Lichtburg Wilhelmshöhe“, eingerichtet in einem Tanzsaal am Grambker See. Auf dem Programm stand zur Eröffnung das Lustspiel „Meine Frau macht Dummheiten“. „Was die meisten der Kinobesucher jedoch nicht wissen“, hieß es damals in der Zeitung, „ist, daß sie in einem – inzwischen allerdings mehrmals umgebauten – früheren Gefängnis ungestörten Filmgenuß erleben werden“.
Claus Jäger saß als Junge sonntagnachmittags ab 15 Uhr vor der Leinwand und schaute Western, Piraten- oder Ritterfilme. „Darüber konnten wir uns dann montags in der Schule austauschen“, erzählt er. 60 Pfennig habe der Kinobesuch damals gekostet. „Das Silva in St. Magnus war sogar einen Groschen billiger“, erinnert er sich. Da blieb noch etwas mehr übrig für die Leckereien zum Film. Popcorn gab es allerdings nicht. Dafür aber Nappo und Lakritzschnecken. Seinen ersten Abend-Film für Erwachsene habe er im Lesumer Mühlenbach-Kino erlebt. Er weiß auch noch, welcher Film lief: „Wenn die Alpenrosen blühen“.
Von ähnlichem Kaliber waren auch die Filme, die Erika Hanke als Kind auf der anderen Weserseite gerne anschaute. In Lemwerder hatte man es nämlich auch nicht weit bis zur Leinwand. „Die Amerikaner hatten damals Am Schlatt ein Kino eröffnet. Das sei mehr eine Baracke gewesen, erinnert sich die Seniorin, die sich lange Zeit im Gemeinderat engagierte. Außerdem habe jemand an der St.-Veitstraße privat ein Kino gebaut. Erika Hanke hat das „große Backsteinhaus“ noch vor Augen. „Einmal in der Woche bin ich ins Kino gegangen“, erzählt sie. Da liefen vor allem Heimatfilme. „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ kommt ihr sofort in den Sinn. Übrigens Film-Debüt für Götz George. Oder Filme mit Rudolf Prack. „Toll“, sagt Erika Hanke. Und auch bei ihr musste es dazu etwas Süßes geben. „Sahnebonbons für zehn Pfennig.“ Der Eintritt ins Kino kostete 40 Pfennig. „Ich habe jeden Tag Nachhilfe gegeben, um mir das leisten zu können.“ Später besuchte sie auch das Scala in Vegesack. „Damals wurde in den Kinos noch geraucht“, erzählt sie. Jedenfalls seien die Kinobesuche mit den Freundinnen immer ein Erlebnis gewesen. „Wer hatte denn schon einen Fernseher?“
Der kam später in die Haushalte. Bis dahin hatten die Lichtspielhäuser noch ihr treues Publikum. Die Ära ging aber zu Ende, je mehr das sogenannte Puschen-Kino die Leute auf den Sofas hielt. Claus Jäger berichtet von einem „Kinosterben in den Siebzigern“. Einen weiteren dramatischen Rückgang erlebte die Bremer Kinolandschaft in den 90er-Jahren. „Ich kann mich nicht erinnern“, sagt Claus Jäger, „dass man den Erhalt der Kinos als wichtigen Beitrag zur Kultur angesehen hätte.“ Und heute? Hat auch das Puschen-Kino längst Konkurrenz erhalten durch Netflix und Co. Es wird gestreamt. Gerne auch, was auf einer Kinoleinwand läuft.