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Reaktionen in der Gastronomie Teures Gänsefleisch: Preis verdirbt Bremern den Appetit

Auch vor Gänsen macht die Preisexplosion aufgrund der Energiekrise nicht halt: Das zum Martinstag und zu Weihnachten beliebte Geflügel ist teuer und knapp. Die Gastronomie reagiert bereits darauf.
15.10.2022, 05:00 Uhr
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Teures Gänsefleisch: Preis verdirbt Bremern den Appetit
Von Ulrike Troue

Die Gans ganz vom Speisezettel streichen? Diese Perspektive dürfte manchen Menschen ganz und gar nicht schmecken. Schließlich kommt auch hierzulande ab dem Martinstag am 11. November gern mal ein knuspriger Gänsebraten auf den Tisch. Das Gericht gehört in vielen Familien zudem zur Weihnachtstradition. Aber der exorbitante Preisanstieg für diese Geflügelsorte hat bereits dazu geführt, dass Restaurants das klassische Saisonangebot einer ganzen Gans am Tisch gar nicht mehr machen.

Wie hoch ist der Preisanstieg?

Von einer "Verteuerung von 50 bis 60 Prozent im Gänse-Bereich für alles, was frisch im Einkauf ist", spricht Herbert Dormann als Obermeister der Bremer Fleischerinnung, dessen Mitgliedsbetriebe allesamt auch Geflügel verkaufen – für bis zu 25 Euro pro Kilogramm deutsche Freilandgans. In Einzelhandelsmärkten würden dafür 16 bis 20 Euro verlangt, weiß Johann-Michael Claßen. Der Landwirt hält in Bakum im Oldenburger Münsterland rund 10.000 Gänse im Freiland und vermarktet sein Geflügel über den Großhandel auch in Bremen. Claßen ist überzeugt, dass der Handel die Mehrkosten an die Kunden weitergibt, aber Verdienstmargen reduziert, um Gänse überhaupt im Angebot zu haben. "Die sind für den Verbraucher am Ende etwa 15 Prozent teurer als im Vorjahr", glaubt der Erzeuger.

Der Einkaufspreis für eine Oldenburger Gans sei im vergangenen Jahr um 50 Prozent gegenüber 2020 gestiegen, in diesem Jahr sei das Kilo erneut rund ein Drittel teuer geworden, so der Küchendirektor eines Bremer Fünf-Sterne-Hotels, seine Kollegin Emilia Seekamp von Seekamp's Gasthaus in Hemelingen beziffert den extremen Einkaufspreisanstieg für die Gastronomie auf 80 Prozent. 

Was sind Gründe für die Preisexplosion?

Zum einen die Menge: Wegen der Vogelgrippe hätten Erzeuger in Deutschland, Polen und Ungarn erhebliche Teile ihrer Bestände verloren. Rund 80 Prozent der Gänse würden jedes Jahr aus Polen und Ungarn importiert, sagte Lorenz Eskildsen, Vorsitzender des Bundesverbandes Bäuerlicher Gänsehaltung der Deutschen Presse-Agentur. Bereits 2021 hätten wegen der Geflügelpest rund vier Millionen Gänse in Europa zu Weihnachten gefehlt, ergänzt Fleischerinnungsobermeister Herbert Dohrmann. Die Seuche sei in Europa nie richtig unterbrochen gewesen, daher zeichne sich ein anhaltender Engpass ab. 

Zweitens habe es eine "dramatische Verteuerung" der Energie- und Futterkosten gegeben. Das hat nach Dohrmanns Worten dazu geführt, "dass viele Mäster gar nicht mehr aufgestallt haben". Das Futter sei zwischen 50 bis 100 Prozent teurer geworden, weist Gänsezüchter Johann-Michael Claßen auf seinen erheblichen Mehraufwand für Weizen hin. Das führt der Erzeuger auf geringere Ernteerträge wegen gestiegener Temperaturen durch den Klimawandel und den Ukraine-Krieg zurück. Auch für Diesel, Düngemittel, Löhne oder  Verpackungen muss er deutlich mehr Geld als früher investieren.

