Die Täter kommen nachts und sie legen große Steinbrocken, Nagelbretter und andere gefährliche Gegenstände auf viel befahrene Straßen in Bremen, Stuhr und Weyhe. 40 Fälle registriert die Polizei von Juni bis Ende November vergangenen Jahres, 24 in Bremen und 16 im Umland.
Angesichts der großen Gefahr, die von dieser Anschlagsserie ausgeht, bildet die Polizei eine Sondereinheit, angesiedelt bei der Mordkommission. Doch trotz einer Vielzahl von Maßnahmen und großem Personaleinsatz wird es Monate dauern, bis man den Tätern auf die Spur kommt und sie schließlich festnehmen kann. Die Chronologie der Ermittlungsarbeit:
Als im Juni 2016 auf den Autobahnzubringern Arsten und Hemelingen die ersten Steine auftauchen, landen die Fälle zunächst im Verkehrskommissariat. Doch dann häufen sich die Taten in rascher Abfolge. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchter Tötungsdelikte. Die Sondereinheit "Steine" wird ins Leben gerufen, angedockt an die Mordkommission.
DNA-Treffer an Zigarettenkippe
Die Ermittlungsansätze sind dünn. Es gibt kein zeitliches Tatmuster, kein Muster bei der Tatbegehung und auch keine Zeugen. Dann der erste Hinweis: Am 7. August verwenden die Täter keine Steine, sondern ein mit Nägeln gespicktes Brett – anders als Steine ein spurenträchtiges Material. An dem Brett werden DNA-Spuren gefunden. Die DNA-Analysedatei meldet keine Person dazu. Aber einen Spur-Spur-Treffer. Dieselbe DNA wurde 2014 nach einem Einbruch auf dem Campingplatz Steller See an einer Zigarettenkippe gefunden.
Die Polizei sucht nach einer Verbindung zwischen Campingplatz und Bremen. Alle 388 Stellplatzinhaber sollen überprüft werden. In Bremen selbst tut sich fünf Wochen lang nichts. Keine neue Taten. Am 12. September dann zwei neue Fälle im Umland. Und am 29. Oktober ein besonders gravierender, wieder auf dem Autobahnzubringer Arsten.
Diesmal legen die Täter eine 28 Kilo schwere Beschwerungsplatte für Baustellenschilder mitten auf der Fahrbahn. Ein Kleinlaster fährt in die Platte, wird erheblich beschädigt, aber der Fahrer bleibt unverletzt. Der Druck auf die Polizei wächst, doch anschließend legen die Täter wieder fast 14 Tage Pause ein. Die letzte Tat in Bremen sind am 17. November zwei Ziegelsteine auf der Habenhauser Landstraße.
Die Polizei rückt mit einem kompletten Spurensicherungsteam an. Und wird dabei von den Tätern beobachtet, wie sie nach ihrer Festnahme erzählen. Deshalb wechseln sie nach Niedersachsen, wo sie innerhalb von zwei Tagen mehrere Taten rund um Weyhe begehen. In Bremen wird seit Wochen verstärkt kontrolliert, sogenannte Raumschutzkräfte der Polizei sind im Einsatz.
Ein Glückstreffer
Einer Streife fallen zwei Männer in einem Wagen auf, die sich wegducken, als der Polizeiwagen vorbeifährt. Die Polizisten schöpfen Verdacht, überprüfen die beiden. Es sind die Täter, ein 24-Jähriger aus Arsten und ein 25-Jähriger aus Kattenesch. Die beiden landen im Computersystem der Polizei, doch es gibt noch keinen Ansatz für eine Täterschaft.
Seit Ende November gibt es keine neuen Taten, doch Anfang Dezember hilft der Polizei der Zufall. Weiterhin wird verstärkt kontrolliert. Bei einer dieser Kontrollen stößt eine Streifenwagenbesatzung erneut auf die beiden Männer. Doch in ihrer Begleitung ist ein dritter Mann. Ein Freund der beiden. Und außerdem der Sohn eines Ehepaares, die einen Stellplatz am Steller See haben.
Ein Glückstreffer, wie sich später herausstellt. Der Freund hat nichts mit den Straftaten zu tun. Doch die Polizei hat eine Verbindung zwischen Campingplatz und den beiden Bremern und konzentriert sich nun auf die beiden Männer. Die Ermittlungen fördern zutage, dass beide schon 2014 und 2015 bei Unfällen mit Steinen auf der Fahrbahn in den Akten auftauchen. Einmal als Zeugen, einmal sogar als Ersthelfer.
Aus den Verdächtigen werden Beschuldigte, am 15. März 2018 schlägt die Polizei zu und durchsucht die Wohnorte der beiden. Im Garten des 24-Jährigen werden sogenannte Mondsteine gefunden, die als Begrenzungen für Beete verwendet werden. Die Vergleichsstücke passen zu einem der Steine, der an einem Tatort gefunden wurde.
Im Garage und Keller des Hauses finden sich Bretter, die so aussehen wie die sichergestellten Nagelbretter. Dann im Arbeitszimmer ein Volltreffer: Das kurze Nagelbrett passt exakt zu einem Regalbrett, es wurde davon abgesägt. Auf dem Nagelbrett findet sich die DNA des 24-Jährigen. Und auf einem der Steine die seines 25-jährigen Komplizen.
Bei der Vernehmung gestehen die beiden Männer die Hälfte der ihnen zur Last gelegten 40 Taten. Es ergehen Haftbefehle, am 16. März landen beide in Untersuchungshaft. Die Polizei ermittelt, ob sie für weitere Taten verantwortlich sind, eventuell auch für eine Serie ähnlicher Taten aus dem Jahr 2015. Die Staatsanwaltschaft wird Anklage wegen versuchten Mordes erheben.