Wie wird sich Vegesack verändern, wenn der Schutz vor Hochwasser ausgebaut wird? Antworten versuchen mehrere Pläne zu geben. Und mehrere Experten.
Zum Beispiel Wilfried Döscher vom Deichverband und Siegfried Hafke vom Bauamt. Beide suchen nach der optimalen Lösung. Der eine aus technischer, der andere aus stadtplanerischer Sicht. Eigentlich stehen beide auf derselben Seite. Doch manchmal kritisiert der eine, was der andere will. Und umgekehrt. Wie jetzt im Ausschuss für Stadtentwicklung.
Der Hochwasserschutz ist der einzige Tagesordnungspunkt an diesem Montagabend. Nach zwei Stunden wird die Debatte beendet. Das Ergebnis ist, dass es kein Ergebnis gibt. Es ist das zweite Mal, dass sich Vegesacker Fraktionen mit dem Ausbau des Schutzes vor Sturmfluten beschäftigen. Und mit den Folgen für das historische Quartier am Hafen, den Hafen selbst und den Bereich rund ums Haven Höövt. Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt spricht von „einschneidenden Veränderungen“. Darum hat er Anwohner schriftlich eingeladen und die Briefe persönlich verteilt. Knapp 30 Frauen und Männer sitzen im Saal des Ortsamtes.
Ein Mann steht am Ende auf. Er will wissen, wie viel der Hochwasserschutz die Anlieger kosten wird. Und ob die Experten daran gedacht haben, das Fluttor an der Alten Hafenstraße so breit zu planen, dass Lastwagen noch die Kurve kriegen können. Döscher, Geschäftsführer des Deichverbandes, kann die erste Frage beantworten: „Nichts“. Bei der zweiten muss er passen. Der Hochwasserschützer weiß, dass er jedes Mal in private Interessen eingreift, wenn er sich für mehr Schutz ausspricht, vor allem für höheren. Die Spundwände am Hafen sollen von 6,75 auf 7,40 Meter gebracht werden. Döscherhat schon mit vielen Anliegern gesprochen, auch mit solchen, die das Projekt kritisieren.
Es ist nicht Döschers Vorhaben. Er setzt um, was im Generalplan Küstenschutz gefordert wird. Demnach sind die Deiche, Spundwände und Fluttore mittlerweile zu niedrig, um wirklich Sicherheit zu bieten. Der Plan stützt sich auf Berechnung des Forschungszentrums Küste. Die Wissenschaftler gehen von Sturmfluten aus, die folgenschwerer sind als bisherige. Wird der Schutz nicht verbessert, könnten schlimmstenfalls 90 Prozent der Bremer Landesfläche überflutet werden. Darum sollen 65 von 80 Kilometern Deich erhöht werden.
1,2 Kilometer lange Schutzlinie
Im Bereich des Vegesacker Hafens geht es um eine vergleichsweise kurze Hochwasserschutzlinie. 1,2 Kilometer ist sie lang. Sie reicht vom Deichschart am Fähranleger bis zu einem Fußweg an der Lesum, der hinter dem Haven Höövt beginnt. So hat es jedenfalls der Deichverband skizziert und dabei die alte Schutzlinie als Grundlage für eine Verlängerung genommen. Überall sollen Spundwände und Tore so hoch werden, wie es der Generalplan verlangt. Und überall, wo es möglich ist, sollen Deichscharte geschlossen werden. Döscher sagt, dass das die beste, weil sicherste Lösung ist: „Droht eine Flut, müssen die Durchgänge nicht erst von Hilfstrupps dicht gemacht werden.“ Das, meint er, spart wertvolle Zeit. Darum hält er mobilen Schutz für die schlechtere Alternative.

Grafik: Hochwasserschutzlinie.
Das hat Döscher auch schon im Februar erklärt, als der Beirat das erste Mal über den Hochwasserschutz diskutierte. Schon damals gab es Fragen von Fraktionen, Einwände von Anwohnern und Bedenken vom Bauamt. Und zwar so viele, dass der Deichverband nachbessern beziehungsweise mal anschaulich machen sollte, wie er sich den Schutz vorstellt, von dem er spricht. Bei einem Knackpunkt in der Hochwasserschutzlinie zeigt Döscher diesmal, wie die Lösung aussehen könnte: beim Fluttor an der Alten Hafenstraße. Die mehrere Meter hohe Anlage verläuft parallel zum Kito. Auch wenn sie streng genommen ein mobiler Schutz ist, hält sie der Mann vom Deichverband in diesem Fall und an dieser Stelle für eine gelungene Lösung.
Siegfried Hafke vom Bauamt bezeichnet es anders: „Eine Verbesserung, aber noch nicht das Optimum.“ Für ihn ist der gerade Verlauf des Tores und der Wand zwar jetzt besser als der ursprünglich schräge auf dem Plan. Doch plädiert er dafür, die Toröffnung zu erweitern, damit die Pfeiler des Tores hinter den Außenmauern der Gebäude verschwinden – und somit aus dem Blickfeld von Passanten. Es ist nicht die einzige Kritik, die der Stadtplaner am Konzept für den Hochwasserschutz in Vegesack übt. Hafke liest eine ganze Liste an Bedenken vor, die das Bauamt hat. Und ebenso viele Vorschläge, wie man es anders machen könnte.
Großbaustelle Hafenkopf
Der Deichverband will beispielsweise das Deichschart beim Kiosk des Fähranlegers schließen. Das Bauamt will ihn dagegen offen lassen beziehungsweise erst dann schließen lassen, wenn tatsächlich eine Flut droht. Hafke sagt, dass das komplette Fährquartier schlechter erreichbar wäre, wenn das Deichschart erst einmal dicht ist – schlechter für Besucher, für Rettungskräfte, für Rollstuhlfahrer: „Das können wir so nicht unterstützen.“ Gegen die drei Meter hohe Spundwand im Bereich der Rohrstraße hat der Stadtplaner dagegen nichts, aber gegen ihren schrägen Verlauf, der wie an der Alten Hafenstraße begradigt werden sollte. Hafke: „Somit würden nicht nur Bäume erhalten bleiben, sondern auch Parkplätze für Anlieger.“
Der Stadtplaner zählt noch mehr Baustellen für die Hochwasserschutz-Planer auf. Aber keine davon ist so groß wie die Baustelle Hafenkopf. Dort, meint Hafke, werden die Einschnitte am deutlichsten, wenn gebaut wird, was der Deichverband für notwendig hält: eine Spundwand samt Treppenanlage. Die würden nämlich nicht nur die Sicht auf den Hafen beeinträchtigen, sondern auch auf Kunst: auf Reckers Familie. Das Bauamt schlägt deshalb vor, die gesamte Fläche vor dem Hafen zu erhöhen. Döscher geht davon aus, dass allein der Hochwasserschutz in Vegesack mehrere Millionen Euro kosten wird. Mit dem Baustart rechnet er nicht vor 2019: „Erst wenn alle Optionen durchgespielt sind, geht es los.“
Noch in diesem Monat wollen die Fraktionen ein weiteres Mal über Varianten beraten.