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Steigende Flüchtlingszahlen "An der Grenze des Machbaren"

Die Zahl der Flüchtlinge hat erneut das Niveau von 2015 erreicht. Die Rahmenbedingungen für die Unterbringung sind nach zwei Jahren Corona und mit der aktuellen Energiekrise noch schwieriger geworden.
29.09.2022, 19:55 Uhr
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Von Timo Thalmann

Die Sozialsenatorin wurde deutlich: "Wir sind wieder an der Grenze des Machbaren",  kommentierte Anja Stahmann (Grüne) die aktuellen Flüchtlingszahlen in der jüngsten Sitzung der Sozialdeputation. Das vorhandene, gut eingespielte Bremer Aufnahmesystem komme angesichts der hohen Zahlen ins Rutschen. Die Möglichkeiten, die Neuankömmlinge angemessen unterzubringen, seien nahezu ausgeschöpft. "Ich bin mir sicher, wir werden auch wieder Turnhallen belegen müssen, wenn sich die Entwicklung fortsetzt", prognostizierte Stahmann vor den Abgeordneten.

Seit der großen Welle von Flüchtlingen aus der Ukraine im März dieses Jahres kamen ab April im Schnitt monatlich rund 1000 Schutzsuchende in die Hansestadt – Tendenz steigend. Im August war ein vorläufiger Höchstwert von 1445 Personen erreicht, die von der Sozialbehörde untergebracht werden mussten. Ukrainische Flüchtlinge sind dabei inzwischen in der Minderheit. Von den 5255 Neuankömmlingen, die von April bis August Bremen erreichten, kamen 1938 aus dem von Russland angegriffenen Land. Flüchtlinge vom Westbalkan sowie aus Syrien und Afghanistan bilden zusammen inzwischen die größere Gruppe.

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Die von Stahmann festgestellte Grenze des Systems macht sich beispielhaft an einem Indikator fest: Die monatliche Auswertung des Sozialressorts zeigt, dass eine immer größere Zahl der Flüchtlinge noch keinem Aufnahme-Verfahren zugeteilt wurden. Galt das erstmals im Juni für 51 Personen, waren es Mitte September bereits 605 Menschen. Bei dieser Gruppe ist noch ungeklärt, ob sie ein Asylverfahren durchlaufen werden, ob sie als Familiennachzug ins Land kommen oder ob sie einen anderen möglichen Weg zu einem Aufenthaltsstatus nehmen können.

"Das ist im Grunde unsere Warteschlange vor der Registrierung. Wir kommen da im Moment nicht mehr hinterher", erklärte Sozialstaatsrat Jan Fries diese wachsende Zahl in der Flüchtlingsstatistik. Das Problem: Solange die Menschen nicht registriert und der Verfahrenstatus geklärt sind, können sie auch nicht auf andere Bundesländer umverteilt werden. Das heißt, für sie muss die vorläufige Unterbringung in Bremen sichergestellt werden. Das verschärft zusätzlich die Lage in einem Unterbringungssystem, das sich laut Sozialressort bereits nahe an der Kapazitätsgrenze befindet.

Man sei in Gesprächen mit dem Innen- und dem Finanzressort, um Abhilfe zu schaffen und mehr Personal für die Registrierung zu finden, versicherte Fries in der Deputation. Aber gerade bei den Mitarbeitern gebe es Engpässe aller Orten. "Wir haben wieder Flüchtlingszahlen wie 2015, aber weitaus schwierigere Rahmenbedingungen", beschrieb es Stahmann. Nach zwei Jahren Corona sei viel begleitendes ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe weggebrochen, die Mitarbeiter in den Behörden bewegten sich inzwischen ebenfalls an der absoluten Belastungsgrenze und den professionellen Helfern und Trägern aus der Wohlfahrtspflege, die wie schon 2015  wieder rund 30 Übergangswohnheime betreuen, mangelt es an Fachkräften. "Das ist auch ein Grund, warum eigentlich wünschenswerte kleinere Unterkünfte kaum noch eine Option sind."

Die vom Sozialressort vorgelegten Planungen für den kommenden Winter offenbaren den Druck auf das System der Unterbringung. Ging man im vergangenen Jahr davon aus, 2022 pro Monat mit etwa 200 Schutzsuchenden rechnen zu müssen, kalkuliert das Sozialressort jetzt bis Juli mit 1500 Neuankömmlingen pro Monat. Davon sollen zwar rund 80 Prozent Bremen durch Umverteilung auf andere Bundesländer wieder verlassen können, aber zumindest zeitweise müssen diese Menschen ein Dach über dem Kopf erhalten. Entsprechend händeringend sucht das Ressort nach passenden Immobilien, obwohl bereits viel in die Wege geleitet wurde.

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Allein im September und Oktober kommen Flüchtlinge an sechs neuen Standorten mit insgesamt 670 neuen Plätzen unter, unter anderem in den ehemaligen Hotels Horner Eiche und Deutsche Eiche. Am Breitenweg sollen in einem eigens angemieteten und dafür eingerichteten, ursprünglich als Hotel geplanten Neubau-Objekt ab Mitte Oktober Platz für rund 230 Personen bereitstehen. Ab Dezember sollen 150 Flüchtlinge an der Holsteiner Straße unterkommen. Derzeit werden jene Container dafür errichtet, die zuvor in gleicher Funktion an der Neuwieder Straße standen und dort dem Neubau eines Supermarktes weichen mussten.

Auf der anderen Seite stehen ab November zahlreiche andere zeitlich befristete Quartiere nicht mehr zur Verfügung, darunter die noch verbliebene Messehalle 7. Und auch die Jugendherberge unweit der Schlachte wird dann keine Flüchtlingsunterkunft mehr sein. Fast 1900 Unterbringungsplätze entfallen so unterm Strich. Der deshalb vom Senat auf den Weg gebrachte Beschluss, ab Oktober in der Überseestadt Leichtbauhallen mit einer Kapazität von 1200 Plätzen auf dem Grundstück in der Birkenfelsstraße zu errichten, wurde angesichts der Notlage ohne Gegenstimmen von der Sozialdeputation befürwortet.

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