Vegesack. Wer herausfinden möchte, wie augenfällig das Bremer Zentren- und Nahversorgungskonzept gescheitert ist, muss nur einmal nach Aumund fahren: Edeka, Lidl und Aldi haben an der Hammersbecker Straße auf großen Grundstücken gebaut. Im Rewe-Markt an der Georg-Gleistein-Straße hingegen tropft es bei Regen durch die Decke, weil die Eigentümer nicht neu bauen dürfen. Zur Abrechnung der Investoren kam es jetzt im Vegesacker Ausschuss für Stadtentwicklung.
„Das Konzept ist 2009 in Kraft getreten, basierend auf Zahlen von 2006,“ verdeutlichte Olaf Mosel von „M Projekt“, wie lange das Papier schon gültig ist – ohne die vom Vegesacker Beirat schon 2009 geforderten ständigen Nachjustierungen. Und Vegesacks Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt hatte die Mitteilung aus dem Bauressort mitgebracht, mit der neuen und lange angekündigten Überarbeitung des Zentren- und Nahversorgungskonzepts werde es nichts mehr vor der Wahl 2019.
Wer also wie Rewe und die Eigentümer hinter dem Markt, die Patrizia Immobilien AG, einen neuen Bebauungsplan für den Neubau braucht, kann mit dem frühestens 2021 rechnen. Bis dahin haben die Investoren nur die Wahl, Geld in einen maroden Bau zu stecken oder aufzugeben.
Nicht mehr zeitgemäß
Peter Schneider von der Firma Retail Real Estate Experts aus Bergisch-Gladbach war im Auftrag der Eigentümer eigens nach Vegesack gereist, um für eine Ausnahmeregelung für einen Marktneubau zu werben: „Das Risiko ist mittelfristig, dass der Investor dort an der Georg-Gleistein-Straße sonst binnen zwei, drei Jahren abspringt. Und dann haben Sie dort eine Brache.“
Schneider hatte an seiner Seite den Architekten Uwe Pielhop aus Langenhagen, der das komplette Grundstück neu ordnen möchte: Der Markt soll ganz nach hinten rücken, 1900 Quadratmeter Rewe-Verkaufsfläche und 300 für Shops bekommen, deutlich mehr sind als heute. Die Einfahrt zum Neubau soll breiter gestaltet werden. Dort, wo der Markt heute steht, hat Pielhop einen kleinen Fachmarkt eingezeichnet: „Heute läuft die Erschließung des Marktes ja für die Autofahrer hinten rum. Das ist nicht mehr zeitgemäß.“ Im weiteren Verlauf der Sitzung erläuterte Schneider, dass die Eigentümer auch anderen Plänen zustimmen würden.
Trotzdem habe es seit zwei, drei Jahren nur abschlägige Bescheide gegeben, heißt es. Und der Rewe-Fall ist nicht der einzige behördlich-politisch verordnete Stillstand in Sachen Nahversorgung in Bremen-Nord. Jörg Tietjen von der Lürssen-Tochter ELB Grundstücksverwaltung verzweifelt unverändert bei den Versuchen, auf dem ehemaligen Parkplatz der Vulkan-Verwaltung an der Lindenstraße einen Verbrauchermarkt anzusiedeln: „Handel ist Wandel. Man muss schnell sein heutzutage. Das Zentren- und Nahversorgungskonzept spiegelt die Realität nicht mehr wider. Es ist einfach alt.“
Es könne doch nicht wirklich angehen, dass er und all die anderen Kaufleute in Bremen-Nord handlungsunfähig seien, weil sie auf ein neues Konzept bis 2019 oder gar 2020 warten müssten. Olaf Mosel reihte sich in diese Reihe der Wartenden ein, weil er einen Drogeriemarkt im Bereich des alten Schlachthofs mit Verweis auf das überalterte Konzept nicht genehmigt bekommt: „Soll ich nun erst einmal die Investition da rausrechnen oder doch lieber drin lassen, weil 2020 etwas gehen könnte? Ich weiß es nicht. Und Unsicherheiten dieser Art sind Gift für Planungen.“
Siegfried Hafke vertrat bei dieser Sitzung das Bauamt Bremen-Nord und wurde von Heiko Dornstedt dafür ausgiebig bedauert. Dass Bausenator Joachim Lohse der Einladung in den Beiratsausschuss nicht gefolgt ist, zog am Ende eine schriftliche Rüge nach sich. Das sei fast schon Standard in der Kommunikation mit dem Bauressort, machte Dornstedt deutlich. Zum Thema Rewe-Markt erläuterte Stadtplaner Hafke dann, man wolle nicht, dass Autofahrer vielleicht sogar extra am Rabenfeld von der Autobahn abbögen, um diesen Markt anzusteuern. Das Thema des Marktes sei eingebunden in ein riesiges Konzept der Bremischen Bürgerschaft und dieses Konzept sei bindend.
