Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Straßennamen aus Kolonialzeiten Unrecht durch Menschlichkeit ersetzen

Die Initiative "Walle entkolonialisieren" möchte vier Straßen umbenennen. Denn sie erinnern bis heute an Menschen, die in den Kolonialismus involviert waren.
29.12.2021, 14:43 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Unrecht durch Menschlichkeit ersetzen
Von Anne Gerling

Die Erinnerungskultur in Walle neu gestalten: Das möchte die Stadtteilinitiative „Walle entkolonialisieren“, die sich 2019 gegründet und zum Jahresende mit dem Fachausschuss Kultur, Sport und Migration des Waller Beirats über ihre Aktivitäten ausgetauscht hat. Die Initiative will auch 2022 interessierte Wallerinnen und Waller zur Diskussion, zum Perspektivwechsel und zur gesellschaftlichen Veränderung einladen. Dabei hat sie zunächst vier Straßen im Blick, die bis heute an Menschen erinnern und diese ehren, die in den Kolonialismus involviert waren und nach heutigem Verständnis vielen Menschen als Verbrecher gelten: die Columbusstraße, die Leutweinstraße, die Nachtigalstraße und die Karl-Peters-Straße.

Lesen Sie auch

Als diese Straßen ab 1898 zu ihren Namen kamen, war der Blick auf die Namensgeber und auf Deutschlands Kolonialgeschichte ein anderer als heute. Doch wie umgehen mit diesem Erbe? Grundsätzlich gibt es drei Strategien: so lassen, umwidmen oder umbenennen. Die Karl-Peters-Straße wurde 2010 umgewidmet, nachdem sich von 187 befragten Haushalten in der Straße 18 für eine Umbenennung und 36 dagegen ausgesprochen hatten. Seitdem soll die Straße offiziell – wie sich einer kleinen Legende unterhalb des Straßenschildes entnehmen lässt – nicht mehr an den Gründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika erinnern, sondern an den gleichnamigen Strafrechtsreformer. Nach Ansicht der Initiative „Walle entkolonialisieren“ reicht dies nicht. Sie spricht sich ausdrücklich dafür aus, Straßen umzubenennen. „Unser Anliegen ist ein Perspektivwechsel. Wir möchten aber, dass Geschichte nicht vergessen wird. Umwidmungen von Straßennamen machen Geschichte unsichtbar“, erklärt dazu Fatou Sillah von der Stadtteilinitiative.

Sie ist überzeugt: „Eine Umbenennung ist als symbolischer Akt der Distanzierung wichtig.“ Sillahs Mitstreiterin Lilli Hasche unterstreicht: „Neben physischer Gewalt gehörte auch symbolische Gewalt zum Kolonialismus, und wir sehen die Folgen und Fortwirkungen dieser symbolischen Gewalt durch Entmenschlichung bis heute. Etwa, indem auch heute noch Menschen Alltagsrassismus erfahren, geringere Bildungschancen haben oder häufig von Polizeikontrollen betroffen sind. Indem wir mit der Umbenennung von Straßen den Kolonialismus symbolisch als Unrecht anerkennen, erkennen wir die Menschlichkeit an – und damit demokratische Werte wie Gerechtigkeit, Respekt und Menschenwürde.“

Im Waller Beirat stößt die Initiative mit ihrem Anliegen auf offene Ohren. „Wir müssen die Menschen aufklären – vor allem die, die in diesen Straßen wohnen“, findet etwa die stellvertretende Waller Beiratssprecherin Brunhilde Wilhelm (Grüne), die sagt: „Einerseits ist das Thema Kolonialismus weit weg. Aber es ist immer noch topaktuell. Weil die Nachfahren hier leben, weil hier immer noch Unrecht geschieht und weil der afrikanische Kontinent immer noch ausgebeutet wird. Menschen, die neu hierher kommen, möchte ich gerne Straßen präsentieren, die ehrend sind und nicht diskriminierend.“ Der Fachausschuss sprach sich nun dafür aus, dass der Beirat seinen 2010 zur Karl-Peters-Straße gefassten Beschluss überdenken, Straßen und Orte mit kolonialem Bezug im Stadtteil auflisten und die Stadtteilinitiative sowie zukünftige Initiativen für antikoloniale Erinnerungsorte in Walle unterstützen soll.

Adelarisa Kedenburg (SPD) regte an, schon jetzt parallel zu weiteren Schritten in Richtung Umbenennung einen oder mehrere Orte zu schaffen, an denen an koloniales Unrecht erinnert wird. Möglich wäre dies ihrer Ansicht nach zum Beispiel im Grünzug beim Waller Wasserturm in der Karl-Peter-Straße, etwa in Form von Kunst im öffentlichen Raum. Denkbar wäre aber auch ein anderer Ort, der inmitten der vier betroffenen Straßen liegt.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)