Zum 75. Geburtstag nutzen wir die Gelegenheit, die Seiten zu tauschen: Diejenigen, die wir normalerweise interviewen, dürfen nun uns die Fragen stellen.
Nils Matthiesen: Sagen Sie mal Herr Michel, warum nimmt denn der WESER–KURIER nicht alle Pressemitteilungen der Polizei mit? Bei anderen regionalen Zeitungen ist es eigentlich durchaus üblich, dass die alle Meldungen übernehmen.
Ralf Michel: Hauptsächlich ist das eine Platzfrage. Meistens haben wir zu viel Stoff für zu wenige Seiten. Da müssen wir aussuchen und gewichten. Könnte aber natürlich auch daran liegen, dass die Meldungen manchmal in fürchterlichem Beamtendeutsch geschrieben sind. Die verunfallte weibliche Person, die in ein Klinikum verbracht wurde…
Matthiesen : Dagegen verwahre ich mich entschieden. Wir haben uns dieses Themas schon frühzeitig angenommen und ich denke auch, dass wir da inzwischen deutlich besser aufgestellt sind als früher.
Michel: Bekommt man eigentlich eine Schulung in Sachen Pressestellen-Deutsch? Oder zumindest einen Crash-Kurs?
Matthiesen : Eine Mischung aus beidem. Natürlich wird man geschult und macht Fortbildungen. Richtiges Schreiben, Kamera-Training, Kommunikationskonzepte … Aber Erfahrung spielt auch eine wichtige Rolle. Apropos: Früher hatten wir bei Zeitungen den klassischen Polizeireporter. Jetzt stellen wir fest, dass sich sehr viele Ihrer Kollegen an uns wenden, die sich kaum mit der Thematik Justiz und Polizei beschäftigt haben. Das erschwert manchmal unsere Arbeit, weil man die Polizei immer wieder neu erklären muss. Muss man heute in der Redaktion so breit aufgestellt sein, dass viele alles machen?

Michel: Das sich in unserer Lokalredaktion ein Redakteur wirklich nur auf ein einziges Themenfeld konzentrieren kann, hat es noch nie gegeben. Dazu fällt zu viel an und das passt eigentlich auch nicht zum Berufsbild. Wir versuchen trotzdem, dass jeder Kollege innerhalb der Redaktion zumindest einen Themenschwerpunkt hat, bei dem er dann sozusagen der erste Ansprechpartner ist, wie zum Beispiel ich, wenn es um Fragen der Inneren Sicherheit geht. Gegenfrage mit Blick auf die manchmal sehr dünnen Antworten auf unsere Anfragen: Weiß man bei Ihnen im Kollegenkreis um die Informationspflicht der Polizei gegenüber den Medien?
Matthiesen : Ja, auf jeden Fall. Unsere Führungskräfte werden entsprechend geschult und es gibt da auch eine klare Dienstanweisung. Man darf trotzdem nie vergessen, dass wir Sprecher einer Sicherheitsbehörde sind und keine Boulevardplauderer. Bevor wir etwas über Ereignisse herausgeben, bei denen es teilweise um Leben und Tod geht, müssen wir uns auf vielfältige Weise abstimmen. Mit den Ermittlern, mit der Staatsanwaltschaft, mit dem Innenressort. Und trotzdem kommen da am Ende dann manchmal nicht mehr als ein paar Zeilen raus.
Michel: Aus den berühmten „ermittlungstaktischen Gründen“?
Matthiesen : Richtig. Weil wir sonst die Ermittlungen gefährden. Manchmal sind viele Dinge Täterwissen. Davon darf kein Außenstehender erfahren, weil man sonst eine Vernehmung zunichtemachen würde oder sogar das spätere Gerichtsverfahren.
Michel: Kann es darüber hinaus sein, dass mancher ihrer Kollegen oder Kolleginnen, bei denen Sie auf unsere Bitte hin Informationen einholen, einfach keine Lust hat, zu antworten? Weil die Anfrage ihn oder sie nervt, ihm oder ihr lästig ist, er oder sie keine Zeit hat?
Matthiesen : Vieles können wir ja selbst beantworten. Aber wenn es um aktuelle Zahlen oder Trends geht, sind wir natürlich auf unsere Kollegen in den Direktionen angewiesen. Und die sind nicht selten sehr ausgelastet. Aber die Kollegen gehen professionell mit den Anfragen um und liefern zeitnah Informationen.
Michel: Könnte es trotzdem sein, dass nicht alle Ihrer Kollegen Journalisten mögen? Oder ihnen zumindest misstrauisch begegnen?
Matthiesen : Vielleicht hat der eine oder andere tatsächlich nicht so gute Erfahrungen mit der Presse gemacht. Aber pauschalisieren würde ich das nicht. Die meisten Kollegen, die ich kenne, haben keinerlei Probleme mit der Presse.
Michel: Was sie bei Einsätzen vor Ort dann aber geschickt kaschieren.
