Eigentlich geht Klaus Koch gern raus und spazieren. Unterwegs sein, frische Luft tanken und auch mal in Geschäften bummeln mag der 68-jährige Bremer, der mit wachen freundlichen Augen sein Gegenüber anschaut und jedem ein strahlendes Lächeln schenkt. Aber nein, obwohl Manfred Müller sich bemüht hatte, kurz fürs Foto vor die Tür der Waller Geschäftsstelle der Lebenshilfe Bremen zu gehen, Klaus Koch mag heute nicht. Beim Ausgang dreht er einfach um.
Das ist völlig okay für Manfred Müller. Zu einem respektvollen Umgang unter Freunden gehört, die Entscheidung des anderen zu akzeptieren. Schon seit 13 Jahren besteht diese "Tandempartnerschaft" unter dem Dach der Lebenshilfe Bremen. So lange unternimmt der Gröpelinger mit dem älteren, geistig gehandicapten Bewohner des Appartementhauses Bunte Berse einmal in der Woche etwas gemeinsam. Die Termine spricht er – so wie sie ihm passen – kurz vorher mit den Betreuern ab, damit sie mit Klaus Kochs Tagesablauf zu vereinbaren sind.
"Wir gehen spazieren, kochen, gehen ins Kino oder machen mal einen kleinen Tagesausflug", zählt Manfred Müller einige Beispiele dafür auf, was beiden Spaß macht. Kurz hält er inne. "Stimmt doch, mein Freund, die Alsterfahrt mit dem Schiff in Hamburg hat dir doch gut gefallen", wendet sich der fürsorgliche Freiwillige Klaus Koch zu. Daraufhin richtet sich der kleine Mann mit Brille auf, nickt mehrfach bekräftigend, berührt kurz als Zeichen der Zuneigung Müllers Arm, sagt mit strahlenden Augen "Schiff" – und klatscht. Dann lachen beide herzlich vergnügt.
Immer wieder gibt es solche Szenen spielerisch-leichten und vertrauten Umgangs zwischen den Tandempartnern. Es sei mitunter nicht einfach, herauszufinden, was Klaus Koch möchte oder ihm gefällt, bekennt Manfred Müller. "Sätze spricht er nicht", sagt er und fügt mit Bedauern hinzu, dass mehr verbale Kommunikation mit dem geistig behinderten Bremer nicht möglich ist.
Offen und ehrlich
Durch Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen und viel Geduld gelingt es dem Ehrenamtlichen, der keine Angst vor Neuem hat, auffallend gut, von Gesten oder Worten abzuleiten, was seinem behinderten Freund gefällt. Aufgrund ihres engen, vertrauensvollen Verhältnisses ist Manfred Müller seit elf Jahren auch der rechtliche Betreuer für Gesundheit und seit 2020 ebenso für die Finanzen von Klaus Koch.
Die gemeinsame Zeit mit ihm und anderen Behinderten empfindet Manfred Müller als persönliche Bereicherung. "Beeinträchtigte Menschen sind sehr ehrlich und direkt, das gefällt mir so gut", sagt er. Außerdem hat Manfred Müller festgestellt, dass sein Ehrenamt für ihn ein "sehr guter Ausgleich zum Beruf ist." Schon als Kind habe er sich für technische Dinge interessiert, dann einen technischen Beruf ergriffen, erzählt der sportlich-schlanke Bremer.
Wohltuende Entschleunigung
"Die Arbeit mit Menschen ist etwas ganz anderes", spricht der Elektromeister von einer erfüllenden Entdeckung für sich. "Ich hätte nie gedacht, dass ich so einen Draht zu Menschen habe", gesteht er. Die wöchentlichen Besuche empfindet er als wohltuenden Kontrast zum Arbeitsalltag und "sehr entspannend".
"Bei unseren Treffen steht Klaus immer im Mittelpunkt, ich verwöhne ihn gern", erzählt der fürsorgliche Freiwillige. "Er ist so ein höflicher Mensch, bietet mir immer zuerst ein Bonbon an, wenn er in mein Handschuhfach im Auto gegriffen hat."
Angesichts der kleinen schönen Momente des Miteinanders und ein Stück Lebensqualität betrachtet Manfred Müller seine Freiwilligenarbeit als Win-Win-Situation. "Das ist für mich nichts Besonderes", sagt er, wenn andere ihn auf seinen Beitrag für mehr Teilhabe ansprechen. "Ich verbringe einen Teil meiner Freizeit mit Klaus, das ist unter Freunden selbstverständlich – gelebte Inklusion."
Dass ein behinderter Mensch zum Freundeskreis der Müllers zählt, ist ihrer sozialen Grundeinstellung geschuldet. Nachdem seine Schwiegermutter gestorben sei, hätte für ihn und seine Frau festgestanden, die Zeit, die sie zuvor mit ihren Eltern verbracht haben, anderen zu schenken, berichtet Manfred Müller. "Wir wollten etwas für die Gemeinschaft tun, andere unterstützen."
Auf der Freiwilligen-Börse "Aktivoli" zog es ihn schnell zum Stand der Lebenshilfe Bremen. Da der 59-jährige Bremer keine Berührungsängste zu körperlich oder geistig Behinderten hat, weil enge Freunde seiner Eltern eine behinderte Tochter hatten, folgte auf dem Fuß ein Termin vor Ort. Auch seine Frau Elke hat einige Jahre für die Lebenshilfe Bremen ehrenamtlich und als Hauswirtschafterin fest angestellt gearbeitet, musste beides gesundheitsbedingt aber 2018 aufgeben.
Manfred Müller engagiert sich gern als Tandempartner und beim monatlichen Stammtisch für Menschen mit und ohne Behinderung. Als die Freiwilligekoordinatorin der Lebenshilfe Bremen ihn das erste Mal in der Wohngruppe vorgestellt hat, war die leichte Unsicherheit sofort weg, erinnert er sich: "Herr Koch und ich waren uns gleich bei der ersten Begegnung sympathisch, Klaus lacht viel, ist ein fröhlicher Menschen, strahlt Freundlichkeit aus."