„Warum wir da rausgerutscht sind, wissen wir nicht“, sagt Hilke Heller, pädagogische Fachkraft in der Kindertagesstätte der Evangelischen Christuskirche in Woltmershausen. „Rausgerutscht“ ist die Kita aus dem sogenannten „Kita-Index“ und das bedeutet für die Kita: weniger Förderung.
Unter anderem bildet der Kita-Index „die Grundlage für die Förderung von Kindertageseinrichtungen im Rahmen der Maßnahme Verstärkungsmittel für Einrichtungen mit besonderen Herausforderungen“, ist es einer Vorlage der Senatorin für Kinder und Bildung aus dem Jahr 2019 zu entnehmen. Für die Kita bedeutet das, mehr Personal einsetzen zu können – theoretisch, denn seit August 2020 ist die Kindertagesstätte der Christuskirche keine Index-Kita mehr.
Der Kita-Index setzt sich aus den Kriterien Sprachförderung, Sicherheit, SGB II-Bezug, Arbeitslosenziffer und Wahlbeteiligung zusammen – es sind gewissermaßen Sozialindikatoren für die Stadtteile. Dieser Index reicht vom Wert Null bis zum Wert 100, dabei steht die 100 für eine sehr hohe Belastung. „Ab Werten von 50 wird von einer Klientel aus sozio-ökonomisch benachteiligten Wohnquartieren ausgegangen“, sagt dazu Maike Wiedwald von der Senatorin für Kinder Bildung. „Aufgrund der Systematik können keine Rückschlüsse auf einzelne Indikatorausprägungen von einzelnen Familien oder der Gesamtheit der Familien erfolgen.“ Zwar weise die Kita der Christuskirche aktuell einen relativ hohen Indexwert auf, „liegt aber deutlich unter 50“.
Eine Erzieherin für 20 Kinder
„Da waren wir alle erschrocken“, sagt dazu Gruppenleiterin Karina Rutenberg, denn bis 2019 war die Kita sehr wohl eine Indexeinrichtung. „Pro Gruppe bedeutete das zwei pädagogische Fachkräfte zwischen 8 bis 14 Uhr“, sagt Hilke Heller. Nun aber sei eine Erzieherin für 20 Kinder zuständig, hinzu komme noch eine Drittelstelle. „Das bedeutet, dass eine Fachkraft für drei Gruppen zuständig ist.“ Aufgrund des Umstands, dass die Kita nicht mehr als Indexeinrichtung gilt, sondern als Regeleinrichtung, hätten sich bereits zwei Mitarbeitende wegbeworben, zudem bekäme die Kita keine Vertretung für zwei schwangere Kolleginnen: „Da fehlten auf dem Schlag vier Personen.“
Derzeit sind 140 Kinder in der Kita Christuskirche und Einrichtungsleiterin Annette Weber meint: „Hätten die Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit zur Verfügung, könnten sie sich mehr um die Kinder kümmern.“ Therapeuten wie der Logopädie, der Krankengymnastik, der Ergotherapie oder der Heilpädagoge besuchen eigens die Kinder mit Förderbedarf, bei denen dieser Bedarf bewilligt wurde. „Wir sind ein Schwerpunkthaus und in der Schwerpunktgruppe gibt es fünf Kinder mit Förderbedarf. Doch verteilt auf das Haus sind es insgesamt 13 dieser Kinder.“ Der Prozess der Bewilligung dauere laut Annette Weber allerdings sehr lange, sodass die Fachkräfte der Kita zunächst mit den Kindern mit Förderbedarf alleine dastehen würden.
Und auch Kinder im Alter zwischen fünf und sechs Jahren mit einem erhöhten Sprachförderbedarf gebe es, außerdem Schulkinder, denen ebenfalls sprachliche Förderung zusteht: „Dem gerecht zu werden, ist aber schwierig“, sagt Hilke Heller. Denn mit 20 Kindern sei die Gruppenstärke viel zu hoch, wenn sie von nur einer pädagogischen Kraft betreut werde: „Wie sollen Elterngespräche geführt werden, Entwicklungsgespräche, wie sollen die Fachkräfte an Fortbildungen teilnehmen?“, fragt sie und meint: „Es wird viel erwartet, aber wenig für Kindergärten getan.“
Auch viele Aktivitäten wie Ausflüge oder Spaziergänge seien in der Gruppe mit lediglich einer pädagogischen Fachkraft nicht machbar, meint Annette Weber: „Wenn wir nur ein Kind mit Förderbedarf haben, das sich unkontrolliert bewegt, wie kann man dann einen Ausflug machen?“ Maike Wiedwald sieht das anders: „Der Fachkraft-Kind-Schlüssel beträgt für eine Ganztagsgruppe 1,92 Fachkräfte in der Regelausstattung und 2,27 Fachkräfte in der Indexausstattung.“
Warum die Kita nun keine Indexeinrichtung mehr sei, wisse man nicht, sagt Hilke Heller: „Dabei steigt doch die Zahl der Kinder mit Förderbedarf stetig. Das Thema Sprache ist ein großes Thema.“ Maike Wiedwald von der Bildungsbehörde sagt jedoch: „Die Träger der Einrichtungen werden zeitnah über eine Veränderung des Sozialindex informiert. Die Träger informieren dann ihre einzelnen Einrichtungen.“ Allgemein sei aber keine Aussage möglich, wie sich eine Kita im Hinblick auf einen Indexwert „verbessern“ könne. „Generell bedeutet eine Verbesserung des Indexwertes, dass entweder weniger Kinder aus sozio-ökonomisch benachteiligten Wohnquartieren aufgenommen wurden, oder dass sich die Indizes in einzelnen Bereichen einzelner Wohnquartiere verbessert haben.“
2024 werde der Kita-Index neu bewertet – „das müssen wir noch überbrücken“, sagt Hilke Heller, die sich für die Zukunft wünscht, mindestens mit zwei Fachkräften pro Gruppe arbeiten zu können. Annette Weber wünscht sich mehr Anerkennung für den Beruf: „Auch im Hinblick auf die Fachkräfte, die fehlen.“ Und Hilke Heller fügt hinzu: „Und ich wünsche mir kleinere Gruppen – träumen darf man ja.“