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Illegale Autorennen Dritte Petition gegen Raser in der Bremer Überseestadt gestartet

Anwohner der Überseestadt protestieren gegen den Lärm und die Gefahr von Rasern. Eine dritte Petition zu dem Thema fand schnell rund 1300 Mitzeichner, doch bislang fühlen sich die Bürger nicht ernst genommen.
12.09.2024, 05:00 Uhr
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Von Anke Velten

Mit 107 Sachen durch das Wohngebiet: Der Autofahrer, der am späten Sonnabend durch die Überseestadt jagte, hatte Pech. Er wurde von einer Polizeikontrolle erwischt. Seit Jahren schon beklagen Anwohner den unzumutbaren Lärm und die Gefährdung durch rücksichtslose Raser und Poser. In einer Bürgerschaftspetition wird der Senat nun aufgefordert, effektivere Maßnahmen zu ergreifen. Es ist der dritte Versuch dieser Art. Vor allem der Kommodore-Johnsen-Boulevard habe sich in der Szene der ganzen Region als Treffpunkt herumgesprochen, sagt Zafer Seplin. Er hat die aktuelle Petition formuliert, die bislang von fast 1300 Menschen mitgezeichnet wurde.

Geschehen sei bislang viel zu wenig, sagen die Petenten. Sie fühlen sich nicht ernst genommen. Die Stadt sei aber in der Pflicht, die Bürger zu schützen, bevor jemand zu schaden kommt. Denn das sei nur eine Frage der Zeit, heißt es in der Petition.

Beliebte Rennstrecke: Der Kommodore Johnsen Boulevard

„Die Stille, die sich füllt mit Möwengeschrei“ hatte die Hochglanzbroschüre versprochen, mit der der Investor einst für die Neubauwohnungen warb. Doch anstatt zu Geräuschen der Natur aufzuwachen, würden die Bewohner wieder und wieder von brüllenden Motoren und quietschenden Reifen aus dem Schlaf geschreckt, berichtet Anwohnerin Irene Vedder. Die schnurgeraden neuen Straßen mit ihrem glatten Asphalt eignen sich hervorragend, um das Gaspedal bis zum Anschlag durchzutreten.

Tagsüber kann man am Kommodore-Johnsen-Boulevard mit seinem Wendekreis beobachten, wie Luxuskarossen an den Außenterrassen der Restaurants paradieren. Viele der „Protzkarren“ stammten von einschlägigen Bremer Leihfirmen, wie die Bewohner inzwischen anhand der Kennzeichen identifizieren konnten. Richtig schlimm seien allerdings die Abende, wenn der Waller Sand zum Treffpunkt für illegale Auto- und auch Motorradrennen werde, sagt Vedder.

Vor allem seit der Corona Pandemie wurde es immer schlimmer
Irene Vedder, Anwohnerin

Man treffe sich zu Rennen auf beiden Fahrbahnseiten. Die besondere Akustik der Straße verstärke den Geräuschpegel zusätzlich, meint Seplin. Vor allem aber sei die Raserei höchst gefährlich in einem Wohngebiet, in dem Kinder spielen, viele ältere und behinderte Menschen wohnen. Sie habe nicht nur viele riskante Situationen beobachtet, erzählt Irene Vedder. Auch sie selbst sei einem schweren Unfall nur um Haaresbreite entgangen, als ein hochmotoriger Mercedes entgegen der Fahrtrichtung auf sie zuraste. „Das war so knapp!“, sagt sie.

Vedder hatte bereits vor zwei Jahren eine Petition eingereicht und wurde auch vom Petitionsausschuss angehört. Sie legte dazu die Auswertung von Fragebögen vor, die sie in den Briefkästen am Boulevard und in den Seitenstraßen verteilt hatte. Viele der Befragten hatten bestätigt, dass die Belastung in den vergangenen beiden Jahren deutlich zugenommen habe. „Vor allem seit der Corona-Pandemie wurde es immer schlimmer“, erklärt Vedder.

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Im Anschluss an die Petition sei der Straßenabschnitt vor dem Blauhaus zur Tempo-30-Zone deklariert worden – allerdings nur auf der einen Fahrbahnseite. Installiert wurde zudem eine Messanzeige kurz vor dem Kreuzungsbereich, die mit Smiley-Symbolen freundlich an die Einhaltung der Richtgeschwindigkeit erinnert. Ernst genommen werde das von der Klientel keineswegs, berichtet die Anwohnerin. Vielmehr werde gefilmt, wie das Smiley die Mundwinkel herunterzieht. „Und dann wird das Video geteilt.“ Ohnehin sei die Szene hervorragend vernetzt. „Sobald ein Polizeiwagen auftaucht, spricht sich das sekundenschnell herum.“

Die Problematik sei ihm „leider“ nur zu gut bekannt, sagt Sven Uhrhan, Professor für nachhaltige Mobilitätssysteme an der Hochschule Bremen mit dem Lehrgebiet Verkehrswesen und Verkehrsinfrastruktur. Dabei biete der Instrumentenkoffer von Polizei, Ordnungsbehörden, Stadt-und Verkehrsplanung eine durchaus vielversprechende und wirksame Kombination aus erhöhter Polizeipräsenz an den Hotspots, Öffentlichkeitsarbeit und technischen Überwachungsmaßnahmen wie Videokameras und Radarsensoren.

Experte schlägt bauliche Veränderungen vor

Konkret im Falle des Kommodore-Johnsen-Boulevards seien auch bauliche Methoden denkbar, um die „verführerisch einladende“ Straße weniger attraktiv für die Raser- und Poserszene zu machen – darunter Querungshilfen und ein Bewuchs des Mittelstreifens mit höheren Hecken, um den Straßenraum weniger weit einsehbar machen. Um den Rasern die „Lust am befreiten Fahren zu nehmen“, komme man nicht um sich wiederholende Fahrbahnerhöhungen und -absenkungen herum. Selbst günstig anzuschaffende mobile Temposchwellen verursachten holprige Fahrten mit „harter Reibung am Fahrergesäß“. Uhrhan plädiert zudem dafür, dass die Versicherungen von Leihfirmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, bei Unfällen durch Raser Zahlungen zu verweigern.

Zu schweren Unfällen ist es bislang noch nicht gekommen. Aufgrund der unauffälligen Unfallstatistik sehe die Verkehrsbehörde auch keinen großen Handlungsbedarf, erklärt Seplin. „Es kann doch nicht sein, dass wir erst Tote und Schwerverletzte liefern sollen“, kritisiert Vedder. „Warum kann man nicht präventiv tätig werden?“ Als sie vor sechs Jahren in die Überseestadt gezogen sei, habe sie sich „das hier ganz anders vorgestellt“, sagt sie. „Ich kenne mehrere Fälle, in denen Bewohner aus genau diesem Grund wieder weggezogen sind.“ Für Zafer Seplin ist das keine Option. Sein Wunsch ist vielmehr: „Ich möchte, dass den Menschen hier endlich zugehört wird.“

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