Für das Geld bekäme man einen fabrikneuen Mercedes C 220: Mit 57.823 Euro war zum Jahreswechsel jeder Einwohner Bremens öffentlich verschuldet. Damit übertrifft das kleinste Bundesland die anderen beiden Stadtstaaten um das Dreifache (Hamburg) bis Dreieinhalbfache (Berlin). Woher kommt dieser gewaltige Unterschied? Welche Rolle spielen die sogenannten Altschulden? Oder die Tatsache, dass Bremen mit Bremerhaven eigentlich ein Zwei-Städte-Staat ist?
André Heinemann, Finanzwissenschaftler der Universität Bremen, gibt zunächst eine verblüffend einfache Antwort: "In jedem Stadtstaat müssen gewisse Grundnotwendigkeiten finanziert werden, und die fallen bei kleinen Gebietskörperschaften viel stärker ins Gewicht." Das bedeutet: Wenn Bremen doppelt so viele Einwohner hätte, würde sich der Schuldenstand nicht auch verdoppeln, sondern viel langsamer ansteigen – die Pro-Kopf-Verschuldung würde also deutlich sinken. Deshalb sei im sechsmal größeren Berlin und im dreimal größeren Hamburg dieser Wert so viel niedriger als in Bremen.
"Das Verhältnis von Schuldenstand zu Bevölkerung sinkt mit Tilgung – Zähler wird kleiner – und mit Anstieg der Bevölkerung - Nenner wird größer", erläutert Heinemann. Allerdings sei beides kurzfristig für Bremen nicht zu erwarten. "Es ist davon auszugehen, dass aufgrund zusätzlicher pandemiebedingter Schulden auch die fundierten Altschulden steigen werden", sagt auch Detlef Meyer-Stender, Vizepräsident des Landesrechnungshofs.
Bremerhaven hat insofern einen besonderen Anteil an der hohen Verschuldung, weil es nicht in dem Maße von der Landesregierung bei der Haushaltsaufstellung diszipliniert werden kann wie Städte in den Flächenstaaten. Heinemann drückt es zurückhaltend so aus: "Die Kommunalaufsicht gegenüber Bremerhaven ist unter anderem aufgrund der selbstständigen Gemeindeverfassung mindestens in der Praxis nicht ganz deckungsgleich mit der Kommunalaufsicht in Flächenländern."
"Ein Großteil der vom Statistischen Bundesamt errechneten Pro-Kopf-Verschuldung beruht auf den fundierten Altschulden", betont Meyer-Stender. In die Berechnung seien zudem noch Kassenkredite für Zinssicherungsgeschäfte eingeflossen. Das Ausmaß der Verschuldung beeinflusse künftige Haushalte und könne sich damit auch auf das Leistungsangebot für die Bürger auswirken. Jan Wedemeier, Chef der Bremer Niederlassung des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts HWWI, warnt zudem: "Mit wachsender Verschuldung wird auch der Spielraum zukünftiger Regierungen und Gesellschaften hinsichtlich Investitionen immer enger."
Entscheidend ist für den Finanzexperten Heinemann jedoch ein anderer Wert: der Zinssatz, mit dem der Schuldenstand belegt ist. Erst er mache die eigentlich abstrakte Pro-Kopf-Verschuldung am Ende für die Einwohner als Belastung spürbar, "wenn Haushaltsmittel für Zinsausgaben statt beispielsweise für innere Sicherheit, Umweltschutz oder Verkehr verwendet werden müssen". Die anhaltende Niedrigzinsphase nehme aber "nach wie vor Druck von Haushaltsentscheidungen".
Generell findet Heinemann die Zins-Steuer-Quote – also das Verhältnis von Zinsausgaben zu Steuereinnahmen – sowie das Verhältnis von Zinsausgaben zu Gesamtausgaben ebenso wichtig wie die Pro-Kopf-Verschuldung. "Aber da sieht es für Bremen leider auch nicht so gut aus."
Hinzu kommt, dass viele Bremer neben ihrem rechnerischen Anteil an der öffentlichen Verschuldung auch noch privat in der Kreide stehen. Wedemeier spricht von einer Überschuldungsquote von rund 14 Prozent. Die könne durch die Pandemie noch steigen: "Daraus resultierend – zusammen mit den Gewerbeeinnahmeausfällen – kann mittelfristig der Haushaltsrahmen weiter eingeengt werden." Und während es nicht gelungen sei, "der sich räumlich verfestigenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken", wanderten einkommensstarke Gruppen ins Bremer Umland ab.