Siegfried Hafke appellierte in die Runde, über zu enge Grenzen hinwegzudenken: Man müsse auch das Zentrum von Vegesack in seiner Struktur schützen. An der Georg-Gleistein-Straße sei zudem dem Bebauungsplan aus dem Jahre 1977 gemäß ein Neubau des Marktes nicht zulässig. Der hintere Teil des Grundstücks sei als Gewerbegebiet ausgewiesen, in dem keine Verbrauchermärkte angesiedelt werden dürften.
Hafke erklärte dann auch das Konzept der Bipolarität für Vegesack. gemeint sind die 1,2 Kilometer zwischen dem Haven Höövt auf der einen und der Markthalle auf der anderen Seite, in denen sich alles abspielen solle. Hafke: „Die Idee war damals mit diesem Konzept, in Vegesack kleine Einzelhandelsflächen mit großen zusammenzubringen. Daneben hätte man dann nichts mehr an Angebot gebraucht.“
In der Realität steht Vegesack zurzeit vor einem verwaisten Haven Höövt und einer leeren Markthalle. Der Einzelhandelsflächen-Vergleich zu den Unterzentren Blumenthal und Burglesum fällt mit 45 646 Quadratemeter Einzelhandelsfläche für Vegesack zu 36 020 in Blumenthal und 33 890 für Lesum nicht gerade opulent aus für einen Ort, der die Funktion eines Mittelzentrums behalten möchte.
Andererseits warnte der Vegesack-Marketing-Kritiker Ingo Schiphorst aus dem Publikum, immer neue kleine Einkaufszentren entstehen zu lassen: „Blumenthal sollte abschreckende Wirkung genug haben. Gucken Sie sich mal an, zu was die Ansiedlungen rund um das Müllerloch dort am Markt und dahinter geführt haben.“
Karsten Nowak, Geschäftsführer der Bremer Handelskammer und dort für den Bereich Einzelhandel zuständig, kennt die Angst davor, dass alte, gewachsene Zentren zerfallen könnten. Er hat die ganze Zeit aufmerksam mitgeschrieben und auch die Geschichte von dem geplatzten Ansiedlungsversuch des Elektronikmarktes Expert Bening notiert. Er appelliert an das Bauressort, jetzt auch mit Ausnahmen zu arbeiten. Inzwischen setzt das Ressort auch Gutachter ein, „die die weltliche Sicht der Dinge auch berücksichtigen“.
Für die Stadtteilpolitiker ging das nicht weit genug. Cord Degenhard und Günter Kiener von den Bürgern in Wut bezeichneten es als „unglaubliche Planwirtschaft“, was Bremen da auf Kosten wichtiger Investoren betreibe. Sie schlugen vor, das Thema im Beirat auf die Tagesordnung zu setzen. Die weiteren Ausschussmitglieder und der Ortsamtsleiter stimmten zu.
Ausschusssprecher Jürgen Hartwig (SPD) schrieb dem Bauressort ins Stammbuch: „Ein Konzept ist nicht aus Beton. Wir müssen jetzt die Möglichkeiten an der Georg-Gleistein-Straße nutzen und das im Ensemble mit der Vegesacker Innenstadt sehen.“ Der von Heiko Dornstedt ausformulierte Ausschussbeschluss fordert vom Bauressort, die Verbrauchermärkte in Aumund als Realität in das Konzept aufzunehmen und das Gebiet rund um den Aumunder Bahnhof als Nahversorgungszentrum anzuerkennen. Damit gäbe es die Chance, den Rewe-Markt vielleicht im Stadtteil zu halten, heißt es.