Ausschließlich Frauen hat der Neustädter Beirat ausgesucht, die er für die Benennung der künftigen Straßen im Neubaugebiet Gartenstadt Werdersee vorschlägt. „Wir haben uns zu Herzen genommen, dass in Bremen bislang zu wenig Frauen in Straßennamen auftauchen“, erklärte Beiratssprecher Ingo Mose (Grüne). Eine weitere Gemeinsamkeit der Namensvorschläge ist, dass alle genannten Persönlichkeiten den gesellschaftlichen Aufbruch in der jungen Demokratie der Weimarer Republik gefördert haben. „Das Jahr 1919 als Markstein der deutschen Geschichte“ nennen es Grüne und SPD in ihrem gemeinsamen Vorschlag, dem der Beirat während seiner jüngsten Beiratssitzung nun einstimmig zugestimmt hat.
Es sind politische Aktivistinnen der Frauenbewegung, Pazifistinnen, Reformpädagoginnen, Schauspielerinnen sowie Künstlerinnen aus dem Umfeld des Bauhauses, die sich um die Entstehung der Weimarer Republik einen Namen gemacht haben. Und auch, wenn das kein vorrangiges Auswahlkriterium war, so finden sich auch ein paar Frauen in der Liste wieder, die einen regionalen Bezug zu Bremen und der Region hatten.
Für die acht Wohnstraßen des Neubaugebietes wünschen sich die Beiratsmitglieder demnach unter anderem die gebürtige Verdenerin Anita Augspurg (1857-1943). Die Juristin setzte sich für den Pazifismus und als Aktivistin für die Frauenbewegung ein. Mit dabei ist auch die Pädagogin Minna Cauer (1841-1922), die ebenfalls in der Frauenbewegung aktiv war. Mit der Benennung einer Straße nach der österreichisch-jüdischen Malerin, Innenarchitektin und bekannten Bauhauskünstlerin Friedl Dicker (1898-1944) soll das Schicksal der politischen Künstlerin in Erinnerung bleiben. Sie konnte 1936 zunächst nach Prag emigrieren, wurde schließlich aber im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
Es folgen drei weitere Aktivistinnen der Frauenbewegung auf der Liste des Beirats: die Pazifistin und Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919), die in die Schweiz emigrierten Lida Gustava Heymann (1868-1943) und die gebürtige Oldenburgerin Helene Lange (1848- 1930). Lange war als reformpädagogische Lehrerin in Berlin tätig und für die linksliberale Deutsche Demokratische Partei Mitglied in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Auf der Liste der Vorschläge befindet sich auch die Weberin und Textildesignerin Gunta Stölzl (1897-1983). Sie war die erste Meisterin unter den Bauhauskünstlerinnen und emigrierte 1933 in die Schweiz. Außerdem hat der Beirat die Theaterschauspielerin und Aktivistin der Frauenbewegung Marie Stritt (1855-1928) ausgewählt, die von 1919 bis 1922 Stadträtin in Dresden war.
Neben den acht Straßen gibt es auch zwei Wege und zwei Parks, die der Beirat in der Gartenstadt Werdersee benennen darf. Für die Wege ist die Wahl der grün-roten Arbeitsgruppe auf Louise Ebert (1873-1955) gefallen, die nicht nur die Ehefrau von Reichspräsident Friedrich Ebert war, sondern auch Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Auch die Kindergärtnerin Ella Ehlers (1904-1985) hat sich aus Sicht des Beirates wegen ihrer Tätigkeit als Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt in Bremen hervorgetan. Sie war zunächst Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, später der SPD.
Für die Benennung der beiden Parks des Neubaugebietes schlägt das Stadtteilparlament zwei weitere bekannte Bauhauskünstlerinnen vor: Die Weberin, Grafikerin Anni Albers (1899-1994), die 1933 in die USA emigrierte und in New York das bekannte Holocaust-Denkmal „Six Prayers“ erschuf. Der zweite Park könnte den Namen von Otti Berger (1898-1944) tragen. Die Textilkünstlerin und Weberin scheiterte mit ihrem Versuch, in die USA zu emigrieren und wurde schließlich im KZ Auschwitz ermordet.
„Wir wollen die Straßen der Gartenstadt Werdersee nach diesen starke Frauen benennen, die sich für das Frauenwahlrecht und die Gleichberechtigung engagiert haben“, begründete Irmtraud Konrad die Auswahl der insgesamt zwölf Namen. Die Feierlichkeiten im Jahr 2018 anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht hätten zu der Idee beigetragen, den Personenkreis auf dieses Thema zu fokussieren.
Die Anregung von anwesenden Bürgern, auf den Straßenschildern auch an Platz für einen Kurzabriss des Lebenslaufs zu denken, nahmen die Beiratsmitglieder als Anregung auf. Ebenso positiv nahmen die Stadtteilpolitiker den Wunsch auf, in einem der Parks in Form von Stelen ausführlicher an die genannten Frauen zu erinnern.
ASV und Staatsarchiv prüfen
Der einstimmige Vorschlag des Beirates wird nun zunächst vom Staatsarchiv daraufhin überprüft, ob die Persönlichkeiten möglicherweise neben ihrem anerkannten Engagement auch Spuren in geschichtlichen Dokumenten hinterlassen haben, die einer Würdigung in Form einer Straßenbenennung entgegenstehen. Außerdem wird das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) noch einen Abgleich mit den bestehenden oder bereits an anderer Stelle beschlossenen Straßennamen vornehmen. Es gilt sicher zu stellen, dass zwei Straßen in Bremen nicht den gleichen Namen bekommen.
Knapp 1000 Meter Luftlinie hinter der Bremer Landesgrenze gibt es beispielsweise in Achim bereits eine Helene-Lange-Straße, und die Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bremen hat das Sozialzentrum im Bremer Westen in der Dockstraße im Jahr 1991 zum Ella-Ehlers-Haus ernannt. Sie wäre als Namensgeberin einer Straße neben Otti Berger im Übrigen auch der einzige Fall, mit dem der Beirat Neuland betritt. Alle anderen Frauen sind bereits in anderen Orten in Deutschland wenigstens einmal durch die Benennung einer Straße oder eines Platzes gewürdigt.
Allerdings gab es bereits Planungen für einen Ella-Ehlers-Weg in Oslebshausen, die zumindest soweit gediehen waren, dass die Bezeichnung auch jetzt noch in einigen Straßenverzeichnissen auftaucht. Zu finden ist ein Ella-Ehlers-Weg etwa bei der Zuordnung der Kehrbezirke der Bremer Schornsteinfegerinnung, und auch das Bremer Frauenmuseum nennt den Weg in ihrer Liste von Bremer Straßen, die nach Frauen benannt sind. Tatsächlich wurde er jedoch nie realisiert.