Da ist ein Ineinander und ein Auseinander von vielen Farben, da finden sich Verdichtungen und Auflockerungen bis zur Transparenz, und Gegenstände sind oft nur angedeutet – die meist großformatigen Gemälde der Bremer Künstlerin Silvia Brockfeld leben von einem Wechselspiel aus Offenbaren und Verbergen. „Ich möchte einen offenen Raum entstehen lassen, in dem jeder seinen eigenen Assoziationen überlassen bleibt“, sagt sie, die in der Galerie des Westens Malereien und Cutouts aus Holz unter dem Titel „Hide and seek“ ausstellt.
Zur Offenheit ihres Schaffensprozesses gehört, dass es keinen Entwurf für ihre Bilder gibt, und dass sie sich beim Malen dem überlässt, was auf der Leinwand entsteht. „Am Anfang ist nur eine weiße Fläche da, dann folgen Linien. Schließlich treten Farben und Formen hinzu, bis das Bild eine gewisse Stabilität erreicht, ohne dass sich dabei Langeweile breit macht“, sagt die Künstlerin. So entwickelt sie auf der Leinwand aus einer nur angedeuteten Räumlichkeit eine Gleichzeitigkeit verschiedener Geschehnisse und Bewegungen – ein optisches Netzwerk.
Viele ihrer Bilder entstehen unter dem Einfluss von Musik, zum Beispiel von Claude Debussy, George Bizet oder Eric Satie. „Im Falle des großformatigen Gemäldes ‚Milonga del Angel‘ war es eine Bandoneon-Komposition in Form eines Tanzlieds, abgeleitet von den Sprechgesängen der Gauchos in Argentinien“, führt der Kunstkritiker und Kulturjournalist Rainer Beßling während der Vernissage aus. Silvia Brockfeld erschaffe mit dem Bild eine eigene visuelle Realität, ein Brodeln und Sprudeln, wuchernde, anwachsende und ausschwingende Linien, doch in der oberen Bildhälfte auch ein transparentes Schweben, interpretiert Rainer Beßling das Gemälde „Milonga del Angel“.
Wie in der Kunst des Informel, für den das Spannungsfeld zwischen Formauflösung und Formwerdung konstitutiv ist, entstehen bei Silvia Brockfeld keine Abbilder, sondern Bildereignisse, so Beßling. Mit dem Surrealismus verbinde sie die Auffassung, dass es wahre Erkenntnis nur unterhalb der Erscheinung geben würde – wie sie die vielfarbigen nächtlichen Träume mit sich bringen können.
Die Musik, die Silvia Brockfeld während des Malprozesses hört, kommt aus den unterschiedlichsten Stilrichtungen: „Jede Musik hat ihren eigenen Ausdruck“, sagt sie, „und den versuche ich im Bild umzusetzen.“ Die Klangformen, die in der Musik entstehen, verwandeln sich im Bild in visuelle Formen, und wie in der Musik die Formen variiert werden, so machen in der Malerei von Silvia Brockfeld die Farben und Formen Metamorphosen durch. „Beim Malen eines meiner Bilder hörte ich einen Klangteppich, und ich assoziierte einen dichten Dschungel, den ich vielgestaltig und farbenreich auf die Leinwand brachte“, sagt die Künstlerin.
Manchmal treten jedoch eindeutig identifizierbare Dinge hervor, wie in einem der Bilder weiße Kaninchen: „Eine Erinnerung an meine Kindheit“, sagt Silvia Brockfeld, die früher auch realistisch gemalt hat, doch inzwischen die offene Malweise interessanter findet. Sie hat an der Universität Bremen Kunst und Sozialwissenschaften studiert und betreibt die Malerei seit etwa 20 Jahren, hat aber auch fotografiert und Druckgrafik erstellt, die sie aber bisher nicht ausgestellt hat.
Anregender Schöpfungsprozess
Wer die höchst dynamischen, vielfarbigen und formenreichen Bilder betrachtet, wohnt einem anregenden Schöpfungsprozess bei: Das Produkt von Kreativität, das Gemälde, bildet selber noch einen kreativen Prozess ab. Denn das Entstehen sich durchdringender Farben und Formen hat etwas vom Chaos, aus dem ein Kosmos entsteht – schöpferische Prozesse, wie sie sich auch in der Natur in verschiedenen Zeitdimensionen finden: vom langsamen Entstehen einer Landschaft in geologischen Epochen bis zur explosionsartigen Entwicklung mikroskopisch kleiner Einzeller.
Der Titel der Ausstellung „Hide and seek“ verweist darauf, dass der Prozess des Suchens und Versteckens intuitiv und von der individuellen Wahrnehmung abhängig ist, ebenso wie der Entstehungsprozess der Bilder selbst: Im ergebnisoffenen, experimentellen Vorgehen von Silvia Brockfeld werden Formen, Farben, Kompositionen und Rhythmen entwickelt, kombiniert, akzentuiert, verworfen, verfremdet und so lange variiert, bis sie sich zu einem Gleichgewicht entwickelt haben.
Einige der Formen, die in den Gemälden Silvia Brockfelds auftauchen, haben jedoch die Leinwand verlassen: Sie wurden als blütenweiße Cutouts separat in der Galerie des Westens installiert und hängen als fließende, schwingende und amöbenhaft ausufernde Formen im Raum.
Die Ausstellung „Hide and seek“ von Silvia Brockfeld ist bis Freitag, 21. Februar, in der Galerie des Westens, GaDeWe, Reuterstraße 9-17, zu sehen. Öffnungszeiten sind Mittwoch, 15 bis 19 Uhr, Donnerstag, 15 bis 21 Uhr, und Freitag, 15 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.