Zuweilen beginnen die ganz großen, professionellen Theaterträume in einem ambitionierten Hobby-Schauspiel-Ensemble. So geschehen im Union Theater, einer der ältesten Bühnen Deutschlands, die in diesem Sommer seit 130 Jahren besteht. Denn dort schickt sich gerade Neuzugang Sabine Friedrich zum Sprung nach New York an. Diesen Sommer soll es soweit sein: Sie wird ein Vierteljahr im Big Apple eine Schauspielschule besuchen. Nächstes Etappen-Ziel: Die Aufnahmeprüfung an einer Hamburger Schauspielschule. "Ich bin schon einmal für ein Jahr in New York gewesen und glaube, dass ich dort viele neue Impulse bekommen werde", sagt die studierte Theaterpädagogin, die in Buchholz lebt und momentan noch in Hamburg als Erzieherin arbeitet. Eines steht aber jetzt schon für sie fest: Ans Union Theater wird sie wieder zurückkommen, zumindest auf Besuch. Wie sehr die junge Aktrice das Theatergen im Blut hat, zeigt, dass sie mindestens zwei Mal pro Woche nach der Arbeit nach Bremen pendelt, um abends mit den Mitgliedern des Union Theaters die neue Boulevard-Komödie "Komplexe Väter" von René Heinersdorff zu proben (Premiere 12. Mai).
Am Rande des Nervenzusammenbruches
In dem Stück muss sie sich als 25-jährige Nadine zunehmend genervt nicht nur gegen gleich zwei Väter behaupten, sondern auch noch gegen ihren Liebhaber, der genauso alt ist wie ihr Väter-Duo, nämlich 50. Die sind darüber einerseits alles andere als amüsiert und haben andererseits sowohl mit ihrer Väter-Identität als auch mit einer beginnenden Midlife-Crisis zu kämpfen.
Die von Nadines Mutter Ute (Anja Gomez) kurzerhand anberaumte Familienaufstellung erweist sich dann auch eher als Zwangsbeglückung denn als harmonisches Patchwork-Familientreffen. Zumal sich Nadines Lover Björn (Stefan Lüers) mit gestelzt-salbungsvollen Worten auch noch als Hobby-Psychoanalytiker zu profilieren versucht und obendrein noch blasiert über die besten Champagnersorten schwafelt. In dieser Konstellation brechen alte Verletzungen wieder auf. Am Ende sind Nadine und ihre Mutter allerdings genauso am Rande eines Nervenzusammenbruches, zumal sie feststellen müssen, dass der gute Björn sowieso längst verheiratet ist. Und zwar zu allem Überfluss mit Utes Frauenärztin, der Nymphomanin Olga, die schon mit allen drei Herren im Bett gewesen ist. Wie das Anton (sehr überzeugend: Ansgar Matuschak), der Nadine aufgezogen hat, und ihren Erzeuger Erik (Nils Roßour) in Verlegenheit und ganz schön ins Schwitzen bringt, das hat Uwe Seidel mit Pfiff inszeniert.
Die Fetzen fliegen
Seit 2015 hat der Regisseur mit dem Union Theater bereits sechs Inszenierungen erarbeitet, zuletzt Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels". Wie man sich generell beim Union Theater an den Kassenknüllern der Profi-Boulevard-Bühnen orientiere, sagt Ansgar Matuschak, der 2023 seit 40 Jahren Mitglied "seines Theaters" sein wird. Fast so lange dabei ist auch Stefan Lüers, nämlich 36 Jahre. Uwe Seidel ist sich sicher: "In einer guten Komödie darf es ruhig mal dramatisch zugehen und sie darf durchaus auch Tiefgang haben". Und so fliegen auch in "Komplexe Väter" ganz schön die Fetzen.