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Birgit Köhler spricht im Schulmuseum über die Swing-Jugend im "Dritten Reich" Tigerjagd im Bürgerpark

Hastedt. "Swing-Heinis" haben die Nationalsozialisten sie abfällig genannt: Jugendliche, die trotz lokaler Verbote weiterhin ihre amerikanischen und englischen Swing- und Jazzplatten hörten und danach tanzten.
07.02.2011, 05:00 Uhr
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Von Sandra Töbe

Hastedt. "Swing-Heinis" haben die Nationalsozialisten sie abfällig genannt: Jugendliche, die trotz lokaler Verbote weiterhin ihre amerikanischen und englischen Swing- und Jazzplatten hörten und danach tanzten.

Aber waren die Jugendlichen tatsächlich eine politische Widerstandsbewegung, oder handelte es sich eher um eine jugendliche Sub-Kultur, die in erster Linie ihren Spaß suchte? Dieser Frage ging die Historikerin Birgit Tillmann Köhler nach und stellte ihre Ergebnisse in dem Vortrag "Bremer Swing-Jugend in der Nazi-Zeit - Widerstand oder Spaßkultur?" im Schulmuseum vor.

Sie trafen sich in den Emil-Fritz-Betrieben, im "Astoria" und den ihm angeschlossenen Lokalen an der Katharinenstraße oder im "Atlantic Café" an der Knochenhauerstraße, um "hot" zu hören. Ihre Haare waren länger als erlaubt, die Hosen etwas weiter, und um den Hals trugen sie gern weiße Seidenschals. Die "Swing-Heinis", wie sie sich auch bald selbst nannten, wirkten stets ein wenig lässiger und vornehmer als ihre Altersgenossen und sie pflegten eine eigene Sprache, die musikzentriert und von Anglizismen durchsetzt war. "Die treten sich vorne auf den Schlips und hinten auf die Haare", war damals ein gängiger Spruch.

Im Vergleich zur Hamburger Swing-Jugend war die Bremer Szene sehr viel kleiner. Etwa 150 Jugendliche gehörten ihr bis zum Ende des Krieges an. Während in Hamburg der Swingtanz bereits im Juni 1939 verboten wurde und sich seit 1941 sogar ein eigenes Dezernat um die systematische Überwachung und Verfolgung der Jugendlichen kümmerte, blieb es in Bremen bei allgemeinen Appellen und lokalen Razzien. Wurde man bei einer solchen Razzia aufgegriffen, drohten jedoch auch hier Festnahme und Repressionen wie Schulverweise und Zwangs-Haarschnitte. Viele der Hamburger "Swing-Heinis" traf es noch härter. Sie wurden als politische Häftlinge ins Konzentrationslager Moringen verschleppt und kamen oft erst bei Kriegsende frei.

Auch die Musiker gingen ein hohes Risiko ein. Ihnen fehlte der "Jugendbonus" der "Swing-Heinis" und so kam es immer wieder zu Neubesetzungen der lokalen Bands, wenn beispielsweise "die Trompete" plötzlich verschwunden war, wie die Historikerin erzählte. Um der Festnahme bei einer Razzia zu entgehen, schnitten die Musiker daher die Köpfe der Notenblätter ab und gaben ihren Stücken deutsche Titel. "So wurde aus dem beliebten "Tiger-Rag" in Bremen der "Schwarze Panther" oder die "Tigerjagd im Bürgerpark".

Macht die Tatsache, dass die Nazis die "Swing-Heinis" zum Feindbild stilisiert hatten, die Jugendlichen jedoch automatisch zu einer Widerstandsbewegung im politischen Sinne?

Birgit Köhler hat sich mit Bremer Zeitzeugen und ehemaligen Swing-Jugendlichen unterhalten und herausgefunden, dass die meisten weder politische noch antifaschistische Ziele verfolgten und sich selbst überhaupt nicht als "staatsgefährdend" ansahen. "Auffallen, sich abheben, das wollten die Jugendlichen. Eine Mischung von jugendlichem Trotz und persönlicher Eitelkeit war die Antriebsfeder bei vielen", sagt sie. "Der Wunsch, anders zu sein." Der Historikerin zufolge haben sich die Jugendlichen mit Hilfe der Musik eine "imaginäre Gegenwelt" zu einer übermäßig streng reglementierten Realität geschaffen. Sie "bekannten sich, wenn auch unbewusst, in einer Zeit der Massenbewegung zur Individualität. Dass ihre Nonkonformität von den Nazis polemisiert wurde, war eher eine natürliche Folge, als eine bewusste politische Reaktion."

Angereichert mit Musikstücken von Benny Goodman, oder auch dem legendären "In the Mood" von Glenn Miller, war der Vortrag von Birgit Köhler für einige Zuhörer auch eine kleine Zeitreise in die eigene Jugend. Am Ende entwickelte sich eine lebhafte Diskussion nicht nur über die Entwicklung der Bremer Swing-Kultur nach dem Krieg, sondern auch um die Verwendung heutiger Begriffe wie "Spaßkultur" im Zusammenhang mit der Jugend im "Dritten Reich".

Es sei wichtig festzuhalten, sagte ein Zuhörer, dass es sich bei dem Begriff "Spaßkultur" um eine Form risikolosen Unterhaltens handele, der sich bei der Swing-Jugend von damals und den Risiken, die sie bei allem Spaß dennoch eingingen, eigentlich verbiete.

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