Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Trickbetrüger Terror am Telefon: Wie Betrüger alte Menschen unter Druck setzen

Dass der Mann am Telefon ein Betrüger ist, erkennt Ulrike Helmers sofort. Trotzdem ist sie überrascht, wie geschickt er vorgeht. Entsetzt ist sie über ein bestimmtes Detail des Anrufs.
24.07.2022, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Terror am Telefon: Wie Betrüger alte Menschen unter Druck setzen
Von Ralf Michel

Rund 180.000 Euro versprach der Anrufer Ulrike Helmers. Alles, was sie dafür tun müsse, sei, einen Kollegen von ihm anzurufen. Einen Herrn Seeberger, angeblich Sachbearbeiter bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Dass sie einen Betrüger am Apparat hatte, erkannte Ulrike Helmers sofort. War dann aber doch überrascht, wie geschickt der Mann am Telefon agierte. Und über wie viele ihrer Bankdaten er verfügte.

Der Anruf kam im Mai von einem Handy. "Eigentlich wollte er meine Mutter sprechen, aber die war im März gestorben", erzählt Helmers. Auf diese Nachricht habe er betroffen reagiert, dann aber seine Geschichte abgespult: Ihre Mutter habe schon seit längerer Zeit 180.000 Euro bei seiner Bank deponiert, hierzu bestünde Klärungsbedarf. "Da er bei Sterbefällen überfordert sei, müsste ich ganz dringend den Sachbearbeiter meiner Mutter anrufen." Der besagte Herr Seeberger ist telefonisch unter einer Nummer im Kosovo zu erreichen, fand Ulrike Helmers bei der Überprüfung der Vorwahl heraus.

Lesen Sie auch

Sie habe sich dann misstrauisch gegeben, ihm gesagt, dass sich das wie Betrug anhöre, und dann selbst versucht, den Anrufer nach seiner Bank auszufragen. Nach einigem Hin und Her habe er Details genannt, so unter anderem die Adresse der EZB in Frankfurt, und dass Herr Seeberger in der Finanzabteilung, Sektion 4, arbeite. Ihre Fragen, warum er sie von einem Handy aus anrufe und warum sich die Bank nicht schriftlich bei ihr melden würde, habe er ignoriert. Als sie sich erkundigte, warum sie im Ausland anrufen sollte, bekam sie die lapidare Antwort, dass Kollege Seeberger halt viel reise. Dann ging der Betrüger in die Gegenoffensive, erkundigte sich seinerseits nach ihr. "Er müsse sich absichern,  schließlich wisse er ja nicht, ob ich wirklich die Tochter sei." 

"Der war echt geschickt. Hat immer sofort umgeschaltet, ein Laberkopp vor dem Herrn", erzählt Helmers. "Einen Moment lang war ich selbst verunsichert: Hat mir meine Mutter vielleicht etwas nicht erzählt?" Zumal der Anrufer noch ein As im Ärmel hatte: "Weil ich weiter Zweifel äußerte, nannte er mir die kompletten Bankdaten meiner Mutter mit korrekter IBAN und BIC."

Geschickte Gegenoffensive

Als sie aufgelegt hatte, begann Ulrike Helmers zu recherchieren. Die Adresse der EZB stimmte, allerdings war die genannte Hausnummer falsch. Sie habe dann dort angerufen, einen Herrn Seeberger gab es wie erwartet nicht. "Außerdem kann man als Privatmensch gar nicht Kunde der EZB sein."

In einem Portal zur Überprüfung verdächtiger Anrufe stieß sie auf einen Eintrag zu der Handynummer ihres Anrufers. Ein Mann berichtete, dass ein Unbekannter mit dieser Nummer seinen an Demenz erkrankten Vater mit Anrufen bombardiert habe. Auch hier war von 180.000 Euro die Rede. Er habe den Anrufer gefragt, ob dieser sich nicht schäme, so etwas mit einem alten, schwerkranken  Mann zu machen. Die Antwort des Betrügers: Er sei froh, endlich ihn, den Sohn, am Apparat zu haben. So müsse er nicht ständig alles wiederholen. In den darauffolgenden Tagen habe der Mann dann noch 17 Mal angerufen.

Die Hartnäckigkeit, mit der die Betrüger in solchen Fällen vorgehen, kennt auch Ulrike Helmers. Ihre Mutter, die noch in einem eigenen Haushalt lebte, sei schon länger telefonisch regelrecht terrorisiert worden. "Bis  zu 100 Anrufe am Tag, im Minutentakt, aus England, Frankreich, Italien." Für ihre Mutter sei das schrecklich gewesen. Sie habe sich Sorgen gemacht, konnte nachts nicht mehr schlafen und wollte am liebsten nicht darüber sprechen. 

Sie habe dann die betroffenen MSN-Nummern geblockt, das Ganze außerdem der Bundesnetzagentur gemeldet, bei der es ein Meldeverfahren für Werbeanrufe gibt, erzählt Helmers. "Deren Antwort war eine Standardmail und fertig." Auch bei der Polizei sei sie gewesen. "Die waren selbst frustriert, dass sie in solchen Fällen nichts machen können und haben mir Dinge erklärt, die ich schon wusste."

Lesen Sie auch

Für die Regelung des Nachlasses ihrer Mutter habe sie eine der gesperrten Nummern vorübergehend wieder freigeschaltet. Prompt meldete sich der Betrüger. Ulrike Helmers macht das wütend. "Das kann nicht sein, dass man sich vor solchen Anrufern nicht schützen kann", sagt sie. Sie sieht an dieser Stelle dringend die Politik gefordert. "Was machen denn die alten Menschen, die alleine sind, die keine Kinder oder Enkel haben, die auf sie aufpassen?"

Zum Schluss eine Drohung

Am Tag nach seinem Anruf habe sich der Mann noch einmal gemeldet, diesmal auf ihre Nachfrage sogar seinen Namen genannt – "Dr. Manfred Berger". Weil sie am Vortag nicht die Nummer im Kosovo angerufen habe, sei jetzt in Maastricht ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden. Ähnlich wie bei der Europäischen Zentralbank nur ein weiterer Beleg für das Halbwissen des ansonsten so eloquenten Anrufers. Maastricht fungiert zwar als Namensgeber für ein wichtiges Vertragswerk der Europäischen Union, einen internationalen Gerichtshof sucht man dort allerdings vergebens.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)