Westend. „Das ist eine eigene Gattung, die in sich schlüssig ist“, sagt die Künstlerin Ilka Rautenstrauch über ihre Skulpturen. „Menschliches, aber auch am Menschlichen vorbei.“ Figürliche Arbeiten eben, die sich zweidimensional auch im Werk Natascha Kaßners wiederfinden, und beide Künstlerinnen stellen noch bis zum 21. Mai in der Galerie des Westens (Gadewe) aus.
Eine Ausstellung in Zeiten von Corona?, mag man sich nun fragen, doch obwohl Museen derzeit geschlossen haben, dürfen Galerien weiter öffnen. Denn sie gehören zur Gattung „Einzelhandel“ und sind somit systemrelevant. Und somit erwarten den durch Corona nicht gerade verwöhnten Kunstliebhaber außergewöhnliche Arbeiten zweier vielseitiger Künstlerinnen, die trotz der unterschiedlichen Materialien und Medien doch diverse Gemeinsamkeiten aufweisen.
Die Skulpturen Ilka Rautenstrauchs etwa kommen im ersten Moment recht realistisch daher, doch auf dem zweiten Blick ergeben sich Unstimmigkeiten: „Das interessiert mich, das mehrmalige Hinsehen, Irritation schaffen“, sagt sie, „das ist auch befremdlich und das Befremdliche suche ich auch immer.“ Wobei sie zwar mit dem Stilmittel der Entfremdung arbeitet, „es sollen aber keine Gruselgestalten werden.“
Und das sind sie auch nicht, wenngleich der Betrachter oder die Betrachterin irgendwann realisiert, dass etwa der hölzerne Torso nur eine Brust aufweist. So etwas gibt es aber, genauso wie den Torso, der eine recht beachtliche Wampe aufweisen kann, die jedoch so mancher Mann wiedererkennen wird. Zumeist verharren die stets aus Pappelholz gefertigten Skulpturen in Posen, die jedem Physiotherapeuten viel Arbeit bescheren würden, meistens sind die Figuren haarlos und insgesamt immer ein wenig verrutscht. „Sie haben alle orthopädische Haltungsschäden“, sagt sie daher, aber irgendwie sind die Figuren stimmig und dann auch wieder nicht.
Form und Oberfläche interessieren
Und neben der Form interessiert sie auch die Oberfläche: „Das Holz erscheint oft als ein ganz anderes Material, das könnte auch Kunststoff sein oder Wachs.“ Also auch hier eine Irritation, Irritation und Experiment, was sich zum Beispiel an dem Jungen zeigt, der eine Maske über dem Gesicht trägt oder insgesamt daran, dass das Geschlecht der Figuren überwiegend nicht eindeutig feststeht. „Mythologisch, spooky“, beschreibt sie ihre Werke und meint damit auch die Skulptur, die zwar menschlich daherkommt und doch Hufe statt Hände und Füße hat. Oder gleich überwiegend aus Beinen besteht.
Es ist also auch ein Werk zum Verwundern, und diese Verwunderung geht bei den Bildern Natascha Kaßners gleich weiter: Wir sehen etwa eine Frau in einem roten Abendkleid, die dekorativ einen großen Fisch im Arm hält. Eine andere Frau sitzt auf einem Stuhl und möchte „Den Hummer streicheln“. „Verloren in der Serengeti“ sehen wir eine ältere Dame, die im blauen Kleid im Grün steht, mit einer schultergepolsterten Frau und deren prägnanter Frisur erinnern wir uns an die Replikantin „Rachel“ aus dem Film „Blade Runner“. „Im Winter das Taucherbecken reinigen“ heißt ein weiteres Bild, das einen einzelnen Menschen mit Besen im tiefen, leeren Pool zeigt, während oben ein blattloser Baum überwintert. Und es gibt auch etwas Aktuelles: „Es sind Zeichnungen von Corona-Spaziergängen“, erzählt sie – also in diesem Falle keine Personen, sondern Landschaften, die Natascha Kaßner auf ihren Streifzügen erst fotografiert hat, um sie anschließend mit Buntstiften frei zu zeichnen: „In der Umsetzung fällt dann schon mal ein Baum weg“, sagt sie, doch das macht nichts, vielmehr ist es ihr wichtig, lebendig zu bleiben.
Recht lebendig stehen dann auch die beiden „Reichen Schwestern vor ihrer Villa“ da, im Hintergrund steht das namensgebende Gebäude im Stil von David Hockneys „A bigger Splash“, inklusive Palmen. Weitere Frauen sitzen vor einem Springbrunnen, um ihm nachts zu lauschen, stehen in einem Raum mit Kronleuchtern und einer Tafel „ohne Gäste“ oder gehen mit dem Hund nach Hause, während sich die Lichtkegel der Lampen magisch angezogen fühlen. Einige ihrer Bilder haben schon fast etwas Plastisches, meint sie, was dann ja auch wieder zu den Arbeiten Ilka Rautenstrauchs passt – sie legt Farbe auf, dann kratzt sie, dann kommt eine neue Schicht. Pastoses Malen also, und ihre Werke haben dann nicht nur Anteile von David Hockney, sondern auch von Jackson Pollock oder von Catherine Bradford.
Die Figuren selbst entstehen aus dem inneren Gespürten und daraus entwickelt sich dann ein Charakter. „Erspürt“ sind die Figuren in ihren Bildern, meint Natascha Kaßner, „die Figürlichkeit ergibt sich aus dem Erspürten.“
Die Ausstellung „Gemischte Aussichten“ mit Werken von Natascha Kaßner und Ilka Rautenstrauch ist noch bis zum 21. Mai in der Galerie des Westens (Gadewe) an der Reuterstraße 9-17 im Waller Ortsteil Westend , zu sehen. Sie kann nach vorheriger Anmeldung unter Telefon 3 80 79 90 oder info@GaDeWe.de zu den Öffnungszeiten besucht werden: Mittwochs und freitags von 15 bis 19 Uhr sowie donnerstags von 15 bis 21 Uhr. Weitere Informationen sind unter https://www.gadewe.de/ erhältlich.