Eine junge Frau soll von ihrem eigenen Bruder getötet worden sein. Die Tat, die sich vorvergangenes Wochenende in einem Haus an der Waller Heerstraße zutrug, löste stadtweit Entsetzen aus. Von einem „Ehrenmord“ ist die Rede. Die Initiative „Feministischer Streik Bremen“ lud für vergangenen Donnerstagabend zu einer Kundgebung ein, um der jungen Wallerin zu gedenken – und mit ihr mehr als Hundert Frauen in Deutschland, die in diesem Jahr von Partnern, Ex-Partnern, anderen Familienangehörigen oder Personen aus ihrer Nähe umgebracht wurden. Für solche Taten gibt es den Begriff „Femizid“. Die Veranstalterinnen der Kundgebung fordern, dass Politik, Justiz und Gesellschaft die Dinge beim Namen nennen, die Ursachen erkennen und dagegen angehen.
Wie eine symbolische Blutlache hatten die Veranstalterinnen die einzelnen Fälle auf den Pflastersteinen ausgebreitet – 103 rote Blätter, die Geschichten von Frauen im Alter zwischen 14 und 87 Jahren erzählen, die alleine in diesem Jahr in Deutschland gewaltsam ums Leben kamen. Der Fall der jungen Wallerin soll das 104. rote Blatt sein. In den Medien sei die Rede von Familiendramen, Beziehungstaten oder Ehrenmorden. Der Begriff des „Femizids“ – die Tötung von Frauen als extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt – sei keine juristische Kategorie. „Es gibt keine verlässlichen offiziellen Daten“, erklärt Natalie Hoffmann aus der Bremer Ortsgruppe des bundesweiten Streikbündnisses. „Jeder einzelne dieser Fälle wurde aus Meldungen in der Presse gesammelt.“ Sie seien nur die Spitze des Eisbergs an Gewalt, die Menschen erfahren, die sich außerhalb der traditionellen Geschlechterbilder befänden und aus dem kulturell tradierten Rollenverständnis ausbrechen möchten, betont Anna Neumann. „Die Gewalt gegen diese Menschen ist hoch wie nie“, sagt sie.
Initiative rechnete mit 40 Teilnehmern
Mit 40 Teilnehmenden hatte die Initiative gerechnet. Es dürften dann mehr als doppelt so viele gewesen sein, die über die sozialen Netzwerke oder von anderen davon erfahren hatten, sich auf dem Familie-David-Platz zusammenfinden, zuhören und trauern. „Stoppt Femizide!“, „Gegen patriarchale Gewalt überall“ steht auf den Bannern und Transparenten.
Die Rednerinnen fordern, den Begriff des Femizids im Gesetz klar zu definieren, den Tätern keine Strafmilderung zuzugestehen, im Fällen der Selbstverteidigung Straffreiheit zu gewähren, selbst wenn sie mit dem Tod des Angreifers endeten. Direkt an die Bremer Regierung geht die Forderung, das Angebot an Hilfsangeboten und Schutzorten auszubauen und deren Finanzierung nachhaltig zu sichern. „Die Frauenhäuser sind permanent voll belegt“, weiß Sozialarbeiterin Hoffmann. „Und trotzdem sind sie permanent gefährdet.“