Lemwerder/Wesermarsch. Es war schon die vierte Runde der Tarifverhandlungen für die 140 000 Beschäftigten der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie. Vor einer Woche ging sie ohne nennenswerte Annäherung zu Ende. Ebenso wie im Pilotbezirk Baden-Württemberg war keine Einigung zu erzielen. Inzwischen versucht die IG Metall, ihren Forderungen mit ganztägigen Warnstreiks Nachdruck zu verleihen, unter anderem in Hamburg, Flensburg und Bremen. In der Wesermarsch hielt sie sich zum Auftakt der angekündigten drei Warnstreik-Tage noch zurück. Ob und welche Betriebe an der Unterweser bis zum Ende der Aktion am Freitag lahmgelegt werden, behält die Zentrale der IG Metall Küste in Hamburg so lange wie möglich unter Verschluss.
Die IG Metall Küste ist der nördlichste von sieben IG-Metall-Bezirken und vertritt die Interessen ihrer rund 181 300 Mitglieder in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen und im nordwestlichen Niedersachsen. Das sind deutlich mehr Metaller als noch vor wenigen Jahren. Erst Mitte Januar meldete die Bezirksleitung das vierte Jahr in Folge mit einer positiven Mitgliederentwicklung. Allein im Jahr 2017 verzeichnete die IG Metall Küste demnach ein Plus von 600 Mitgliedern. Stärker geworden sei die Gewerkschaft vor allem bei den Berufstätigen, insbesondere bei Frauen, Angestellten und Jugendlichen.
Wie viel Arbeit sich hinter den Zahlen verbirgt, lassen die Erläuterungen von Pressesprecher Heiko Messerschmidt erahnen. Wegen der hohen Fluktuation muss die IG Metall Küste demnach jedes Jahr 10 000 neue Mitglieder aufnehmen, damit am Ende ein Plus steht. 2017 erreichte die Zahl der Neuaufnahmen den Angaben nach mit fast 11 000 ein Rekordniveau. Den Grund für den Erfolg erklärt Messerschmidt mit „unserer guten Arbeit in den Betrieben“. IG-Metall-Bezirksleiter Meinhard Geiken, der seinen beruflichen Werdegang mit einer Ausbildung zum Betriebsschlosser im VW-Werk Emden begann, formulierte es kürzlich so: „Wir sind nah dran an den Beschäftigten und greifen ihre Themen auf.“
Nah dran sind vor allem die 4800 Vertrauensleute und 4500 Betriebsratsmitglieder der IG Metall Küste. Sie vertreten die Interessen der Beschäftigten direkt im Betrieb. Die IG Metall selbst beschäftigt im Bezirk Küste 140 Mitarbeiter in 16 Geschäftsstellen, die die Mitglieder betreuen und die Interessenvertretungen in den Betrieben bei ihrer Arbeit unterstützen. Folgt man Messerschmidt, hat sich die IG Metall Küste in den vergangenen Jahren organisatorisch deutlich besser aufgestellt. Auch er betont, „wir sind jetzt näher dran an den Leuten vor Ort.“ Darüber hinaus nennt er „konkrete und messbare Erfolge“ für die Arbeitnehmer als wichtigstes Motiv, in die IG Metall einzutreten. Von guten Tarifabschlüssen und besseren Arbeitsbedingungen würden in den meisten Unternehmen zwar auch die nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten profitieren. Aber auch sie wüssten, wer die Verbesserungen durchgesetzt habe. Den Einwand, von den Tarifabschlüssen würden nur die Festangestellten mit besseren Arbeitsbedingungen profitieren, lässt Messerschmidt nicht gelten. So gebe es inzwischen beispielsweise Tarifverträge für Leiharbeiter. „Auch diese Beschäftigten vertreten wir.“ Belegschaften in bisher nicht tarifgebundenen Betrieben rät er, sich zu organisieren, „um gemeinsam aus der Stärke heraus Verbesserungen zu erreichen“.
Unter den 181 300 Mitgliedern der IG Metall Küste sind auch Studierende, Arbeitslose und Rentner. Der mit Abstand größte Teil arbeitet jedoch in 2200 Unternehmen, darunter kleine und mittlere Betriebe zum Beispiel im Handwerk. Die wichtigsten Branchen der Metaller im Norden sind der Schiffbau (Werften und Zulieferer), die Luft- und Raumfahrtindustrie (Airbus, Premium Aerotec) sowie die Automobilindustrie mit Daimler in Bremen und Hamburg sowie Volkswagen in Emden. Darüber hinaus vertritt die IG Metall die Interessen der Beschäftigten im Maschinenbau, der Windkraftindustrie und (nachdem sich die bis dahin zuständigen Branchengewerkschaften 1998 und 2000 der größeren IG Metall angeschlossen haben) die der Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie in den Bereichen Holz und Kunststoff.