Matthiesen : Diese Klage hören wir tatsächlich häufiger, vor allem von den Nachrichtenagenturen. Aber das ist eine ganz andere Situation. Die Kollegen und Kolleginnen, die dann vor Ort sind, sind auf die Tatortarbeit konzentriert und in diesem Moment dann manchmal mit Medienanfragen überfordert. Aber auch hier versuchen wir grundsätzlich, den Journalisten ihre Arbeit zu ermöglichen. Sind Sie denn insgesamt mit der Pressestelle der Polizei zufrieden. Oder anders gefragt: Was stört Sie am meisten an unserer Arbeit?
Michel: Dass es manchmal doch sehr lange dauert, bis Fragen beantwortet werden. Was sicher nicht an Ihnen oder Ihren Kollegen in der Pressestelle liegt, Sie erwähnten die Instanzenwege, die einzuhalten sind. Typisch Behörde eben, aber leider mit dem Tempo, in dem Medien heute arbeiten, nicht wirklich kompatibel. Wir erscheinen eben nicht mehr nur als Printausgabe am nächsten Tag, sondern auch online. Nicht zu vergessen die sozialen Medien. Dadurch entsteht ein enormer Zeitdruck.
Matthiesen: Was man übrigens an der Qualität merkt.
Michel: Wie bitte? Jetzt ist es an mir, mich entschieden zu verwahren!
Matthiesen : Ich meine den Unterschied zwischen Onlineberichterstattung und dem, was am nächsten Tag in der Zeitung steht. Dass Ihre Onliner, gerade wenn es um Polizeieinsätze geht, schnell etwas veröffentlichen müssen, ist uns schon klar. Manchmal denken wir trotzdem: Na ja, vielleicht wäre es doch besser gewesen, das eine oder andere doch noch mal nachzufragen.

Michel: Wobei unsereins auch nicht immer gerade so besonders glücklich mit der Informationspolitik der Polizei ist. In manchen Fällen kommt von Ihnen gar nichts außer dem Verweis auf die Staatsanwaltschaft.
Matthiesen : Das ist klar geregelt. Wenn die Staatsanwaltschaft die Pressehoheit hat, kann die Polizei nichts mehr zu dem eigentlichen Vorgang sagen. So gern wir das auch täten, um gewisse Dinge richtigzustellen oder zu erklären. Das ist nach außen schwer zu vermitteln, aber wir sind dann raus. Wir dürfen uns dann nicht mehr äußern.
Michel: Kann manchmal aber auch ganz bequem sein, oder?
Matthiesen : Nein, wir ducken uns nicht weg. Wir sind es ja gewohnt, häufig im Fokus zu stehen. Im Guten, aber eben auch im Schlechten. Wir von der Pressestelle sind irgendwie wie Schiedsrichter und machen aus Sicht anderer immer was falsch. Entweder den Journalisten gegenüber, weil man nicht schnell genug liefert, oder der Behördenleitung, weil der Bericht am nächsten Tag nicht so ausgefallen ist, wie man ihn dort gern gelesen hätte. Oder bei den Kollegen, weil die sich nicht wertgeschätzt fühlen. Aber wie sagt unser Vizepräsident immer so schön: „ Niemand hat gesagt, dass die Arbeit in der Pressestelle der Polizei einfach ist."
Michel: Schweres Los für Sie. Gibt’s zum Schluss auch was Positives?
Matthiesen : Ich glaube, dass sich im Verhältnis Pressestelle und Medien in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in Bremen was gewandelt hat. Wir haben zu den Journalisten, mit denen wir regelmäßig in Kontakt stehen, ein gutes Vertrauensverhältnis. Da können wir auch mal Sachen außerhalb des Protokolls besprechen und uns drauf verlassen, dass es nicht geschrieben oder gesendet wird. Diese Zusammenarbeit ist ein Trumpf, den wir uns bewahren sollten.
Michel: Einverstanden. Das ist auch für meine Arbeit wichtig. Natürlich möchte ich immer alles wissen. Aber ich muss nicht alles schreiben. Hintergrundinformationen helfen mir bei der Einordnung von Sachverhalten. Wie Sie sagen – eine Sache des Vertrauens. Und des gegenseitigen Verständnisses von der Rolle und Aufgabe des jeweils anderen.
Matthiesen : Ich denke, es gibt noch etwas, was uns mit dem WESER-KURIER verbindet: Wie wir berichten, was wir berichten, wie wir über Täter und über Opfer schreiben und auch, wie wir miteinander umgehen. Diese Werte sind sehr, sehr wichtig. Und längst nicht für alle Medien oder überall in der Gesellschaft selbstverständlich.
Das Gespräch führte Nils Matthiesen.
Nils Matthiesen
absolvierte seine Ausbildung zum Polizisten in Hessen und wechselte Mitte der 90er-Jahre nach Bremen. Seit 2011 ist der gebürtige Ammerländer Pressesprecher der Polizei Bremen.
Ralf Michel
arbeitet seit 1988 als Journalist. Seit 1999 ist er Redakteur beim WESER-KURIER, seit 2013 Mitglied der Lokalredaktion Bremen mit dem Themenschwerpunkt Innere Sicherheit.
Weitere Informationen
Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?