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Hausarztmangel Zwölf Praxen geschlossen: Wie es um die Ärzteversorgung in Walle steht

In Walle könnte es mit der Hausarztversorgung bald dünn werden. In den vergangenen Jahren wurden zwölf Praxen geschlossen. Weitere könnten hinzu kommen.
31.05.2022, 13:00 Uhr
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Von Anke Velten

„Tut mir leid, wir nehmen keine neuen Patienten mehr auf“: Wer zurzeit auf der Suche ist nach einer neuen Hausarztpraxis, könnte diesen Satz durchaus zu hören bekommen. Einen Platz im Wartezimmer zu finden, ist schon jetzt nicht leicht, und in absehbarer Zeit könnte es sogar noch deutlich schwieriger werden. Sieben Waller Ärztinnen und Ärzte richteten sich kürzlich mit einem Appell an die Öffentlichkeit, weil sie befürchten, dass die medizinische Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten in Zukunft nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Sorge ist begründet, wie auch die Kassenärztliche Vereinigung und die Gesundheitsbehörde bestätigen – und übertragbar auf jeden anderen Stadtteil.

Doch zurück nach Walle. In den vergangenen Jahren wurden zwölf Hausarztpraxen im Stadtteil geschlossen. Im Jahr 2026 könnten im schlimmsten Fall nur noch zwei Standorte übrig sein, heißt es in dem Brief, mit dem sich die Waller kürzlich an den Beirat und das Ortsamt West wandten.

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Sigrid Rosenthal hat den Brief mit unterzeichnet. Sie führt seit 2005 ihre Praxis an der Elisabethstraße und betreut eine vierstellige Zahl an Patienten –  weit mehr als üblich für eine Einzelpraxis, erklärt die Fachärztin für Innere Medizin. Täglich müssten drei bis vier Anrufende abgewiesen werden, „weil wir einfach nicht mehr leisten können“, sagt sie. Dass sich in der Überseestadt bis heute kein einziger Allgemeinmediziner niedergelassen hat, sei „ganz schlimm“, so Rosenthal. „Wir sehen die Not, aber wir können den Bedarf nicht auffangen.“

Schließungen absehbar

Bei mindestens drei Waller Praxen sei die Schließung aus Altersgründen in den kommenden drei Jahren abzusehen. Vor 17 Jahren, als sie Räume und Patientenstamm ihres Vorgängers übernahm, „wurden etablierte Praxen mit Kusshand übernommen“, erzählt Rosenthal. „Heute ist es fast unmöglich, Nachfolger für Einzelpraxen zu finden.“

Genau darin liege auch die Wurzel des Problems, vermutet die Ärztin: Wer eine Einzelpraxis übernehme, sei nicht nur für die Patienten verantwortlich, sondern parallel auch für ein Unternehmen. Personal, Verwaltung, Buchhaltung, Qualitätsmanagement: All dies und mehr müsse neben den festen Sprechstundenzeiten, den Hausbesuchen, dem Verfassen von Gutachten und den Fortbildungen zur Arbeitszeit hinzugerechnet werden. „Das wollen viele junge Leute nicht mehr“, weiß Rosenthal. Wäre da nicht ihr Ehemann Stefan, der seinen Ingenieurberuf aufgab, um das Praxismanagement und andere Aufgaben zu übernehmen – „ich könnte das alles hier nie schaffen“, sagt die Ärztin.

Angestelltenverhältnis bevorzugt

Eine Studie des Berliner IGES Instituts im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung ermittelte, dass bis zum Jahr 2035 bundesweit fast 30.000 Hausärzte in den Ruhestand gehen und knapp 11.000 Praxen unbesetzt bleiben. Hauptgrund sei, „dass sich wenige Nachwuchsmediziner dafür entscheiden, sich als Hausarzt niederzulassen“, hieß es dazu in einem Artikel des Ärzteblatts im Mai des vergangenen Jahres: Junge Ärzte bevorzugten statt Einzelpraxen zunehmend Angestelltenverhältnisse und Teilzeitmodelle. Die Studie mahnt, dass sich die Probleme mit fehlenden Hausärzten in vielen Regionen verschärfen werden.

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Dazu wird man durchaus auch Bremen zählen müssen, heißt es von der Bremer Kassenärztlichen Vereinigung (Kvhb). „Junge Mediziner können sich heutzutage aussuchen, wohin sie gehen“, sagt Kvhb-Sprecher Christoph Fox. „Wir haben Probleme, sie für die Stadtgemeinde Bremen zu begeistern.“ Nach den aktuellsten Daten der Kvhb ist Bremen noch erfreulich gut versorgt und besonders gut ausgestattet in diversen fachärztlichen Spezialdisziplinen. Auch die hausärztliche Versorgungsquote liegt leicht über dem Bedarfsplan – der Bezirk Bremen-West, zu dem Walle, Gröpelingen und Findorff zählen, steht laut Fox sogar vergleichsweise überdurchschnittlich gut da. Die Nachfolge sei allerdings ein „grundsätzliches Problem der Zukunft.“

Notwendigkeit für Anreize

An den Unis würden zu wenige Allgemeinmediziner ausgebildet – und in Bremen ohne eigene medizinische Fakultät bekanntlich überhaupt keine. „Es gibt bundesweit eine riesengroße Nachfrage nach Hausärzten“, betont Fox. Der Wettbewerb um die junge Medizinergeneration lasse sich nur gewinnen, wenn man sich aktiv darum kümmere. „Andere Kommunen machen das erfolgreich vor und bieten gemachte Nester. Das reicht von vergünstigten Mieten über Kita-Plätze für die Kinder und Job-Angebote für die Partner bis zu persönlichen Mentoren“, erzählt Fox. „Bremen muss sich anstrengen.“

Der Gesundheitssenatorin muss er das nicht erzählen: „Wir sehen eine dringende Notwendigkeit darin, Anreize zu schaffen, damit sich junge Ärztinnen und Ärzte in Bremen niederlassen“, sagt auch Claudia Bernhard. Für diejenigen, die lieber in einem Angestelltenverhältnis arbeiten möchten, müssten passende Strukturen geschaffen werden. Ein Beispiel sei das Liga-Gesundheitszentrum, das zurzeit in Gröpelingen entstehe, mit einem interdisziplinären Team aus Medizinern, Gesundheitsfachkräften, Sprach- und Kulturmittlern. „Wir sehen in diesen Gesundheitszentren eine große Chance, die Attraktivität einer ärztlichen Niederlassung zu steigern, wenn die Strukturen und Räumlichkeiten vor Ort sind“, so die Senatorin.

Passende Strukturen bereitstellen: Das könnte auch heißen, bei Neubauprojekten Raum für eine Gemeinschaftspraxis von vornherein mit zu planen, so wie man es beispielsweise auch bei Kitas mittlerweile oft mache, sagt Sigrid Rosenthal. Doch viel Zeit bleibt nicht. „Wir sind Ärztinnen und Ärzte mit Leib und Seele. Unsere Patientinnen und Patienten liegen uns am Herzen, und wir möchten, dass sie gut versorgt werden, wenn wir selbst es nicht mehr können“, sagt sie. „Darum muss dieses Problem schnell gelöst werden.“

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