Bahnhofsvorstadt. „I am what I am“, der Pop-Hit von Gloria Gaynor, ist seit den 1980er-Jahren die Hymne der Homosexuellen. Mehr und mehr Schwule und Lesben begannen nach Übergriffen der New Yorker Polizei, offen zu leben, wer und was sie sind: „Ich bin, was ich bin!“ Bremens einziger schwul-lesbischer Chor „Da Capo al dente“ (auf Deutsch in etwa: „noch einmal von Anfang an, mit Biss“) wird das Lied am Sonnabend, 18. November, um 20 Uhr in der Schaulust am Güterbahnhof singen, wenn er seinen 20. Geburtstag mit einem Konzert und einer Party feiert.
Für das Konzert gibt es nur noch wenige Restkarten an der Abendkasse. „Aber selbstverständlich freuen wir uns über alle, die Lust haben, im Anschluss ab 22.30 Uhr mit uns zu feiern“, sagt Chorleiter Washington de Oliveira aus dem Peterswerder. Der sympathische Brasilianer leitet fünf Chöre in Bremen: den deutsch-brasilianischen Chor „Cor em Canto“, den Chor „Singsation“, den Barbershop-Chor „Sugar ‚n Spice“, den Volkshochschul-Chor und seit 2013 eben „Da Capo al dente“.
Der Liebe wegen nach Bremen
„I am what I am“ erklang auch beim Christopher Street Day vor wenigen Wochen. „Das hat mich total berührt, dass so viele Menschen mitgefeiert und ihre Solidarität bekundet haben“, betont Washington de Oliveira. Vor sieben Jahren ist er der Liebe wegen nach Bremen gekommen. „Eigentlich ist Brasilien ja das Land der Freiheit, aber ich spüre zunehmend einen Rechtsruck. Unter den brasilianischen Politikern gibt es viele evangelikal geprägte Homophobe“, sagt er. „Das ist schon ein Problem für das Leben der Homosexuellen. Ich habe mit meinem Beruf als Chorleiter Glück, dass ich nicht in diesem Maße diskriminiert werde“, sagt Washington de Oliveira.
„Das ist in der Männlichkeits-Domäne des Fußballs schon ganz anders“, sagt seine Chorkollegin Silke Düker aus der Neustadt. Sie und Washington de Oliveira nehmen wie Jürgen Schulenberg, der vor 20 Jahren „Da Capo al dente“ gegründet hat und auch im „Rat und Tat“-Zentrum tätig ist, eine zwiespältige gesellschaftliche Entwicklung wahr: „Einerseits gibt es ein Klima der Liberalisierung, das unter anderem die Ehe für alle ermöglicht hat, andererseits nimmt die Ablehnung in konservativ geprägten Kreisen zu. Wir haben immer noch mit Ressentiments zu kämpfen.“ Und deshalb ist der Titel des Konzert-Abends politisch gemeint: „Die Liebe ist frei!“
Bei der Ehe für alle sind sie sich einig, dass sie ein wichtiges gesellschaftliches Signal ist, auch wenn der Trauschein nicht für alle eine solche Bedeutung habe. Der Chor hat schon einige Ehen, aber auch Freundschaften gestiftet. Die abfällige Äußerung der grünen Europaparlamentarierin Helga Trüpel über den homosexuellen Konservativen Jens Spahn offenbare jedoch ein immer noch weit verbreitetes Schubladendenken. Washington de Oliveira und Silke Düker finden es fatal, dass automatisch angenommen werde, wenn jemand einer Minderheit angehöre, müsse er automatisch links sein.
Gesungen wird am Sonnabend auch eine speziell umgedichtete Version von Udo Jürgens‘ „Ein ehrenwertes Haus“. Washington de Oliveira hat ganz viele Arrangements geschrieben, die speziell auf „Da Capo al dente“ zugeschnitten sind. „Wir wollen unserem Stammpublikum mit vielen Premieren etwas Neues bieten“, sagen Düker und de Oliveira. Das „Lila Lied“ von Mischa Spoliansky wird zu hören sein, das „I am what I am“ der Weimarer Zeit, außerdem stehen „Am Sonntag will mein Süßer mit mehr segeln gehn“ und drei Lieder von Detlev Meier, die der ehemalige Chorleiter Christian Höfling vertont hat, auf dem Programm. Als zuckersüße Zugabe werden noch „Sweet dreams“ von den Eurythmics serviert.
Ernst wird es mit dem Lied von den „Moorsoldaten“, mit dem der schwul-lesbische Chor der homosexuellen Opfer des NS-Regimes gedenkt. Von Melancholie umflort ist der Titel „Auf Wiedersehen, my dear“ von den Comedian Harmonists, deren jüdische Sänger ebenfalls von den Nazis verfemt wurden. „Mit unserem Repertoire umreißen wir 100 Jahre Homosexuellen-Bewegung in Deutschland“, sagt Silke Düker. Der Chor, der donnerstags um 20 Uhr in der Musikschule an der Schleswiger Straße probt, sucht im Übrigen noch Bässe und Soprane.