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Koloniale Straßennamen Walle soll entkolonialisiert werden

Noch heute "Kolonialverbrecher" mit Straßennamen zu ehren, hält die Initiative "Walle entkolonialisieren" für untragbar. In der Hafengegend haben die Aktivisten vier Straßennamen im Fokus.
05.07.2021, 17:00 Uhr
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Walle soll entkolonialisiert werden
Von Frank Hethey

Wenn der politische Wille da sei, dann gehe es ganz schnell, sagt Fatouh Sillah von der Stadtteilinitiative "Walle entkolonialisieren". Gemeint sind Straßenumbenennungen, in diesem Fall: die Umbenennung von Straßen in der früheren DDR nach der Wende. Völlig anders verhalte es sich bei Straßen, die nach "Kolonialverbrechern" benannt seien. Diesen Prozess will "Walle entkolonialisieren" beschleunigen. Den Auftakt bildete eine Online-Veranstaltung, bei der mit Modupe Laja aus München und Mnyaka Sururu Mboro aus Berlin zwei langjährige Aktivisten von ihren Erfahrungen berichteten.

Im Visier hat die Stadtteilinitiative vier Straßen in Hafennähe: die Leutwein-, Nachtigal-, Columbus- und Karl-Peters-Straße. Dass Letztere seit ihrer Umwidmung vor elf Jahren nicht mehr an den Gründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika erinnert, sondern an den gleichnamigen Strafrechtsreformer, vermag die Aktivisten nicht zu beeindrucken. "Die Umwidmung reicht uns nicht", sagt Sillah mit Hinweis auf den engen Zusammenhang mit den benachbarten Straßen im Kolonialkontext. Als "nicht redlich" bezeichnet Mboro einen identischen Vorgang in Berlin.   

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Die Kompromisslösung, koloniale Straßennamen mit kritischen Infotafeln zu ergänzen, hält Modupe Laja für nicht ausreichend. "Diese Erläuterungstafeln fassen Geschichte viel zu kurz." In ihren Augen sind koloniale Straßennamen ein wichtiger Bestandteil der kollektiven Erinnerung. "Es geht um Definitionsmacht. Und um fehlende Empathie dafür, dass es Menschen noch immer betrifft." Denn Straßennamen erinnerten nicht nur an Kolonialverbrecher, sie ehrten sie auch. Erklärtes Ziel der Stadtteilinitiative ist darum, einen Perspektivwechsel einzuläuten. "Wir setzen uns dafür ein, dass nicht mehr die Geschichte der Kolonisten erzählt wird, sondern die der Widerständigen", so Sillah.

Konkret bedeutet dies, dass die Straßen künftig afrikanische Namen tragen sollen. Zum Beispiel von Anführern anti-kolonialer Kämpfe. Sillah sieht außer dem bürokratischen Aufwand keine triftigen Argumente, die dagegen sprechen. Den Hinweis auf die schwierige Aussprache hält sie für vorgeschoben, bei Tucholsky oder französischen Straßennamen spiele die Aussprache auch keine Rolle. Die Forderung nach geänderten Straßennamen müsse immer wieder neu verhandelt werden, so Laja. Wenig übrig hat die Münchnerin für die Ansicht, mit geänderten Straßennamen werde Geschichte ausgelöscht. Bei Raubgut wie den Benin-Bronzen habe es solche Bedenken nicht gegeben. 

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Kritisch beurteilt die Stadtteilinitiative aktuelle Namensfindungen in der Überseestadt. Im "Kaffeequartier" versinnbildliche sich eine neue Generation von Straßennamen mit Bezug zum Kolonialismus. Zwar dienten jetzt nicht mehr Kolonialverbrecher als Namensgeber, es bestehe aber immer noch eine mehr oder weniger subtile Verbindung zu kolonialen Zeiten. Kein Verständnis haben die Aktivisten für Provenienzforschung an menschlichen Überresten aus den früheren Kolonien. "Wir warten auf die Schädel, um die Beerdigung endlich zu beenden", sagt Mboro.    

Negatives Feedback hat die Stadtteilinitiative laut Sillah noch nicht bekommen. Unterstützung für das Anliegen gebe es vom Beirat, zusätzlich habe man einzelne Bürgerschaftsabgeordnete angesprochen. Für den Sommer plant die Initiative mindestens einen oder mehrere Stadtrundgänge, um die Bevölkerung zu informieren und zu sensibilisieren. "Schließlich sind alle Menschen betroffen", betont Sillah.       

Zur Sache

Koloniale Straßennamen

In Bremen gibt es etliche Straßen mit Kolonialbezug. In Schwachhausen etwa die Lüderitz-, Vogelsang- und Hedwid-Heyl-Straße. Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz (1834-1886) gilt als Gründer von Deutsch-Südwestafrika, Heinrich Vogelsang (1862-1914) agierte als sein Helfer, Hedwig Heyl (1850-1934) gründete den Deutsch-Kolonialen Frauenbund. Theodor Leutwein (1848-1921) kämpfte gegen die Herero, Gustav Nachtigal (1834-1885) war Reichskommissar für Deutsch-Westafrika, Carl Peters (1856-1918) wütete als Reichskommissar im heutigen Tansania. Andere Straßennamen erinnern an deutsche Kolonien (Togo, Kamerun, Südwest), Orte (Duala, Windhuk) oder Schlachten (Waterberg).  

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