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Falsche Freundlichkeit und Drohungen Bremerin überweist Trickbetrügern 10.000 Euro

Rund 10.000 Euro hat die Bremerin Hildegard S. zwei Trickbetrügern überwiesen. Ihre gesamten Ersparnisse. Doch schlimmer als der Verlust des Geldes ist für die 78-Jährige etwas ganz anderes.
11.06.2017, 18:50 Uhr
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Bremerin überweist Trickbetrügern 10.000 Euro
Von Ralf Michel

„Wie kann man nur so dumm sein?“ Es ist dieser Satz, der Hildegard S. am meisten weh tut. Die 78-jährige Bremerin hat ihn oft zu hören bekommen, seit sie einer Bande von Trickbetrügern auf den Leim ging. Von ihren Kindern und von Freunden. Dabei ist sie doch das Opfer.

Und dies nicht nur wegen des Geldes, das sie verloren hat. Im Gespräch mit der Seniorin wird schnell deutlich, wie tief verunsichert sie ist. „Ich bin misstrauisch gegen alle“, sagt sie. Und man merkt, wie sehr ihr gerade dies zu schaffen macht.

Hildegard S. passt so gar nicht ins Klischee über alte Menschen, die am Telefon auf Trickbetrüger reinfallen. Die 78-Jährige ist nicht tüdelig, sondern hellwach. Und sie ist auch nicht einsam, sie hat eine Familie und Freunde. Trotzdem hat sie den Männern am Telefon geglaubt, die ihr erzählten, dass sie 180.000 Euro gewonnen habe.

Herrn B., dem angeblichen Mitarbeiter einer Schweizer Kantonsbank und Herrn S., dem angeblichen Rechtsanwalt aus der Türkei. „Die waren so überzeugend – niemals hätte ich gedacht, dass das Betrüger sind.“

Western Union warnt Hildegard S.

Hinzu kam, dass die Gauner einen konkreten Ansatzpunkt für ihre Lügengeschichte hatten. Hildegard S. macht bei einem Gewinnspiel mit. Seit einem Jahr werden monatlich 69,90 Euro per Lastschrift von ihrem Konto abgebucht. Und nun sollte sie also gewonnen haben. 180.000 Euro.

Allerdings, so die Legende, käme das Geld aus der Türkei. Um ihren Gewinn ausbezahlt zu bekommen, müsse sie deshalb vorab eine Steuer entrichten. „Erst hieß es 4600 Euro, aber das wurde dann nach und nach immer mehr.“

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Überwiesen hat sie dieses Geld per Einzahlung bei der Western Union, einem Anbieter für weltweiten Bargeldtransfer. Nicht alles auf einmal, sondern in Raten von jeweils etwa 2000 Euro. Selbst der Western Union kam dies am Ende merkwürdig vor, erzählt die Seniorin. „Die haben mich gewarnt und gesagt, dass das Betrüger seien.“

Doch als sie Herrn B. bei dem nächsten Anruf damit konfrontiert habe, sei der aus allen Wolken gefallen. „Also Frau S., wie können sie so etwas nur von mir glauben.“ Wo man doch inzwischen ein fast freundschaftliches Verhältnis habe. „Er hatte mir tatsächlich irgendwann von seiner Frau und seinen beiden Kindern erzählt.“

Falsche Freundlichkeit und Drohungen

Es war eine perfide Mischung aus falscher Freundlichkeit und Drohungen, mit der die Betrüger Hildegard S. unter Druck setzten. Jeden Tag mindestens fünfmal hätten Herr B. und der Anwalt aus der Türkei angerufen, erzählt sie. Einmal sei sie drei Wochen verreist gewesen, und das fiel offenbar auf: „Als ich zurück war, hat Herr B. sofort nach meinem Urlaub gefragt, hat sich freundlich erkundigt, wo ich denn gewesen sei, wie das Wetter war und ob es mir dort gefallen hat.“

Als Hildegard S. am Ende dann doch misstrauisch wurde, sich auch weigerte, nach Frankfurt zu kommen, um den angeblichen Gewinn dort persönlich in Empfang zu nehmen, lernte sie die Anrufer von einer anderen Seite kennen. Da meldeten sich plötzlich angebliche Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und des Zolls.

