Jeden Tag öffnen in Deutschland Tausende Menschen ihre Haustür und passen auf die Kleinkinder anderer auf, während die bei der Arbeit sind. Steckdosen wurden dafür gesichert, Spielzeug gekauft, bis zu fünf Kinderbetten aufgestellt. Tagesmütter oder -väter, auch Tagespflegepersonen genannt, sind ein Alternativmodell zur Krippe, zum Elternverein, zu Oma und Opa. Zwischen einem und drei Jahren sind die Kleinen meist, wenn sie in die Tagesbetreuung gehen. Wer eine entsprechende Qualifikation durchlaufen hat, darf selbstständig einen Betreuungsplatz für bis zu fünf Kinder in den eigenen vier Wänden anbieten. Doch in München wird nun Kritik an den Arbeitsbedingungen laut.
Verantwortung für fünf Kinder, ein Einkommen unter dem Mindestlohn und keine Krankheitstage: So fasste die Süddeutsche Zeitung in einem Bericht Mitte Oktober die Situation der Tagespflegepersonen in der Landeshauptstadt zusammen. Eine Recherche des WESER-KURIER zeigt nun: In Bremen ist die Situation besser. Aber vor Freude jubelt auch kaum jemand.
Zahl der Kindertagespflegepersonen seit 2013 stark gesunken
697 Kinder unter drei Jahren wurden im März dieses Jahres von 170 Tagespflegepersonen in der Stadt Bremen betreut. Zum Vergleich: Eine Krippe besuchten zur selben Zeit 4473 Kinder. Doch es verschiebt sich etwas. 2013 betreuten noch 299 Tagesmütter und -väter 681 Kinder gegenüber 2604 Krippen-Kindern. Wer sich für die Tagespflegestelle entscheidet, entscheidet sich in der Regel für kleinere Gruppen, ein familiäreres Umfeld. Die Tagesmutter, die zu Hause fünf Kinder betreut, ist jedoch heute seltener zu finden. Inzwischen gibt es auch 25 externe Kindertagespflegestellen in Bremen. Mehrere selbstständige Betreuer mieten hier gemeinsam Räumlichkeiten und teilen sich Aufgaben und Verantwortung. Genau eine solche Einrichtung befindet sich im Gewerbegebiet Bayernstraße in Bremen-Walle.
Es ist 13 Uhr, die 20 kleinen "Handwerkszwerge" schlafen gerade, als Monica Fuentealba, Maria Gruber-Castro, Sabine Janjic und Claudio Fuentealba im Gruppenraum zusammenkommen. Zu viert betreiben sie in zwei getrennten Gruppen die bilinguale Kinderbetreuung Handwerkszwerge auf dem Gelände der Technikerschule, dem Kompetenzzentrum der Handwerkskammer Bremen.
In der klassischen häuslichen Kindertagespflege hat nur Janjic vorher gearbeitet. Heute findet sie: Abseits der besseren Work-Life-Balance für sie selbst ist die externe Tagespflegestelle das "optimale Modell" für die wichtigen ersten Lebensjahre der Kinder. Im Vergleich zu den Krippen würden die Tagespflegestellen von der Stadt jedoch "stiefmütterlich behandelt".
Auch wenn die drei Tagesmütter und der Tagesvater selbstständige Unternehmer sind: Mit der Stadt Bremen und dem Träger PiB (Pflegekinder in Bremen) sind sie eng verwoben. Die Kommune leitet etwa die Elternbeiträge weiter und gibt vor: 20 Tage Urlaub und 15 bezahlte Krankheitstage pro Jahr. Jeder weitere Krankheitstag kann durch eine Zusatzversicherung aufgefangen werden, die zur Hälfte bezuschusst wird. Zu viert teilen sie sich eine Krankheitsvertretung. Die letzte Gehaltserhöhung der Erzieher in Bremen: für Kindertagespflegepersonen erst mal nicht in Sicht. Corona-Prämie oder Inflationsausgleich: Fehlanzeige. Ein Ärgernis aus Sicht der vier Betreuer.
Gerne würden sie zu zweit nur acht statt zehn Kinder beaufsichtigen, aber die Rechnung geht nicht auf. Um ein auskömmliches Gehalt über dem Mindestlohn zu haben, verschlissenes Inventar zu ersetzen, den Caterer zu bezahlen und die Nebenkosten abzudecken, müssen sie auf voller Auslastung fahren: 20 Kinder, 40 Stunden Betreuung pro Woche – Einkäufe und Elternabende nicht mitgerechnet.
Ein Fulltime-Job, wie ihn auch Mathias Schadwinkel erlebt. Er betreut zu Hause in Horn-Lehe fünf Kinder, ist in der Interessenvertretung der Bremer Kindertagespflegepersonen aktiv und hat sie Sache mal durchgerechnet: 5,19 Euro bekomme er pro Kind pro Stunde. 2,10 Euro seien davon für Sachkosten bestimmt, gut drei Euro bleiben für ihn. In seinen Augen beides zu wenig. Wenn er dann noch an den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen denke, sei für ihn klar: "Im Laufe der Zeit brennt man aus. Man kommt hier nur klar, wenn man sich professionell aufstellt."

Mathias Schadwinkel kommt eigentlich aus dem IT-Bereich, arbeitet nun allerdings schon seit 13 Jahren als selbstständige Kindertagespflegeperson in Bremen-Horn.
Die Bildungsbehörde verweist auf Nachfrage auf Fördermaßnahmen für Berufseinsteiger und eine Erhöhung der Sachkostenpauschale 2022. Zudem betont sie, dass Tageseltern am Ende selbstständige Unternehmer seien, die aus Überschüssen Rücklagen bilden müssten. Eine Aussage, bei der Schadwinkel nur müde lacht, wenn er schaut, was bei ihm am Ende des Tages übrig bleibt.
Einen Blick in die Zukunft verspricht nun ein Pilotprojekt am Hauptbahnhof: Dort arbeiten Tageseltern, die fest bei PiB angestellt sind. Die Personalakquise sei jedoch langsamer verlaufen als erwartet, da das Gehalt niedriger sei als bei der Selbstständigkeit, so die Behörde. Gleichzeitig öffnete sich zuletzt eine neue Tür: Qualifizierte Tageseltern können als "Zweitkräfte" in Krippen anfangen. Ein Weg, der gerne genutzt werde – laut Innenressort von Berufseinsteigern aber auch von ehemals Selbstständigen, wie bei den Handwerkszwergen zu hören ist. Wenn die Behörde von guten Bedingungen im Vergleich zu Nachbarkommunen spricht, stimmen zwar viele Tageseltern zu. Dass noch Luft nach oben ist, bestätigten aber auch viele.