Wie stark die IG Metall in den Betrieben verankert ist, lässt sich Messerschmidt nicht entlocken. Nur so viel: „Der Organisationsgrad ist gut und er ist unterschiedlich.“ Geht es um die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen, kommt es aber gerade auch auf den Organisationsgrad an. „Wir sprechen von Handlungsfähigkeit in den Betrieben, wenn wir mindestens 50 Prozent der Belegschaft organisiert haben.“
Das gilt somit wohl auch für die 30 norddeutschen Betriebe mit zusammen über 50 000 Beschäftigten, in denen die IG Metall Küste in dieser Woche einen Tag lang die Arbeit niederlegen will, um ihre Forderungen im laufenden Tarifkonflikt zu untermauern. Betroffen sind Unternehmen aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie, des Maschinen- und Schiffbaus. „Die ganztägigen Warnstreiks sind die letzte Warnung an die Arbeitgeber“, erklärte Bezirksleiter Meinhard Geiken im Vorfeld. „Es wird Zeit, dass diese sich am Verhandlungstisch mehr als nur in Trippelschritten bewegen.“
Welche Betriebe in der Wesermarsch in die ganztägigen Warnstreiks einbezogen werden, wird kurz vorher bekannt gegeben. Ob beispielsweise die Beschäftigten von Premium Aerotec, Weser-Metall und Zinkhütte in Nordenham oder die der Lürssen Werft zum Warnstreik aufgerufen werden, bleibt abzuwarten. Sie hatten sich an den ersten Warnstreiks beteiligt, mit denen die IG Metall Küste die Tarifverhandlungen seit Anfang Januar begleitet. Mit den ganztägigen Warnstreiks kommt nun ein neues Format der Arbeitskampfmaßnahmen zum Einsatz. Die IG Metall hatte sie erst auf ihrem Gewerkschaftstag 2015 neu eingeführt. Zwischen vergleichsweise harmlosen kurzen Warnstreiks und den bei den Arbeitgebern gefürchteten unbefristeten Streiks wurde so eine neue Eskalationsstufe eingebaut, legitimiert durch Abstimmungen direkt in den Betrieben. Die streikenden IG-Metall-Mitglieder erhalten für Lohnausfälle Streikgeld.
Wo gestreikt wird, entscheidet sich laut Gewerkschaftssprecher anhand verschiedener Kriterien. Demnach wurden gezielt Betriebe ausgewählt, die wirtschaftlich gut dastehen und in denen ein großer Anteil der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert ist. Außerdem sei darauf geachtet worden, Betriebe verschiedener Branchen in die Warnstreiks einzubeziehen. „Es sollen nicht mehr als 250 Betriebe bundesweit sein“, sagt Messerschmidt. Sechs Prozent mehr Geld sowie der Anspruch auf eine zeitweise Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 28 Stunden – so lauten die wesentlichen Forderungen im Tarifkonflikt. „Wir kämpfen nicht für die generelle 28-Stunden-Woche, sondern um das Recht, auch mal kürzerzutreten“, erläutert Messerschmidt. Schichtarbeiter, Eltern kleiner Kinder und pflegende Familienangehörige sollen einen Teillohnausgleich erhalten, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Das lehnen die Arbeitgeber bisher vehement ab.
Wie der Konflikt ausgeht, ist offen. Über die künftigen Löhne und Gehälter wird man sich nach Einschätzung Messerschmidts etwas leichter einigen können. „Es wird sicherlich einen Kompromiss geben.“ Am Ende der Verhandlungen erwartet er „eine gute und kraftvolle Lohnerhöhung“.
Ganztägiger Warnstreik von Freitag, 6 Uhr, bis Sonnabend, 6 Uhr
Im Tarifkonflikt in der Metall- und Elektroindustrie startet in der Wesermarsch die IG Metall am Freitag, 2. Februar, ab 6 Uhr mit einem 24 Stunden dauernden Warnstreik. Wie Martin Schindler, Geschäftsführer der IG Metall und örtlicher Streikleiter mitteilt, haben am Dienstag die Mitglieder der IG Metall bei Premium Aerotec (PAG) in Nordenham in drei schichtübergreifenden Versammlungen über ganztägige Warnstreiks abgestimmt. „Die Stimmung ist eindeutig. Unsere Mitglieder stehen mit überwältigender Mehrheit hinter den ganztägigen Warnstreiks“, sagte Martin Schindler. „Die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben sind bereit, für mehr Geld und mehr Zeit zu kämpfen.“ Zurzeit laufen die Vorbereitungen für weitere ganztägige Warnstreiks in anderen Metallbetrieben der Wesermarsch auf Hochtouren. Parallel werden Urabstimmungen für einen unbefristeten Erzwingungsstreik vorbereitet. Die betrieblichen Streikleitungen sind benannt und werden jetzt kurzfristig auf ihre Tätigkeiten hingewiesen. „Noch haben es die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie selbst in der Hand, mit einem tragfähigen Angebot eine weitere Eskalation zu verhindern“, so Schindler. Neben mehr Geld fordert die IG Metall einen Anspruch auf zeitweise Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden, einen Zuschuss für die Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit verringern, Kinder betreuen, Familienangehörige pflegen oder im Schichtdienst arbeiten. Weitere Themen: bezahlte Freistellung vor Prüfungen für Azubis und Dual-Studierende, Regelungen zum Personalausgleich und für Umkleidezeiten, Angleichung der Schichtzuschläge an südliche Tarifgebiete.