Und dann geht plötzlich die Tür auf und eine ältere Dame schiebt ihr 15 Monate altes Enkelkind im Kinderwagen in den engen Flur vor Saal 651 des Amtsgerichts. Schaut nach links – da stehen jede Menge Polizisten. Volle Montur, strenger Blick. Schaut nach rechts – da stehen die Angeklagten mit ihren Freunden, allesamt junge, muskelbepackte Männer. Auch sie schauen, vorsichtig formuliert, nicht eben freundlich. "Ich wollte eigentlich nur eine Vorsorge-Vollmacht...", stammelt die Frau und legt vorsichtig den Rückwärtsgang ein.
Die Vollmachten gibt es gegenüber auf der anderen Seite. Betreuungssachen, Raum 662 bis 677. Sie ist aus dem Fahrstuhl falsch abgebogen. Und so mitten hinein geraten in einen Prozess, bei dem es um Gewalt, Drohungen und eine sieben Zentimeter lange Schnittwunde im Gesicht eines Opfers geht. "Mir ist der Angstschweiß den Rücken runtergelaufen", sagt sie später auf dem Weg zum Ausgang des Amtsgerichts. Ihre Enkeltochter hat alles mit großen Augen und vergnügt glucksend verfolgt. Keine Frage, da wird Oma eines Tages eine aufregende Geschichte erzählen können.
Diese Geschichte spielt im Türstehermilieu und hat mit Bremen, aber auch mit Hamburg zu tun. Am 11. Dezember 2016 wollten vier Männer (aus Bremen) nachts um kurz nach 1 Uhr in die "Persische Nacht" im Businessbereich des Weserstadions. Ihnen wurde von Türstehern (aus Hamburg) der Einlass verwehrt, heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Daraufhin sei es erst zu verbalen Drohungen gekommen – "Du weißt nicht, wer wir sind." –, dann zu handfesten Schubsereien und schließlich zu einer sieben Zentimeter langen Schnittwunde, die einer der vier Angeklagten mit dem Messer seinem Gegenüber im Gesicht zugefügt haben soll.
Ein "äußerlich überschaubarer Sachverhalt", der sich in wenigen Minuten abgespielt habe, erklärt der Richter. Doch der Versuch, diesen Sachverhalt zügig aufzuklären, scheitert am Donnerstag auf ganzer Linie. Stattdessen beschäftigen das Gericht fast fünf Stunden lang Vorwürfen der Verteidigung gegenüber der Polizei. Denn die könnte im Vorfeld der Verhandlung Einfluss auf die Aussagen der Zeugen genommen haben, argwöhnen die Anwälte.
Anlass hierzu bietet das ebenso überraschende wie massive Polizeiaufgebot, das die drei aus Hamburg angereisten Zeugen im Gerichtsgebäude eskortiert. Eine Sicherheitsmaßnahme – die Türsteher gehören einer Nationalität an, die Angeklagten einer anderen. Man habe Warnungen erhalten, als Zeuge auszusagen, erklärt einer der Zeugen vom Sicherheitsdienst. In Bremen sei das gefährlich, die Angeklagten würden zu einer großen Familie gehören.
Eine Sorge, die sich vor dem Amtsgericht zu bestätigen schien. Dort habe man bei der Ankunft aus Hamburg direkt vor der Tür sieben, acht Mitglieder der Großfamilie entdeckt, erzählt der Zeuge. Deshalb habe man sich Hilfe suchend an die Polizei gewandt, die zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Mannschaftstransporter vor Ort war.
Spätestens an dieser Stelle horchen die Verteidiger auf. Woher wusste die Polizei vom exakten Eintreffen der Zeugen? Denn eine Stunde vorher, bei Prozessbeginn, hatte der Mannschaftswagen noch nicht vor dem Amtsgericht gestanden. Hatte es etwa schon vorher Kontakt gegeben zwischen Polizei und Zeugen? Und wenn ja – warum tauchten die dann in keiner Akte auf?
Wie sich nach und nach herausstellt, gab es tatsächlich mehrere Telefonate und Mails zwischen den Türstehern, der Hamburger und der Bremer Polizei. Ein Einfallstor, von dem die vier Verteidiger gerne und ausgiebig Gebrauch machen. Da mag der Staatsanwalt noch so vehement darauf pochen, dass dies alles doch gar nicht Verhandlungsgegenstand sei und man sich immer weiter verzettele – keiner der Zeugen wird am Donnerstag noch zu der Tat im Ostkurvensaal befragt. Über Stunden geht es ausschließlich um die Frage, wer wen wann angerufen hatte und über was dabei gesprochen wurde. "Alles von Belang für die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Frage, ob jemand Einfluss auf deren Aussagen genommen hat", lautet die Argumentationsschiene der Verteidiger. "Das Ganze hat irgendwie ein Geschmäckle."
Aber nicht nur sie ziehen alle Register. Auch der eine oder andere Bruder von einem der Angeklagten mischt mit Zwischenrufen aus dem Publikum munter mit bei der Verhandlung. "Schwachsinn" sei das Großaufgebot der Polizei zum Schutz der Zeugen, konstatiert einer von ihnen. "Wir haben auch Angst, schließlich haben die auf uns geschossen. Ich will auch Polizeischutz. Wenigstens einen Beamten."
Und lächerlich sei auch, was diese Sicherheitsvorkehrungen alles kosten würden. "Wenn ich das ganze Geld bekommen würde, würde ich nie wieder straffällig werden", scherzt das Mitglied der Großfamilie und findet diesen Witz offenbar selbst so gelungen, dass er ihn noch zweimal wiederholt.
Der Satz des Tages indes fällt, als einer der Zeugen angesichts des teils sehr scharf vorgetragenen Nachbohrens der Anwälte unwirsch darauf verweist, dass er eine solche Behandlung aus Hamburg nicht gewohnt sei. Was einer aus dem Familienclan im Publikum meint, kommentieren zu müssen: "Du bist hier nicht in Hamburg, sondern in Bremen. Hier gibt es Gesetze."