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Ehrung jüdischer Kaufleute Walle bekommt Familie-David-Platz

Der Platz vor der Eisdiele soll jetzt offiziell Familie-David-Platz heißen. Mit der Benennung wird an die jüdische Familie erinnert, die in Walle das Kaufhaus des Westens betrieb - bis die Nazis kamen.
05.09.2022, 11:00 Uhr
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Von Anke Velten

Nun ist es amtlich: Walle bekommt seinen Familie-David-Platz. Die städtische Deputation für Mobilität, Bau und Stadtentwicklung hat in ihrer Sitzung vom 1. September beschlossen, dem Wunsch des Beirates Walle zu folgen. Bis es so weit war, gab es ein jahrelanges Hin und Her zwischen Beirat und Behörden. Es benötigte viel Hartnäckigkeit seitens der Ortspolitik, dass der „Platz vor der Eisdiele“ künftig einen offiziellen Namen erhält. Und alles begann, weil eine Waller Bürgerin an einem kalten Winterabend eine Eingebung hatte.

„Dem Vorschlag des Ortsamtes folgen wir gerne“, heißt es dazu in der Mitteilung von Senatorin Maike Schaefer. Denn „zum einen wird der gesamten Familie David gedacht, die dort das Kaufhaus des Westens geführt hat und durch den Nationalsozialismus rassistische Verfolgung erleiden musste. Zum anderen ist mit der Benennung der Stadtteilbezug zu Bremen-Walle deutlich gegeben.“

Attraktion in der Nachbarschaft

Der Name „Kaufhaus des Westens“ erscheint 1920 erstmals in den Bremer Adressbüchern. Inhaber ist Bruno David, Sohn des jüdischen Kaufmanns Julius David. Seine Ehefrau Betty, geborene Meier, war als Tochter eines Kesselschmieds am Gröpelinger Deich auf die Welt gekommen. Die Davids wohnten über ihrem Geschäft. Ihr Kaufhaus war die Attraktion in einer etablierten Nachbarschaft von Detail- und Galanteriewaren, Delikatessengeschäft und Kolonialwaren.

Im Waller KdW gab es auf mehreren Etagen Bekleidung für Herren und Damen, Kurzwaren und eine Bettenabteilung. Die Davids beschäftigen bald zwölf Verkäuferinnen und mehrere Lehrlinge. Weil die Geschäfte so gut liefen, wurde Ende der 1920er-Jahre eine Filiale für Teppiche und Gardinen an der Landwehrstraße eröffnet, die von Brunos jüngerem Bruder Paul geleitet wurde.

Tod im Waller Park

Das einzige Kind der Davids kam im Alter von 19 Jahren ums Leben. Der Handelsgehilfe sei am 26. November 1929 tot im Waller Park aufgefunden worden, heißt es im Sterberegister. Bruno David starb plötzlich im Dezember 1936 im Alter von 50 Jahren und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hastedt neben seinem Sohn begraben. Betty David nahm 1939 wieder ihren Geburtsnamen an. Sie starb im Mai 1946 im Alter von 57 Jahren. Zuletzt hatte sie zur Untermiete in der Wohnung des Postinspektors August Guhl an der Dorumstraße 9 gelebt.

Bruno David hatte noch miterleben müssen, dass die Nationalsozialisten 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen. Auch die Davids mussten in den Schaufenstern das gelbe Schild anbringen, das sie als jüdische Geschäftsleute auswies. Bruno David erlebte nicht mehr, dass sein Geschäft als eines der ersten der Stadt zwangsenteignet wurde. Ehefrau Betty musste 1938 ihre Position für einen „arischen“ Geschäftsführer und Parteifunktionär räumen.

Naher Bezug zum Stadtteil

Der imposante, reich verzierte Originalbau des Waller KdW wurde im Zweiten Weltkrieg dem Erdboden gleichgemacht. An seiner Stelle entstand ein schnörkelloses Nachkriegsgebäude. Der Stadtteilbezug liegt dennoch eindeutig nahe. „Die Idee kam mir in der Badewanne“, erinnert sich Rike Fischer. In der Adventszeit 2017 war der Waller Grafikdesignerin ein Plakat aufgefallen, das für den Waller Nikolausmarkt warb. „Dort stand: Ort ist die Vegesacker Straße Ecke Bremerhavener Straße Höhe Grenzstraße“, erzählt sie. „Ich fand: Das muss doch auch kürzer gehen!“

Ihr Vorschlag, den Platz nach den Davids zu benennen, fand sofort Zustimmung beim damaligen Beiratssprecher Wolfgang Golinski. Bereits im Januar 2017 fasste der Waller Beirat einen entsprechenden Beschluss – der von der Straßenverkehrsbehörde abgeschmettert wurde: Dort berief man sich auf einen mehr als 50 Jahre alten Senatsbeschluss, der Namenszusätze wie „Familie“ wegen der Verwechslungsgefahr untersagt. Die Alternative, den Platz nach Betty David zu benennen, wurde vom Staatsarchiv nicht befürwortet. Bei der Spurensuche waren zu viele Fragen offen geblieben, erklärt Angela Piplak, Ausschussmitglied und Leiterin des Geschichtskontors im Kulturhaus Walle. „Danach hat das Ding geschlafen“, erklärt Karsten Seidel (Grüne), Sprecher des Quartiersausschusses. Weil man sich aber von den Behörden nicht abspeisen lassen wollte, setzte der Waller Kulturausschuss das Thema vor zwei Jahren erneut auf seine Tagesordnung – letztendlich mit Erfolg. „Straßennamen mit dem Zusatz „Familie“ gibt es in vielen Städten“, erklärt Seidel. „Außerdem behält die Häuserreihe am Platzrand ihre Adresse Vegesacker Straße.“

Betreiber des Eiscafés freut sich

Dass der „Platz vor der Eisdiele“, wie er im Waller Volksmund seit jeher genannt wird, nun einen anderen Namen erhält, könnten allenfalls die De Lucas bedauern – tun sie aber keineswegs, betont David De Luca, Chef des Eiscafés, das seine Familie seit fast 50 Jahren betreibt. „Für mich steht der Platz für Integration und ist ein Zeichen gegen Rassismus“, sagt er. „Außerdem ist David ein schöner Name.“

Das dreiecksähnliche Areal, das von Bremerhavener Straße, Vegesacker Straße und Grenzstraße eingerahmt ist, wird ein offizielles Straßenschild erhalten. Der Legendentext wird erklären: „Die jüdische Familie David führte in Bremen Walle das ‚Kaufhaus des Westens‘. In der NS-Zeit wurde die Familie Opfer von rassistischer Verfolgung.“ Der Waller Beirat will zusätzlich eine Stele mit weiterführenden Informationen in Auftrag geben.

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