Der Gong zur großen Pause hallt über den leer gefegten Hof der Alfred-Faust-Grundschule, doch nichts rührt sich, die Spielgeräte bleiben verwaist. Als gleich neben der Tür ein Fenster geöffnet wird, schallen treibende Rhythmen lateinamerikanischer Musik aus der Eingangshalle über den weitläufigen Platz. Drinnen hüpfen etwa 80 Kinder auf und ab, aufgereiht in Klassen. Anlass ist die Initiative „Die bewegte Schulpause“, ein Wettbewerb, der mehr Bewegung in den Schulalltag bringen soll.
Sonderpädagogin Ulrike Werner, die vor der Bühne in der Eingangshalle begeistert die Bewegungen von Zumba-Trainer Pablo Cuesta nachahmt, tanzt für einen Moment aus der Reihe und erklärt, was hier eigentlich los ist: „Die Kinder sollen motiviert werden, sich mehr zu bewegen“, sagt die 58-Jährige, die sonst die Förderkinder im Unterricht betreut. Dieses Ziel möchte sie mit einem Wettbewerb erreichen, für den sie die Schule angemeldet hat. Die Tanzsport-Einheit sei nur der Auftakt, zukünftig mehr Bewegung in den Schulalltag zu integrieren. Ein mehrwöchiges Programm hat sie sich überlegt und hofft, dass die Alfred-Faust-Grundschule damit gewinnen wird: „Tägliche Bewegungseinheiten und Darbietungen sportlicher Kunststücke zum Beispiel.“ Ihr ginge es darum, „die Begeisterung für Sport von Kindesbeinen an zu fördern“ und vor allem, „dass die Kinder etwas gemeinsam mit ihren Lehrern machen.“
Der Plan scheint aufzugehen, Zumba-Trainer Pablo Cuesta reißt die Grundschullehrerinnen mit, die Lebensfreude beim brasilianischen Karneval könnte kaum greifbarer sein. Auf Socken, in Hausschuhen – egal, alle tanzen. Auch Johannes Becker, der einzige Mann in der großen Runde und Klassenlehrer der 3c, schwingt begeistert die Hüften. „Meine Frau und ich haben schon einen Salsa-Kursus bei Pablo gemacht“, erzählt er, als die Musik zu Ende ist. Er ist noch etwas außer Atem. Auf dem Weg zum Klassenraum verteilt er Schulterklopfer und lobende Worte an seine Schützlinge: „Du hast gepowert, Melek, das finde ich toll!“ Dem siebenjährigen Gabriel hat die Sporteinheit noch nicht gereicht, er würde gerne mit einer Runde Fußball in die Verlängerung gehen und fragt, wann denn nun Pause sei. „Die hatten wir doch jetzt“, antwortet Becker, aber Gabriel meint: „Nein, die richtige Pause!“ Er sei doch mit den anderen auf dem Hof verabredet gewesen. Das muss warten, denn als sie die vielen Stufen zum Klassenraum geschafft haben, wo die achtjährige Sevin allen freundlich die Tür aufhält, ist erst einmal Zeit für das zweite Frühstück.
Alle packen ihre Brotdosen aus. „Knäckebrot mit viel Käse“, sagt die neunjährige Chiara und erzählt, wie viel Spaß ihr Zumba macht. „Wir hatten das schon im Kindergarten“, erinnert sie sich, und die anderen am Tisch nicken.
Unten in der Eingangshalle bringt Trainer Cuesta, den hier alle nur „Pablo“ nennen, längst den nächsten Schwung Grundschüler und Pädagogen auf Trab. Bis zum Mittag wird er sein Programm vier Mal durchgezogen haben. Nacheinander treffen sich dazu bis zu fünf Klassen in der Eingangshalle und legen gemeinsam für 20 Minuten los.
Das Projekt, das Ulrike Werner in Eigenregie an die Schule geholt hat, hat sie im Internet ausfindig gemacht, sagt sie. Initiator ist die „Dietrich Grönemeyer-Stiftung“. Um die Eltern und das Kollegium zu informieren, hat sie Materialien, die auf der Webseite des Projekts angeboten werden, heruntergeladen und drucken lassen. Zu lesen ist da, dass „Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer Grundschulen dabei unterstützen möchte, pro Tag 20 Minuten mehr an Bewegung in ihren Schulalltag zu integrieren.“ Dass der Bruder des Sängers Herbert Grönemeyer Schirmherr des Projekts ist, habe sie überzeugt: „Das ist doch dieser Sänger“, sagt sie, der hat doch dieses bekannte Lied gesungen.“
„Bewegung ist eine gute Sache“
Den Flyer ziert das Logo eines großen Schuhhändlers, und die Materialien, mit denen die Lehrer arbeiten sollen, werden untermauert mit Ergebnissen der sogenannten „Elefanten-Kindergesundheitsstudie“, die der Schuhhändler bei einem Forschungsinstitut in Auftrag gegeben hat. Auch das Logo der Kinderschuhmarke ist prominent platziert, und von der ersten Seite lacht das lustige Rüsseltier. Werbung in der Schule? Ulrike Werner sieht darin kein Problem, sie meint: „So lange hier keine Süßigkeiten verteilt werden“, sei das in Ordnung und findet, „Bewegung ist doch eine gute Sache.“
Ein Ansatz, den Johannes Becker mit seiner 3c bereits in die Tat umsetzt: „Wir machen das immer zwischendurch“, sagt der Klassenlehrer, der auch Sport unterrichtet. „Nach einer gewissen Zeit brauchen die Kinder einfach eine Pause, das merkt man dann.“ Während er spricht, werden hinter ihm aber erst einmal die Brotdosen ausgepackt. Chiara erzählt begeistert, dass sie Zumba schon im Kindergarten gemacht hat. Leonie, neun Jahre alt, genauso, aber sie findet, „die frische Luft“ auf dem Schulhof wäre auch toll gewesen. Bis es zur nächsten Pause klingelt, dauert es nun ein wenig. So lange geht es erst einmal weiter mit Sachkunde.