Wenn sie nicht nach Frankfurt käme, würde ihre Rente gepfändet, habe es geheißen. „Ich weiß, das können die gar nicht“, sagt die 78-Jährige heute. „Aber die haben mir auf den Cent genau gesagt, wie hoch meine Rente ist. Da habe ich dann doch Angst bekommen. Wovon soll ich denn meine Miete bezahlen und leben ohne meine Rente?“

Seniorin überweist ihre kompletten Ersparnisse

Zumal ihre Ersparnisse zu diesem Zeitpunkt schon komplett weg waren, alles in allem wohl rund 10.000 Euro. Nachdem die Western Union sich weigerte, weitere Überweisungen in die Türkei für Hildegard S. zu tätigen, hätten die Betrüger sie erst zu anderen Banken in Bremen geschickt und den Transfer schließlich über das Konto eines Privatmannes in Nordrhein-Westfalen bewerkstelligt, schildert die Seniorin das weitere Vorgehen der Betrüger.

„Und als ich sagte, dass ich jetzt kein Geld mehr habe, haben sie gefragt, ob ich nicht meinen Schmuck versetzen könnte.“ Einmal habe es auch spät abends an ihrer Tür geklingelt. An der Gegensprechanlage meldete sich ein unbekannter Mann. Er käme von Herrn B. und sollte etwas abholden. „Den habe ich aber nicht hereingelassen, sondern die Polizei gerufen.“

Die ist inzwischen über den gesamten Betrugsvorgang informiert, Hildegard S. hat Anzeige erstattet, außerdem eine neue Telefonnummer beantragt. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere ist eine verstörte 78-jährige Frau, die nicht mehr gut schläft und immer wieder in Tränen ausbricht. „Ich schäme mich so“, sagt sie und ringt verzweifelt nach einer Erklärung. Für andere, aber auch für sich selbst. „Ich bin nun einmal nicht so misstrauisch. An so viel Lug und Trug habe ich einfach nicht geglaubt.“

Geld kann nicht zurückgebucht werden

Sie habe einen Fehler gemacht und sei zu gutgläubig gewesen, das werde ihr gewiss nicht wieder passieren, sagt sie. Und für einen kurzen Moment wird ihre Stimme fester. Doch das ist schon im nächsten Augenblick wieder vorbei.

Als sie erzählt, wie unwohl ihr neulich war, als ihr Freund in einem Café mit zwei freundlichen Leuten am Nachbartisch ins Gespräch kam. „Ich bin überhaupt nicht mehr ruhig. Wem kann man denn noch trauen? Aber dieses Misstrauen, das ist doch furchtbar.“

Ganz am Ende hat sie den beiden Anrufern dann sogar noch ihre Meinung gesagt. „Dass ich sie für Betrüger halte und ob sie sich nicht schämen würden.“ Doch das habe die nicht gestört. Im Gegenteil. Als Hildegard S. Anfang Juni zu ihrer Bank ging, entdeckte sie, dass über die Lastschrift, die sie für das Gewinnspiel unterschrieben hatte, noch einmal 1350 Euro von ihrem Konto abgebucht worden waren. Das Geld sei verloren, habe ihre Bank mitgeteilt. Aus der Türkei könne man es nicht zurückbuchen.

Trickbetrüger erbeuten Millionen

Die Zahlen der Opfer und die Beutesummen durch Callcenterbetrug steigen seit Jahren an. Hierbei werden bevorzugt ältere Menschen von Callcentern in der Türkei aus angerufen und mit unterschiedlichsten Lügengeschichten bedrängt und dazu überredet, den Tätern Geld oder andere Wertsachen auszuhändigen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sprach schon 2015 von einer Million Opfer und einer Beute von 120 Millionen Euro.
Und dies, obwohl laut Polizei nur jeder fünfte bis siebte Fall angezeigt wird. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden kommt Bremen innerhalb dieser kriminellen Bandennetzwerke eine überregionale Bedeutung zu. In zahlreichen Fällen führten die Spuren der Täter in die Hansestadt. So stehen derzeit auch zwei Betrüger vor dem Bremer Landgericht. In dem Prozess geht es um eine Beutesumme von weit über einer halben Million Euro.

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