„Ich glaube an Gott, den Himmel und die Hölle. Aber für mich ist die Erde, auf der wir leben, die Hölle. Deshalb glaube ich, unsere Freunde, die früh sterben, sind diejenigen, die Gott am meisten liebt“: Das hat der wohnungslose Julien vor Kurzem zu Streetworker Pascal Rominger gesagt, als die beiden sich über den Totensonntag unterhalten haben – und über die Toten, die sie vermissen. Für die verstorbenen wohnungslosen Menschen organisieren seit 2012 alljährlich am Ewigkeitssonntag die Mitarbeitenden der Wohnungslosenhilfe des Vereins für Innere Mission in der Kapelle auf dem Waller Friedhof einen Gedenkgottesdienst.
Denn auch wenn sie allein und ohne Angehörige gestorben sind – die Namen dieser Menschen und ihre teils schweren Lebenswege sowie gemeinsame Gespräche und Begegnungen sollen nach ihrem Tod nicht vergessen werden. Pastorin Inga Schönfeld, die den Gottesdienst gemeinsam mit ihrer Kollegin Ute Schneider-Smietana gestaltete, spricht von „Teilhabe über den Tod hinaus“ und unterstreicht: „Jeder Mensch hat ein Recht auf eine würdevolle Bestattung.“
Kerzen für die Verstorbenen
Während des Gottesdienstes mit rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden nun in der bis auf den letzten Platz gefüllten Friedhofskapelle die Namen der in diesem Kirchenjahr verstorbenen 33 Männer und vier Frauen im Alter von 33 bis 78 Jahren vorgelesen und für jeden von ihnen eine Kerze angezündet. Auf einer Leinwand waren Fotos von ihnen zu sehen – in manchen Gesichtern hat das Leben tiefe Spuren hinterlassen, manchen davon konnte man regelmäßig an den Szenetreffs am Gröpelinger Straßenbahndepot, am Aumunder Heerweg in Vegesack und am Hohentorspark in der Neustadt oder auch im Nelson-Mandela-Park oder am Hauptbahnhof begegnen. Zu einigen der Namen gab es kein Bild.
Für alle von ihnen gibt es jedoch einen Ort, an dem nach ihrem Tod nun ihre Namen zu finden sind und an dem die Gottesdienstbesucher kleine Steine als Symbol für die Ewigkeit hinterließen. Denn auf Initiative der Wohnungslosenhilfe ist 2012 auf dem Waller Friedhof eine Grabstelle mit 96 Urnengrabstellen angelegt worden. Sie dient als letzte Ruhestätte für wohnungs- und obdachlose Menschen ohne Angehörige, die in Bremen verstorben sind und vor ihrem Tod von den Streetworkern der Inneren Mission betreut wurden oder in einer der Wohneinrichtungen des diakonischen Trägers gelebt haben. Pro Jahr sind dies laut Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Bereichsleiter Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission, zwischen sieben und 13 Menschen. In diesem Jahr wurde eine zweite Grabstelle mit weiteren 54 Urnengrabstellen angelegt.