Burg. Es sieht aus wie eine dicke grüne Regentonne mit Luftlöchern und Eingangstür, steht seit rund einem Jahr auf dem Gehweg vor dem Burger Bahnhof und verbreitet bisweilen üble Düfte: Ein Männer-Pissoir, das Wildpinkler aus dem Bahnhofstunnel locken soll, inzwischen aber Fahrdienstleitern und anderen Bahnmitarbeitern einigermaßen stinkt.
Über eine unzumutbare Belästigung ihrer Nasen haben Bahnreisende in Burg schon vor etlichen Jahren geklagt. Ursache: Der Tunnel zu den Bahnsteigen wurde als Pissoir zweckentfremdet. Auch weil die Deutsche Bahn ihre öffentliche Toilette geschlossen hatte. Wie auf vielen kleinen Stationen. Bahnreisende, so die Begründung der Sparmaßnahme, könnten ja die Toiletten in den Waggons nutzen. Allerdings verursachten in aller Regel nicht Bahnkunden, deren Blase drückte, die unangenehme Situation im Tunnel. Vor allem waren es Zeitgenossen, die sich den Burger Bahnhof und sein Umfeld für Trinkgelage und Drogenkonsum auserkoren hatten.
Weil die Klagen der Bürger lauter wurden, ohne bei der Bahn auf ein Echo zu stoßen, widmeten sich Beirat und Ortsamt Burglesum schließlich dem anrüchigen Problem. Sie stellten 4000 Euro aus Globalmitteln für die Installation eines öffentlichen Urinals zur Verfügung. Es wurde gegenüber dem Parkhaus in der Nähe des Halteplatzes für Taxis errichtet. „Zunächst versuchsweise“, unterstrich Ortsamtsleiter Florian Boelke damals.
Eine einzige Beschwerde sei bislang im Ortsamt an der Oberreihe 2 eingegangen, sagt Boehlkes Stellvertreterin Sabine Tietjen. Weil der Abflussschlauch von der „grünen Tonne“ bis zum Gulli am Straßenrand verrutscht war, musste eine Reparatur vorgenommen werden. Nun aber führt Klaus-Dieter Thuy Klage. Der Mann aus St. Magnus arbeitet als Fahrdienstleiter im Bahnhof Burg und spricht von einer Zumutung auch für seine Kolleginnen und Kollegen. Das Pissoir direkt vor ihrer Tür verbreite in der Regel sehr unangenehme Düfte.
Thuy hält den Standort des öffentlichen Männerurinals für ungünstig und schlägt vor, es in eine Ecke des Park-und-Ride-Platzes zu versetzten, von wo aus die Gerüche den Bahnhof nicht erreichten und wo ohnehin ständig ins Gebüsch gepinkelt werde. Darüber hinaus klagt der Fahrdienstleiter, dass die Tonne mit den Luftlöchern offenbar keine große Anziehungskraft auf Wildpinkler ausübe. Viele Zeitgenossen erleichterten sich nach wie vor an der Rückseite des Bahnhofs, ohne Rücksicht auf die Reisenden im haltenden Zug. Und vor allem im Sommer, so Thuy, müssten im Gebäude wegen des Gestanks die Fenster wohl geschlossen bleiben.
Im Ortsamt Burglesum sind nach den Worten von Sabine Tietjen bis auf die erwähnte Ausnahme keine Beschwerden über Geruchsbelästigungen eingegangen. Auch nicht von Taxifahrern, der Deutschen Bahn oder der Polizei Burglesum, die regelmäßig beim Bahnhof Burg präsent sei. Eine Verlegung des Urinals, bekräftigt Tietjen, werde deshalb nicht in Betracht gezogen.
Öffentliche Urinale haben eine lange Geschichte. Im alten Rom benutzten die meisten Menschen Freiluft-Latrinen, in denen es durchaus gesellig zuging. Die sanitären Einrichtungen ohne Trennwände und Privatsphäre boten Platz für rund 50 Personen. Im Mittelalter dann spielte Hygiene für die Bürger in Europa eine untergeordnete Rolle. Öffentliche Klos gab es nicht, die häuslichen Exkremente landeten in Töpfen und Eimern und anschließend in Flüssen, Bächen oder ungestraft auf der Gasse. Ein Paradies für Krankheitserreger.
Im Frühjahr 1830 wurden auf den Boulevards in Paris die ersten öffentlichen Urinale eingerichtet, Berlin schrieb Architekturwettbewerbe aus, bevor 1863 das erste öffentliche Pissoir entstand. 60 Jahre später waren es bereits 142.
In Bremen gab es vor anderthalb Jahrzehnten noch etwa 20 öffentliche Toiletten. Ihre Reinigung war teuer. Das WC auf dem Domshof etwa kostete die Stadt bis zu 100 000 Euro im Jahr. Nach und nach wurden die Stätten der Erleichterung dicht gemacht und als Ersatz die „Nette Toilette“ angepriesen. Wie in Bremen beteiligten sich Gastronomen in 220 Städten und Gemeinden in Deutschland an der Aktion. Sie erhalten eine finanzielle Unterstützung. In Vegesack, sagte Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt unlängst, funktioniere die „Nette Toilette“ offenbar gut.
Dagegen ist – wie in Burg – auch das Freiluft-Pissoir vor dem Bremer Hauptbahnhof umstritten. Es gleicht der grünen Tonne mit Luftlöchern beim Burger Bahnhof und sendet ebenfalls unangenehme Düfte aus. Immerhin sorgt es dafür, dass weniger Männer gegen das Bahnhofsgebäude und das Überseemuseum pinkeln. Wer übrigens beim Urinieren in der Öffentlichkeit erwischt wird, muss ein Bußgeld von 50 Euro zahlen.