Die Parteien machen vor der Wahl das Tempolimit auf Autobahnen zum Thema. Sollten die Grünen an die Regierung kommen, werde die Partei ein Tempolimit für Autobahnen "natürlich" auf die Agenda setzen. Das hat Grünen-Politiker Cem Özdemir am Montag in einem Interview bekräftigt. Auch die SPD will laut Wahlprogramm das Tempo auf 130 Kilometer pro Stunde begrenzen, Die Linke bei 120 drosseln. CDU-Kanzlerkandidat Laschet hält eine solche Maßnahme für "unlogisch", auch FDP und AfD sind dagegen. Laut dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat besteht auf rund 23 Prozent der Autobahnen bundesweit ein dauerhaftes und auf etwa sechs Prozent ein situationsabhängiges Tempolimit.
In Bremen ist die Beschränkung bereits Realität: Auf den Autobahnen im Land gilt seit 2008 eine Maximalgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde. An vielen Stellen hätten schon zuvor Begrenzungen bestanden, erläutert Jens Tittmann, Sprecher des Verkehrsressorts. Der Widerstand gegen die Entscheidung sei trotzdem deutlich spürbar gewesen. Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) sagt, die Maßnahme habe sich bewährt: "Es ist zwar statistisch nur schwer nachweisbar, inwiefern dieser Schritt konkret in Bremen gewirkt hat, weil Baustellen und existierende Tempolimits das Bild verfälschen. Aber insgesamt geht es nicht nur um Sicherheit, sondern auch um Lärmschutz und Luftverschmutzung." Das sei bei Stadtautobahnen besonders wichtig: "Darum war das generelle Tempolimit in Bremen der richtige Schritt."
Als Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz setze sie sich auch für eine bundesweite Regelung ein, was aber bisher insbesondere am Bundesverkehrsministerium und der Union scheitere. "Ich hoffe, dass nach der Bundestagswahl mehr Bewegung in dieses sinnvolle Projekt kommt", so Schaefer.
Althusmann: Flexible Regelungen sind die Lösung
Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) spricht von einer sehr emotional geführten Debatte: "Es wird offenbar nur noch zwischen Rasern auf der einen und Klimaschützern auf der anderen Seite unterschieden." Sicherheit könne nicht das alleinige Argument sein, da andere EU-Länder trotz Geschwindigkeitsbegrenzung mehr Verkehrstote zu beklagen hätten als Deutschland. Flexible Temporegelungen auf den Autobahnen seien ein guter Weg: "Die erlaubte Geschwindigkeit wird durch Beeinflussungsanlagen an die jeweilige Situation angepasst, sodass der Verkehr vernünftig fließen kann. Das hilft dem Klimaschutz und dient der Verkehrssicherheit." Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte vor gut einem Jahr Sympathie für ein Tempolimit signalisiert.
Die Stimmung in der Öffentlichkeit hat sich im vergangenen Jahr zugunsten einer Geschwindigkeitsbeschränkung verschoben, zeigt eine Umfrage des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC). 2020 waren 47 Prozent dafür und 46 dagegen, 2021 wuchs die Zustimmung auf 50 Prozent (45 Prozent dagegen). Seit Mitte der 90er-Jahre ist es das erste Mal, dass die Tempolimit-Anhänger in der ADAC-Umfrage das stärkere Lager bilden. 2014 hatten sich noch knapp zwei Drittel der Befragten gegen eine Beschränkung gewendet.
Der Verkehrssicherheitsrat fordert ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Es führe zu einem kürzeren Anhalteweg und damit zu weniger schweren Unfällen. Darüber hinaus habe es einen positiven Einfluss auf den Verkehrsfluss. Mit "Fakten gegen ein generelles Tempolimit" meldete sich hingegen der Verband der Automobilindustrie (VDA) kürzlich zu Wort. Lediglich dort, wo es ein erhöhtes Unfallrisiko, hohes Verkehrsaufkommen, viele Kurven oder Gefälle gebe, sei eine Begrenzung sinnvoll. Autobahnen seien die sichersten Straßen. Der niedersächsischen Verkehrsstatistik zufolge sind 2020 auf allen Straßen - Autobahnen ausgenommen - 249 Personen gestorben. Auf den Autobahnen im Land gab es 34 tödliche Unfälle.
Umweltbundesamt argumentiert mit CO2-Einsparungen
Ein weiteres Argument in der Debatte sind die Auswirkungen auf das Klima. Das Umweltbundesamt (UBA) berechnete im Mai 2020, dass eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometer pro Stunde für 1,9 Millionen Tonnen weniger Treibhausgasemissionen jährlich sorgen würde. Bei einem 120er-Limit könnten 2,6 Millionen Tonnen eingespart werden, bei Tempo 100 wären es 5,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Der VDA hingegen argumentiert, die Emissionseinsparungen seien gering, die Zeitverluste durch die niedrigere Geschwindigkeit jedoch hoch. Ein allgemeines Tempolimit sei deshalb aus volkswirtschaftlichen Gründen abzulehnen.