Was bedeutet das für den Restaurantbesuch?

Obgleich viele Gäste noch Appetit auf Gans hätten, würden diverse Gastronomen dieses Geflügel gar nicht mehr auf ihre Karte nehmen, weil sie den Preis nicht auf ihre Karte schreiben mögen, sagt Fleischerinnungsobermeister Dohrmann. Der Grollander Krug hat das traditionelle Martinsgans-Essen erstmals ganz gestrichen, stattdessen Gänsekeule auf die Karte gesetzt – und als vier Euro günstigere Variante gebratene halbe Ente. Auch im  Luxushotel wird über Alternativen nachgedacht, wie der Küchendirektor gesteht, weil nicht jedem Gast der gehobenen Gastronomie 50 Euro für ein Gänsegericht schmecken dürften.

Die Gäste wollen zu Weihnachten und Weihnachtsfeiern nicht auf Gans verzichten.
Gastwirtin Emilia Seekamp

Das Martinsgans-Essen gehört für Sven Seekamp, Juniorchef des gleichnamigen Gasthauses, das zu den ältesten Bremens zählt, zur Tradition. 2021 wurde trotz gestiegenen Einkaufspreises die am Tisch servierte Gans mit Beilagen für knapp unter 89,90 Euro für vier Personen serviert. Der diesjährige Preis dürfte "weit über 100 Euro liegen", prognostiziert seine Mutter Emilia Seekamp angesichts der Preisexplosion bei Gänsen – und Energie. Eine 4,5 Kilogramm schwere Gans müsse knapp fünf Stunden in die Bratröhre, auch die weiteren Betriebskosten seien zu bedenken, sagt sie. Als "Gastronome aus Leidenschaft" wollen Seekamps die Martinsgans-Essens-Gäste, die reserviert haben, gut bewirten und zufriedenstellen, sie überlegen daher, wo Abstriche gemacht werden könnten. "Die Gäste wollen zu Weihnachten und Weihnachtsfeiern nicht auf Gans verzichten", betont die Chefin. Falls der Preis ihnen den Appetit auf Gänsebraten ganz und gar verdirbt, werde sie Puter anbieten. 

Wie wirkt sich der hohe Preis auf den Handel aus?

Die Nachfrage nach Gänsen sei im vergangenen Jahr um die Hälfte zurückgegangen, gibt der Inhaber des Frischgeflügelstandes Repges auf dem Domshof Auskunft und führt das auf die bereits genannten Gründe und weniger Kundschaft durch Corona zurück. "Bisher habe ich nur eine Anfrage", sagt Calle Scherp, der Gänse lediglich auf Bestellung verkauft. Der Händler glaubt nicht, dass die Nachfrage so wie in früheren Jahren ab November rapide wächst und schiebt seufzend hinterher: "Bei diesen Preisen...". 2021 hat er 16 Euro pro Kilogramm deutsche Freilandgans verlangt, dieses Jahr muss er 20 Euro nehmen, auch für Gänseteile sind sechs Euro mehr und damit 30 Euro zu berappen.

Zur Sache

Qualitätsunterschiede beim Saisongericht

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 2020 insgesamt 18.666 Tonnen Gänsefleisch importiert, 97 Prozent davon aus Polen und Ungarn. Diese osteuropäischen Gänse sind meist Kurzmastgänse, das heißt, sie wurden in zehn Wochen aufgezogen und mit einem Gewicht von drei Kilogramm geschlachtet. Aufgrund des schnellen Wachstums ist das Fett-Fleisch-Verhältnis dieser "jungen Gänse" dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) zufolge deutlich ungünstiger als bei Gänsen aus der Mittelmast (etwa 16 Wochen) oder der Mastzeit von etwa 20 bis 23 Wochen, wie sie hierzulande bei der Freilandmast üblich ist. Gänsemast ist ein Saisongeschäft zwischen Martinstag und Weihnachten. Im Durchschnitt hat jeder Deutsche im vergangenen Jahr nach Angaben des BZL 300 Gramm Gänsefleisch verzehrt. Zum Vergleich: Bei Hühnerfleisch lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 15,5 Kilogramm.

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