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Autorennen in Bremen Verkehrspsychologe: "Wer rast, hat oft ein geringes Selbstwertgefühl"

Bei einem mutmaßlichen Autorennen in Kattenturm wird einer der Beteiligten leicht verletzt, ein Fußgänger kann gerade so ausweichen. Was treibt Beteiligte an und wie schätzt die Bremer Polizei die Szene ein?
30.12.2023, 05:00 Uhr
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Verkehrspsychologe:
Von Kristin Hermann

Es hätte noch deutlich schlimmer ausgehen können: Mitte Dezember beobachten Zeugen in Kattenturm, wie zwei Männer sich ein mutmaßliches Autorennen liefern. Demnach stehen sie nachts erst an einer roten Ampel, beschleunigen dann mit quietschenden Reifen und fahren mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit nebeneinander her. Auf Höhe des Arsterdamm kollidieren sie, geraten ins Schleudern. Laut Polizei entsteht dabei ein erheblicher Sachschaden, ein Fahrer wird leicht verletzt, ein Fußgänger kann gerade noch so ausweichen. Immer wieder sorgen Schilderungen wie diese für Bestürzung. In vielen Bundesländern steigen die Zahlen, die Polizei in Bayern hat dieses Jahr so viele illegale Autorennen auf den Straßen registriert wie nie zuvor. Wie ist die Situation in Bremen und worin liegt die Motivation der Beteiligten?

Wie oft finden Autorennen in Bremen und Niedersachsen statt?

2021 verzeichnete die Bremer Polizei 41 Strafanzeigen. Für 2022 konnte die Polizei kurzfristig keine Fallzahl nennen. An Pfingsten sorgten dieses Jahr direkt mehrere Autorennen für Schlagzeilen, einmal in der Überseestadt und in Hemelingen, bei dem eine Person verletzt wurde. In Niedersachsen hat sich Zahl der Anklagen im Zusammenhang mit illegalen Autorennen binnen zwei Jahren mehr als verdreifacht. Nach Angaben des Justizministeriums in Hannover wurden 2021 insgesamt 410 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 2020 waren es 254, im Jahr davor 126. Die Zahl der Anklagen stieg von 53 im Jahr 2019 auf 161 in 2021.

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Was ist über Autoposer und Raser bekannt?

Nach Angaben der Bremer Polizei sind die Beteiligten überwiegend junge Männer bis 35 Jahre. Die Raser kämen in der Regel aus Bremen oder dem Umland. "In den Nachbargemeinden, die eine entsprechende Szene haben, ist es offensichtlich ein Anreiz, immer mal wieder nach Bremen zu kommen", sagt Polizeisprecherin Franka Haedke. "Sie halten sich dann nicht permanent hier auf, aber beispielsweise Freitag- oder Samstagabend, um ihre Fahrzeuge hier vorzuführen." Die komplette Erfassung der Raser und Poser ist laut Polizei schwierig, da es sich nicht um eine geschlossene, homogene Szene handelt und immer wieder neue Fahrzeuge und Fahrzeugführende festgestellt werden. "Erfahrungsgemäß findet eine Verabredung zu verbotenen Autorennen spontan im Fließverkehr – zum Beispiel beim Halten an einer Ampel – statt", so Haedke weiter.

Was treibt die Beteiligten an?

Auch der Bremer Verkehrspsychologe Thomas Pirke weist darauf hin, dass junge Männer eine höhere Risikobereitschaft zeigen. Rivalitätsdenken und ein hohes Aggressionspotenzial sorgten häufig für den Tritt aufs Gaspedal. "Wer rast, hat oft ein geringes Selbstwertgefühl und versucht, eigene Defizite durch rücksichtsloses Fahren zu kompensieren", sagt Pirke. Viele der Beteiligten kämen aus schwierigen Verhältnissen und suchten darüber Bestätigung. Sie treten entweder gegen andere oder sich selbst an. Der Psychologe habe schon Menschen erlebt, die immer wieder dieselbe Strecke fuhren, um neue Temporekorde aufzustellen. "Da war zum Beispiel jemand, der nachts mit 230 Stundenkilometern durch den Ort raste", erzählt er. Raserei im Straßenverkehr könne auch ein Bestandteil von Persönlichkeitsstörungen sein. "Es ist ein langer Weg, solche Muster zu durchbrechen und erfordert viel Selbstreflexion."

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Welche Strecken sind besonders beliebt?

Die meisten Geschwindigkeitsüberschreitungen gab es nach Angaben der Polizei im vergangenen Jahr im Bereich "an der Weide", "In der Vahr" und entlang der "Osterholzer Landstraße". Zu Problemen mit Autoposern kam es in der Vergangenheit zudem im Innenstadtbereich, im Viertel, der Überseestadt, in der Bismarck- und Stresemannstraße sowie im Schweizer Viertel in Osterholz.

Wie geht Bremen dagegen vor?

Bei der Bremer Polizei gibt es seit 2019 die "Kontrollgruppe Raser und Poser", die im Sommer die Verkehrsüberwachung verschärfen soll. In dieser Saison pausiert die Einheit allerdings, weil das Personal anderweitig gebunden ist. Die Spezialisten der Verkehrspolizei sind laut Polizei nach wie vor auf der Straße und werden dabei vom Einsatzdienst der Polizei unterstützt. "Das führte auch in diesem Jahr zu Erfolgen", sagt Haedke.

Welche Strafen drohen?

Seit 2017 gelten Autorennen als Straftat und nicht mehr als Ordnungswidrigkeit. Seitdem drohen entweder Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren. Werden Menschen getötet oder schwer verletzt, drohen bis zu zehn Jahre Haft. Im Falle eines Unfalls mit Toten kann der Unfallverursacher aber auch wegen Mordes verurteilt werden. Dann ist auch eine lebenslange Freiheitsstrafe möglich. Außerdem wird dem Fahrer meistens die Fahrerlaubnis entzogen. Der Führerschein ist damit erst mal mindestens sechs Monate weg.

Wie gehen Autovermieter mit dem Thema um?

Immer wieder sind bundesweit Mietwagen in illegale Autorennen verwickelt. Autoverleiher schränken zum Teil ein, wer PS-starke Wagen mieten darf. Bei Sixt etwa gilt bei hochmotorisierten Fahrzeugen ein Mindestalter von 25 Jahren. Beim Vermieter Hertz beträgt das Mindestalter nach eigenen Angaben im Regelfall 25 Jahre. In den unteren Fahrzeuggruppen seien Anmietung ab dem Alter von 21 Jahren gegen Zahlung einer Jungfahrergebühr möglich. In oberen Fahrzeugklassen, worunter auch sportliche Fahrzeuge fallen, gelte das verbindliche Mindestalter von 27 Jahren.

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